Süddeutsche Zeitung

Hommage an einen besonderen Künstler:Geräusch in Farbe, Bild in Schwarzweiß

Improvisation für Ohr und Auge: Eine Woche lang frönt Ebersberg der Kunst des britischen Musikers Fred Frith

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Ein Strahlen geht übers Gesicht von Max Bauer, wenn man ihn auf Fred Frith anspricht. Dieser Film damals, der habe seinem Leben eine neue Richtung gegeben sagt der Ebersberger dann. "Step Across the Border", entstanden 1990, ein Porträt des britischen Improvisateurs, Komponisten und Gitarristen Fred Frith. Aber es waren nicht die fantastischen Bilder, sondern die Töne, sagt Bauer, der zu Deutschlands versiertesten Geräuschemachern zählt. Für manche, die den Film sahen, war es die erste, für fast alle von ihnen aber die tiefst greifende Berührung durch improvisierte Musik, die sie bis dahin zugelassen haben - eine Berührung, die mit Physis weniger zu tun hatte als mit Psyche. Was ein Musiker wie Fred Frith mit Hilfe seiner Instrumente kommunizierte, das waren keine Melodien, das war der Klang der Welt, wie sie ihn umgab und wie sie sich in ihm abspielte. So unvermittelt und ehrlich ging er damit um, dass es nur die Wahl gab zwischen Annehmen oder Weggehen. Ein Dahinplätschern im Hintergrund lässt diese Musik nicht zu, ein Vergessen oder Ignorieren auch nicht. Warum? Fragen wir Max Bauer und denken über den Begriff "einzigartige Improvisation" nach.

Man kann sich den Film heute im Internet ansehen, aber das führt letztlich zu nichts. Wie er dagegen von einer Leinwand zu uns spricht, wie die anderen um uns herum darauf reagieren, dieses Medium und diese Stimmung braucht es, damit mehr bei uns ankommt als Bilder und Töne. Obwohl diese Abschlussarbeit an der Münchner Filmhochschule von Nicolas Humbert und Werner Penzel durchgehend in Schwarzweiß gedreht ist, findet man sich als teilnehmende Figur leichter und schmerzloser hinein als in farbige Bilder, von denen man weiß, dass sie gestellt wurden, nicht erlebt.

Erst unlängst haben sich Filmemacher Humbert und der französische Komponist und Sounddesigner Marc Parisotto noch einmal des Stoffs angenommen, aus dem vor fast dreißig Jahren eine Improvisation über einen genialen Improvisateur entstanden war. Aus einer Blechkiste haben sie 33 Stunden Musik und Klänge gefischt, verteilt auf 100 Tonbänder, keines davon länger als 20 Minuten. Sie haben sich dann von ihrem Handwerk insofern verabschiedet, als sie nur den Ton von damals nahmen und ihn in eine neue Form fügten, in ein Hörspiel - eine derzeit von Hörbüchern und Podcasts leicht ins Abseits gedrängte, aber gleichwohl von Kennern noch immer hochgeschätzte Form dramatischer Kunst. Mehr noch als beim Buch, das geschriebene Sätze in unser Hirn fließen und dort arbeiten lässt, beschäftigten uns die Geräusche eines Hörspiels, jene unabsehbaren Signale und Interpretationen, in ihrer Winzigkeit oft mächtiger als große Worte. Die Suche nach Vertrautem, das Enträtseln des Fremden, die Orientierung in Raum und Zeit - erst über das Ohr gewinnt das oft beschworene "Kino im Kopf" jene zusätzliche Dimension, die zwischen Vorstellung und Leben liegt.

Mit dem Titel "Cut up the Border" spielen Humbert und Parisotto auf eine Schnitttechnik an, ein "literarisches Montageverfahren", wie sie es nennen, bei denen sich aus dem Aneinanderfügen von Geräuschen ein neues Ganzes ergibt, eine Erzählung, wie man sie so nirgendwo sonst und noch nie zuvor gehört hat. Wobei sie, frech, den Fortschritt proklamieren, vom Schritt über die Grenze hin zur Zerstückelung derselben - mit dem gar nicht paradoxen, sondern hoch logischen Ergebnis, dass erst der Schnitt das Ganze freisetzt.

