Süddeutsche Zeitung

Im Selbstversuch:Nimm. Mich. Mit.

An welchen Orten im Landkreis funktionieren Mitfahrbankerl? Wen nimmt man dort eher mit? Und warum? Unsere Autorinnen waren einen Tag unterwegs und haben Antworten gefunden.

Von Heloise Olufs und Camille Scherer

Es sollte eigentlich eine ganz normale Fahrstunde für den Schüler von Dieter Kleinjung werden, nichts weiter als eine kurze Ortsfahrt durch Grafing Stadt. Doch sein Lehrer entscheidet sich an diesem Mittwochnachmittag für etwas Ungewohntes: Er lässt seinen Schüler am Bahnhof anhalten. Der Grund sind zwei junge Frauen, die dort auf einer Bank sitzen und beide ein Nummernschild in der Hand halten.

Bei näherem Hinschauen lässt sich erkennen, was es damit auf sich hat: Auf dem einen Schild ist "Ebersberg" zu lesen, auf dem anderen "Marktplatz". Die Bank, auf der wir zwei lachend den Daumen hochstrecken, ist genau dafür gedacht: Es handelt sich nämlich um ein Mitfahrbankerl, das hier seit sechs Monaten steht. Man sitzt dort und wartet darauf, dass einer anhält. Manchmal klappt das gut - oder es wird zu einer echten Geduldsprobe.

Das Konzept der Wartebank für Anhalter wird seit fünf Jahren in ländlichen Regionen angeboten und ist eine Art Neuinterpretation des in den 60er und 70er Jahren bekannt gewordenen "Trampens". Im Landkreis Ebersberg gibt es solche Mitfahrbankerl bisher am Bahnhof Grafing Stadt und im Zornedinger Ortsteil Pöring an der Ecke Hubertusstraße/Eglhartinger Straße. In Glonn könnte nun das dritte Mitfahrbankerl hinzukommen. Dort wird das Konzept am Dienstag, 24. April, dem Gemeinderat vorgestellt.

Wie gut das System funktioniert, testen wir an einem sonnigen Mittwoch aus. Mit unseren Schildern setzen wir uns erst auf das Grafinger Bankerl, später geht es nach Pöring. Wir sprechen mit anhaltenden Autofahrern und vorbeigehenden Fußgängern: eine Mischung aus zufriedenen und kopfschüttelnden Menschen - und ganz viel Warten.

Letzteres trifft besonders auf die Bank in Grafing Stadt zu, innerhalb von zwei Stunden wollen uns nur drei Autofahrer mitnehmen. Das hat Gründe: Zum einen ist die Bank von der Straße aus nur schlecht sichtbar, weil sie sich von ihrem Hintergrund nicht abhebt. Zum anderen ist die Straße vor dem Bahnhof wenig befahren. An Abwechslung und lustigen Momenten mangelt es dort trotzdem nicht: bei all den wilden Gesten der vorbeikommenden Fahrer fühlt man sich teilweise in ein süditalienisches Verkehrschaos versetzt. Von Daumen hoch, über Kopfschütteln und erhobenem Zeigefinger, bis hin zu starrem Ignorieren oder völligem Auslachen erlebt man hier alles.

Nach 25 Minuten hält dann endlich der erste Fahrer an, der es ernst meint: Dieter Kleinjung, der Fahrlehrer. "Ich finde die Idee einfach super", sagt er bei heruntergelassenen Fenster. "Deshalb würde ich selbst mit Fahrschüler jemanden mitnehmen." Auch Fußgänger Alex würde stehen bleiben, sagt er, er habe schon öfter von Fahrten mit interessanten Mitfahrern gehört. Wir steigen an diesem Tag aber nirgends ein. Es geht ja um die Frage, wer überhaupt anhält. Und warum?

Das Thema Mitfahrbank beschäftigt auch Christian H., der seit 20 Jahren mit dem Problem des 40-Minuten Takts der S-Bahn kämpft. Die Idee des Mitfahrbankerls funktioniere jedoch für ihn nicht, sagt er, "weil man hier sitzt und in eine Richtung möchte, in die niemand anderes muss" - zumal nur wenig Autos vorbeikommen. Er hätte lieber alle 20 Minuten eine S-Bahn. Alex, um die 30 Jahre alt, findet das Bankerl im Prinzip gut, nur würde er es "stattdessen am Marktplatz oder einer Hauptstraße" platzieren. Manchen Jugendlichen ist das Konzept hingegen nicht bekannt oder gar gleichgültig: "Mir ist die Idee scheißegal", sagt einer. "Wenn die S-Bahn ausfällt, dann eventuell", meint die 14-jährige Miri.

Auf dem Pöringer Mitfahrbankerl ist dann vieles ganz anders. Innerhalb einer Stunde werden uns acht Mitfahrgelegenheiten angeboten. Im Gegensatz zu Grafing steht die Bank hier an einer viel befahrenen Hauptstraße, pro Minute fahren vier Autos vorbei. Helmut Eidmüller ist der erste, der anhält, nach nur sieben Minuten. Er findet die Bank "eine gute Idee. Sie ist praktisch und steht richtig." Mitnehmen würde er jeden. Basti, 27 Jahre, der ebenfalls hält, würde uns "freilich" auch mitnehmen.

Nach Ingelsberg hätte auch Manfred F. zwei Plätze in seinem Auto für uns gehabt, "nur wenn die Personen ein bisschen seltsam ausgesehen hätten, dann eher nicht", sagt er. Ihm sei wichtig, dass der Tramper sympathisch wirkt, erklärt er dann - was ja immer subjektiv ist. Wir haben also Glück gehabt, vielleicht weil uns vom Lächeln schon die Mundwinkel weh tun.

Es ist also nicht nur die gewünschte Fahrtrichtung ausschlaggebend, sondern auch "das beidseitige Gefühl", wie Brigitte Graf aus Grafing betont. Sophie Hallner drückt es so aus: "Wenn ich den Eindruck habe, er bringt mich um die nächste Ecke, dann nehme ich ihn eher nicht mit. Nur die, wo du denkst, du überlebst es", sagt sie mit einem verschmitzten Lächeln, sie hat in Pöring angehalten. Auch der 16-jährige Michele bezweifelt, dass er mit jedem mitfahren kann: "Ich finde das Mitfahrbankerl bedenklich", sagt er. Im Auto könnte ja jeder drin sein." Dagmar Heid, die am Seniorentag in Zorneding teilgenommen hat, sieht das ähnlich: "Alte Leute trauen sich weniger, sich auf die Bank zu setzen."

Es geht hier um Emotionen und den ersten Eindruck. Aber wahrscheinlich auch ums Geschlecht - wenn es nicht gar ausschlaggebend ist. Acht von elf Fahrern erklären, sie hätten uns vor allem deshalb mitgenommen, weil wir Frauen sind, etwa die Hälfte von ihnen selbst Frauen. Drei Autofahrer weichen bei dieser Frage aus. Kurzum: vielleicht funktioniert der Vorschlag von Sophie Hallner, eine große Puppe auf die Pöringer Bank zu setzen, um diese sichtbarer und populärer zu machen - etwa bei Jugendlichen. Wahrscheinlich hilft, es, wenn die Puppe lange Haare hat.

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Quelle:
SZ vom 21.04.2018
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