Süddeutsche Zeitung

Kleinkunst:Im Anzinger Weinbeisser beginnt eine neue Zeitrechnung

Lesezeit: 3 min

Der Auftritt von Holger Paetz ist die erste Vorstellung seit dem Rückzug von Intendant Conny Hoffmann - und ein besonderes Comeback.

Von Andreas Junkmann, Anzing

"2018 hieß es, der Weinbeisser ist tot. Heute können wir sagen: der Weinbeisser lebt!" - die Freude ist Manfred Zick, besser bekannt als Zither-Manä, deutlich ins Gesicht geschrieben. Als er am Mittwochabend die Kleinkunstbühne im dem Anzinger Lokal betritt, geht es doch um weit mehr als nur darum, eine Kabarett-Vorstellung anzukündigen. Es ist der Beginn einer neuen Ära, die Wiedergeburt des Weinbeissers.

Dessen Zukunft war nach dem Rückzug des langjährigen Intendanten und Urgesteins Conny Hoffmann zunächst ungewiss, ein Quartett hat der Kleinkunstbühne nun aber neues Leben eingehaucht: Wirt Dirk Zeilmann und Geschäftspartnerin Stephie Propstmeier kümmern sich um die Gäste, der Musiker Zither-Manä und Kabarettist Holger Paetz ums Programm. Und was liegt da näher, als zum Start gleich mal selbst die neue Zeitrechnung einzuläuten? Also darf zum Auftakt Holger Paetz persönlich ran, der als Pater Paetz in seiner Buß- und Fastenpredigt mit dem Titel "Fürchtet euch!" nach allen Seiten hin ordentlich austeilt.

Der Zither-Manä schickt seinen Intendanten-Kollegen mit reichlich Vorschusslorbeeren auf die kleine Bühne im restlos ausverkauften Weinbeisser-Stüberl. Er sei einer der besten Kabarettisten in ganz Deutschland, vielleicht sogar der beste. Da hatte Paetz also gleich ein dickes Brett zu bohren. Doch der 66-Jährige enttäuscht weder seinen langjährigen Weggefährten, noch das Publikum. In einer flammenden Predigt hält er der Welt mit bissigen Versen und erhobenem Zeigefinger den Spiegel vor.

In schwarzem Pfarrersgewand und zu Glockengeläut aus dem CD-Spieler bahnt sich Paetz seinen Weg durch die eng gestaffelten Tische hinauf zur Bühne. Man merkt sofort: das ist der Ort, an dem er sich zu Hause fühlt. Vielfacher Kabarettpreisträger, über ein Jahrzehnt Mitautor des Singspiels am Nockherberg - dieser Mann weiß, was er tut. Und so brennt Paetz auch im Weinbeisser ein leidenschaftliches Feuerwerk ab, bei dem ihm nichts heilig ist.

Der Kabarettist lässt kein gutes Haar an der katholischen Kirche

Immerhin, wie es für einen anständigen Pater gehört, widmet er sich zunächst der Kirche - an der er aber, anders als seine Rolle vermuten ließe, kein gutes Haar lässt. Die organisierte Religion sei wahrlich beneidenswert, so Paetz. "Wie sich mit leeren Versprechen so viel Geld scheffeln lässt." Als Beispiel dafür, dass es mit der Finanzwirtschaft aber nicht immer so gut klappt, führt er das Bistum Eichstätt auf, das mit seinen dubiosen Geschäften in Texas für einen Skandal gesorgt hatte. "Da lob ich mir doch den Tebartz van Elst, der das Geld wenigsten in richtige Immobilien investiert."

Vom Klerus geht es nahtlos weiter in die Politik, wo Verkehrsminister Andreas Scheuer und Digitalministerin Dorothee Bär ihr Fett abbekommen. Letztere könne der Digitalisierung ein Gesicht geben - vor allem aber ihren Senf dazu. Auch der Kreuzerlass von Ministerpräsident Markus Söder bleibt vom Pater nicht verschont. "Was hat der Protestant das Kreuz mit seinen fränkischen Wurstbrazen überhaupt zu befingern?", fragt Paetz, um schon wenige Augenblicke später in den USA und bei Präsident Donald Trump angekommen zu sein.

Hier liegt auch der einzige Kritikpunkt an einer ansonsten rundum gelungenen Vorstellung: die Themensprünge kommen oft etwas unvermittelt und hektisch daher. Manchmal hätte man dem Publikum mehr Zeit gewünscht, die ohne Frage hervorragend durchdachten Anprangerungen auf sich wirken zu lassen. Aber sei's drum. Paetz steht an diesem Abend ohnehin nicht auf der Bühne, um einen Brüller nach dem anderen zu servieren. Vielmehr hinterfragt er, kritisiert sarkastisch und führt seinem Publikum vor Augen, dass das reale Leben oft humorvoller ist als jeder Witz.

Dabei muss es gar nicht immer die große Weltpolitik sein. Selbst einen samstäglichen Ausflug zu Ikea entlarvt Paetz als eine Irrfahrt, bei der zunächst alle "dem vorgefertigten Deppenstreifen" folgen, in der Möbelhalle verzweifelt nach dem Ausgang suchen, um sich schließlich im Straßenlabyrinth des Industriegebiets zu verirren - immer drohend den blau-gelben Klotz im Rückspiegel. "Fürchtet euch!"

Paetz versteht es, gekonnt mit Wörtern und Reimen zu spielen. Er intoniert präzise, gestikuliert wild. So liest er fast zwei Stunden lang der Welt ordentlich die Leviten. In der AfD-Spendenaffäre etwa könne man Parteichefin Alice Weidel doch gar keinen Vorwurf machen. "Woher soll die arme Frau das denn auch wissen? Ich fordere, dass hier der Blödheitsbonus greift!", so Paetz. Beim Sommerinterview mit Alexander Gauland dagegen lag die Schuld klar bei den Journalisten: "Man kann doch einem alten Mann keine Fragen zu Klimaschutz und Digitalisierung stellen!"

In dieser Art pflügt Holger Paetz weiter von Thema zu Thema, verteilt Seitenhiebe auf Seehofer, Merkel, Stoiber und die Freien Wähler, nur um seine Standpauke final mit einem Glaubensbekenntnis zu beschließen. "Fürchtet euch vor der Furcht, denn sie könnte euch verängstigen. Fürchtet euch nicht vor dem Prediger, denn er ist erleuchtet." Genau so, wie es am Ende des Abends das Publikum des Weinbeissers war, das sich nun auch weiterhin auf ein abwechslungsreiches Programm in Anzing freuen darf.

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Quelle:
SZ vom 01.03.2019
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