Die Bilder, von Humbert und Penzel damals zu einem Film geschnitten, sie bleiben nun der Neugier, der Fantasie, der Obhut des Zuhörers überlassen. Schon ziemlich spannend wird's, wenn man sich das Hörspiel in der Mediathek von Bayern 2 anhört und vergessen hat, dass nebenan noch die Spülmaschine läuft. Oder man zwischendrin den Drucker aktiviert. So zwanglos und freundlich fügen sich die Geräusche in das Szenario ein, dass sich weder die Ohren, noch der nachgeschaltete Gehirntrakt darüber wundern, was da passiert. Im Gegenteil; man ist vielmehr geneigt, noch ein bisschen mitzusummen oder einen Anruf aufs Handy herbeizusehnen, das auf Vibrieren geschaltet ist, aber auf dem Brotkasten liegt.

Solchen Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen, dafür öffnen sich den Ebersbergern in diesen Tagen gleich mehrere Frith-Fenster: Zur Einstimmung ist an diesem Mittwochabend, 23. Oktober, im Alten Kino der Film "Step Across the Border" zu sehen. Die Macher haben sich dafür zwischen 1987 und 1990 an die Fersen von Fred Frith geheftet, ihn quasi auf Schritt und Tritt verfolgt. Die Regisseure filmten ihn mit befreundeten Kollegen (Joey Baron, Tom Cora, John Zorn, Cyro Baptista, Arto Lindsay) in Tokio, Verona, Leipzig, London, New York und Zürich und hielten mit der Kamera fest, wie die Künstler in ständig wechselnden Konstellationen Musik machten. Sie sind zu erleben im Probenraum, im Studio und auf der Bühne, in Interviews erklären sie ihre Kunstvorstellungen, es gibt Szenen im Hotelzimmer und auf dem freien Feld.

Fred Frith

Als Fünfjähriger hatte Fred Frith unter dem Klavier gesessen und den Vater Debussy spielen hören; später lernte er Geige und Klavier. Als 19-jähriger Gitarrist gründete er 1968 "Henry Cow", jene britische Art-Rock-Band, die mit einem Fagott und superkomplexen Stücken in der Avantgarde den Ton angab. Heute ist Frith 70 - und macht auf seiner Geburtstagstour Station im Alten Kino. Der Improvisateur, Komponist und Multi-Instrumentalist, der lachende Außenseiter zwischen Rock und Jazz, Improvisation und Komposition, führt sein Trio aus der Bay Area mit einer zweiten CD weiter: "Closer to the Ground". Frith verarbeitet darin Erfahrungen aus der Rock'n'Roll-Zeit und kombiniert sie mit eigenwilliger Spielweise und höchst persönlichem Sound. Der Jazzkritiker Raul da Gama schrieb: "Drei außergewöhnlich kreative Musiker spielen eine Musik, wie wir sie zuvor noch nie gehört haben." sz

Am Samstag dann, 26. Oktober, in der Galerie des Kunstvereins, wird das Hörspiel "Cut up the Border" live mit weiterer Musik, mit Geschichten und Geräuschen neu gemischt - unter anderem von Max Bauer, der sich schon "riesig darauf freut" und den dann "jeder fragen darf, was an Geräuschen so faszinierend ist". Die Woche darauf schließlich, am Donnerstag, 31. Oktober, ist das Original im Alten Kino zu hören: Das Fred Frith Trio und die dänische Saxofonistin Lotte Anker kommen zum Improvisieren vorbei. Man darf sich also auf Erstaunliches einstellen und auf Gänsehaut.

Karten für das Konzert gibt's unter www.kultur-in-ebersberg.de, (08092) 255 92 05 oder im Foyer des Alten Speichers. Beginn ist um 20.30 Uhr, Einlass um 19.30 Uhr. Der Kauf eines Tickets beinhaltet freien Eintritt zu den beiden anderen Fred-Frith-Veranstaltungen in Ebersberg.

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Quelle:
SZ vom 23.10.2019
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