Improvisation und rote Nase:Anarchie auf der Bühne

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Beim Clownskurs in Markt Schwaben wird vor allem Quatsch gemacht und viel gelacht. Mit Klamauk und lustigen Spielchen bringt Stefan Pillokat alias Clown Pippo die angehenden Hobby-Entertainer dazu, ihr inneres Kind hervorzuholen

Von Manuel Kronenberg, Markt Schwaben

Die beiden Damen torkeln auf die Straße hinaus, stockbesoffen. Das war wohl eine ordentliche Ladung Schnaps, die sie sich da gerade in der Kneipe genehmigt haben. Die eine hält sich schon den Kopf, die andere stützt sie beim Gehen. Und ihre Nasen - total rot! "Gott, bist du schwer!", schimpft die eine. Daraufhin hängt sich die andere noch wuchtiger in ihren Arm. Ächzend machen sie sich auf den Heimweg, versuchen es zumindest. "Erst mal den Standort checken", meint die eine und holt ihr Handy heraus. "Okay, hier geht es lang!", sagt sie entschieden und will losmarschieren. Doch ihre Freundin hält sie auf. "Hältst du das Handy überhaupt richtig herum?" Die mit dem Handy grummelt, nimmt das Gerät und dreht es mit einer ausschweifenden Handbewegung herum. Na gut, es war doch die andere Richtung. Als sie nach beschwerlichem Marsch zu Hause ankommen, scheitern sie beinahe am Schlüsselloch. Schließlich schaffen sie es doch, und kaum steht die Tür offen, ertönt lauter Applaus.

Für die Improvisationen gibt der Chef-Clown kaum Regeln vor. Ohne Skript, ohne Absprache und fast ohne Requisiten müssen die Kursteilnehmer ihre Aufgaben bewältigen, wie Harald Winterling. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das alles war bloß Theater. Die Nasen waren auch gar nicht wegen des Alkohols so rot: Da waren nämlich zwei Clowns unterwegs. Die haben ja bekanntlich eh schon rote Nasen. Die beiden Damen nehmen am Clownsgrundkurs in Markt Schwaben teil, den die Volkshochschule anbietet. Die übrigen angehenden Clowns haben das Schauspiel begeistert verfolgt. Stefan Pillokat, Leiter des Kurses, hat für diese Aufgabe nur eine simple Anweisung vorgegeben: Zwei Clowns kommen besoffen aus der Kneipe und machen sich auf den Heimweg ... und los! Ohne Skript, ohne Absprache, ohne Requisiten. Die Kneipe, das Handy oder die Haustür sind von den Clowns nur imaginiert, die Handlung und die Gespräche improvisiert.

Pillokat ist beeindruckt, wie gut die Aufgabe gemeistert wird. Selbst ihm gehen beim Zuschauen vor lauter Lachen und Staunen schon einmal die Kommentare aus. Dabei hat Pillokat, der sonst als Clown Pippo Quatsch macht, eigentlich für alles einen Spruch parat. Meistens ruft er den Darstellern auch Tipps oder kleine Regieanweisungen zu. "Wie ist es euch ergangen?", fragt er nun die beiden Teilnehmerinnen, die gerade von der Bühne gekommen sind. "Es war anstrengend", antwortet eine von ihnen. Es sei gar nicht so einfach, auf der Bühne gemeinsam zu funktionieren, zumal die beiden sich vorher noch nicht einmal kannten. Das habe man überhaupt nicht gemerkt, versichert Pillokat. Er rät den Anwesenden, dass man als Clown auf seine eigenen Stärken vertrauen müsse, sich aber auch auf seinen Partner verlassen solle, und ganz wichtig: Ein Clown liebt die Anarchie. Alles ist erlaubt. Deswegen will er für das nächste Spielchen noch weniger Regeln festlegen.

