Süddeutsche Zeitung

Im Café Wunderbar:Bilder, die berühren

Der Einrichtungsverbund Steinhöring zeigt die Ausstellung "Leben in Vielfalt". Die Fotos gewähren vielfältige Einblicke in den Alltag der Betreuten

Von Nathalie Stenger, Steinhöring

Bevor die Veranstaltung am Donnerstagabend überhaupt offiziell durch Ernst Meinl eröffnet wird, zeigt Anita schon begeistert ihre Lieblingsbilder. Zu sehen sind Hühner, Ochsen und Traktoren, alles Eindrücke von ihrem alltäglichen Leben. Sie selbst hat diese Bilder vom Biohof Fendsbach zwar nicht gemacht, aber erfreut sich nichtsdestotrotz so sehr an den gerahmten Fotos, als wären es ihre eigenen.

Diese Freude ist gleichermaßen groß bei allen Beteiligten und durch die drei Räume des Cafés Wunderbar hinweg spürbar. Hier, auf dem Gelände des Einrichtungsverbunds Steinhöring für geistig und körperlich Behinderte, findet an diesem Abend die Vernissage der Fotoausstellung "Leben in Vielfalt - Bilder aus dem Leben" statt. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Wochen der Toleranz" habe es sich angeboten, den Wunsch nach einer Fotoausstellung von Ernst Meinl gemeinsam mit Betreuten und Betreuern in die Tat umzusetzen, erzählt Einrichtungsleitung Gertrud Hanslmeier-Prockl. Gerade in der heutigen Zeit müsse man immer wieder daran erinnern, dass Verschiedenheit das Gemeinwesen ausmache. Auch Luise Braun vom katholischen Kreisbildungswerk ist zu Besuch und spricht davon, wie wichtig es sei, ins Gespräch zu kommen und dass die Ausstellung dafür die optimale Gelegenheit biete.

Ideengeber der Fotoausstellung Ernst Meinl ist 57 Jahre alt und schon seit 41 Jahren beim Einrichtungsverbund Steinhöring. Mit den Worten "Uns freit's, dass ihr alle so reichlich gekommen seid und ich wünsch euch viel Spaß beim Anschauen", stellt er sich mutig als Erster vor das zahlreiche Publikum, das an diesem Abend erschienen ist. Meinl fotografiert leidenschaftlich gern, erzählt er später. Am liebsten Naturmotive. Seine Favoriten seien ein Foto von "den Schwammerln", weil er diese so gerne esse, erklärt er, und ein Bild von einer Reise nach Österreich. Ein wolkenverhangenes Gebirge mit einem tiefgrünen Nadelwald im Vordergrund, eine beeindruckende Momentaufnahme, ist auf diesem zu sehen. Auch Silvia Peisl, die von allen Silvi genannt wird und beim Gemüsekisterl arbeitet, stellt drei Fotos aus. Es sind Bilder von ihrem Kater Bobby, einmal alleine abgebildet, dann mit seinen Geschwistern und schließlich mit ihr selbst in ihrer eigenen Wohnung. Ihr Freund Erich, der im Fahrdienst arbeitet und deshalb oft in Rosenheim, München, und Mühldorf zu tun hat, ist an diesem Abend ebenfalls gekommen, um seine Partnerin zu unterstützen. Die beiden sind seit 13 Jahren ein Paar und wirken rundum glücklich.

Hanslmeier-Prockl erwähnt die Detailtreue, die stets bei der alltäglichen Arbeit in den Werkstätten bemerkbar sei, und sich gleichermaßen in den Ergebnissen deutlich mache. Kuratorin Gabriele Ros, die viele Betreute zur Einreichung von weiteren Werken motiviert hat, spricht im Zuge dessen von Renate Theis, die neben der Auswahl von Fotos von der diesjährigen Motorrad-Jumbofahrt auch feinfühlig an der Aufhängung der Bilderrahmen gearbeitet hat.

Ganz umweltfreundlich und nachhaltig, einfach "weil die gerade da waren", so seine simple Erklärung, ist das Memory von Florian Zieglmeier entstanden. Auf 24 bereits vorhandenen Schraubenverpackungen sind jeweils zwei gleiche Bilder von seiner Person abgebildet, alle in den selben Rottönen gehalten. Die Idee dazu sei ihm einfach spontan gekommen, erinnert sich der Mitarbeiter in der industriellen Fertigung, er habe bereits bestehende Fotos auf seiner Kamera ausgewählt. Das 15. Jahr sei er nun bei den Steinhöringer Werkstätten, es gefalle ihm sehr gut, und dass er bei der Arbeit viel Spaß hat, zeigen ausgestellte Selfies von ihm und seinen Kollegen beim Grimassenschneiden.

Man kann hier im Café die verschiedensten Motive bestaunen, von Spinnen in einer Nahaufnahme, Sonnenuntergängen, Blumen, Bergen, bis zu Momenten bei Bergfreizeiten oder anderen Ausflügen. Seifenblasenaktionen auf dem Schulgelände werden abgebildet, außerdem Sportevents, Theatervorführungen und Kaffeekranzl. Gerade diese besonderen und vielfältigen Perspektiven, welche die Betreuten einnähmen, seien sehr spannend, da sind sich Hanslmeier-Prockl und Kuratorin Ros einig. Die Künstler sind stolz auf ihr Werk, das ist bei der Vernissage kaum zu übersehen. Aber das dürfen sie auch sein. Mit dieser Ausstellung gewähren sie dem Besucher persönliche Einblicke in ihre Sicht auf das alltägliche Leben und zeigen damit, wie schön dieses doch sein kann.

Die Fotos im Café Wunderbar können jeden Donnerstag von 14 Uhr an bis mindestens Januar besichtigt werden. Auch zum Christkindlmarkt am 14. Dezember hat die Ausstellung geöffnet.

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Quelle:
SZ vom 23.11.2019
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