Pillokat zieht einen weißen Sessel heran und hievt ihn auf die Bühne. Dann stellt er sich neben die acht angehenden Clowns und zeigt auf den Sessel. "Das ist das Thema", sagt er. "Wer will zuerst?" Mutig wie sie sind, schnappen sich Clown Harald und Clown Matthias ihre roten Nasen und steigen auf die Bühne. Normalerweise zählen die Zuschauer an dieser Stelle ein, aber die beiden sind sofort in ihrer Rolle. Da hat sich Clown Matthias, dieser Schlingel, doch einfach den Platz geschnappt und grinst seinen Kollegen schelmisch an! Doch der ist pfiffig und probiert alles aus, um den dreisten Strolch aus dem Sessel zu vertreiben. Vielleicht kann er ihn ja mit Grimassen verjagen? Keine Chance. Dann täuscht er eben eine Massage an und klaut flugs die Brille. Doch der faule Clown bewegt sich nicht vom Fleck! Es hilft wohl nur noch eines. Clown Harald zerzaust dem Sesseldieb die Haare - da schreit der los, springt auf und versteckt seinen Kopf unter der Sitzfläche. Triumphierend steigt Harald über ihn drüber und lässt sich mit einem breiten Grinsen im Sessel nieder.

Das spontane Zusammenspiel klappt so gut, dass die anderen kaum an sich halten können. Es wirkt, als seien da schon Profis am Werk. Um Sachkunde geht es hier aber gar nicht. Denn jeder von uns hat ohnehin schon einen Clown in sich. Davon ist Pillokat überzeugt. Man müsse sich nur trauen und ihn hervorholen, sagt er. Genau dies möchte er den Teilnehmern erleichtern. Mit strikten Anweisungen komme man dabei nicht weit. "Das Spielerische bewirkt, dass die Leute über ihre Grenzen gehen", erklärt er. Dass sie Seiten von sich entdecken, von denen sie vorher nichts wussten und Dinge lernen, die im Alltag weiterhelfen. So ist der Workshop besonders gut für Menschen geeignet, die viel mit anderen Menschen zu tun haben.

Harald Winterling zum Beispiel arbeitet im Kindergarten als Koch. Wenn die Kinder zu ihm in die Küche kommen und fragen, was er zubereitet, dann lese er eben nicht den Speiseplan vor, erklärt er. Wäre ja langweilig! Da erzähle er lieber, dass es Schneckenschleimsuppe gäbe, oder Fledermausohrenschmalz. Das innere Kind zu pflegen, dabei hilft der Workshop auch Andreas Teubner. Er sei im Projektmanagement tätig, erzählt er, und dort oftmals trockenen Situationen und strengen Strukturen ausgesetzt. In Zukunft wolle er auch da, im geschäftlichen Umfeld, seinen Clown in sich nutzen, um etwas Schwung in den Büroalltag zu bringen.

Pillokat will schon wieder ein neues Spielchen spielen. "Ihr dürft euch jetzt verkleiden", verkündet er und hebt zwei Koffer hoch, die neben der Bühne stehen. Er legt sie gegenüber an die verschiedenen Enden des Raums und öffnet sie. Zahlreiche Kopfbedeckungen kommen zum Vorschein. Die angehenden Clowns können es kaum erwarten. Sie sollen Passagen laufen. Das heißt, sie suchen sich nacheinander einen Hut aus und legen neue Identitäten an. Da dürfen auch mal Dialekte und Klischees hervorgekramt werden. Mit dabei ist etwa Jennifer, die sächsische Hartz-IV-Empfängerin mit Stasi-Vergangenheit. Oder Reinhard, der 44-Jährige, der seit 44 Jahren Single ist. Oder die Matrosin Frieda, die in den Schiffskoch verliebt ist, wegen Seekrankheit aber leider immer in dessen Kochtöpfe ... nun ja.

Beim Resümieren zeigt sich Pillokat hocherfreut. "Das war ein Sprung ins kalte Wasser, aber es ist nichts schiefgegangen", sagt er zu den Clowns. Das Wichtigste sei, immer bei sich zu bleiben und niemanden nachzuahmen. Pillokat will in diesem Kurs zeigen, wie man sich auf die eigenen Stärken besinnt, um selbstbewusster im persönlichen Umgang mit anderen zu sein. In der heutigen Zeit, bei der ganzen Hektik, sei das dringend nötig. Geht man nach den Teilnehmern, kann man sagen: Mission geglückt.

© SZ vom 19.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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