Das schönste Grün wächst im eigenen Garten. Wenn man es lässt. Und es so pflegt, dass es seine ganz eigenen Qualitäten am besten entfalten kann. Bestaunen lässt sich das Ergebnis in einem zertifizierten Naturgarten wie dem von Marianne Wimmer in Hohenlinden. Nicht von ungefähr lädt die Kräuterpädagogin regelmäßig zu Führungen ein – für die die Teilnehmer nicht weit zu laufen brauchen. Und sie brauchen sich auch keine Gedanken darüber zu machen, dass sie irgendwelche Rückstände zu sich nehmen, wenn sie sich bücken und einfach pflücken, was hier wächst. „Mein Garten hat noch nie ein Düngemittel gesehen.“
An diesem Nachmittag im Juli – die Sonne zeigt sich zur Abwechslung von ihrer freundlichen Seite – hat sich eine Gruppe der Offenen Behindertenarbeit (OBA) des Kreisverbands Ebersberg im Bayerischen Roten Kreuz zu einer Wildkräuterführung angekündigt. Bildungs- und Freizeitaktivitäten gehören zu den regelmäßigen Angeboten der OBA. Sie bietet Menschen mit Behinderung Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Judith Nanasi und eine weitere Mitarbeiterin der OBA sind als Begleiterinnen dabei.
Über dem Teich im Garten jagen Schwalben nach Insekten
Erwartungsvoll haben sich drei junge Frauen und drei Männer mit den zwei Begleiterinnen in der Erdgeschossküche versammelt, von der es in den Garten hinausgeht, mit seinen Schuppen und Beeten, einem Teich, über dem Schwalben nach Insekten jagen und einem Gewächshaus, in dem Tomatenpflanzen bis an die Decke wachsen.

Erste Station: Brennnesseln. Sie wachsen zwischen dem Gewächshaus und einem Schuppen – und die allermeisten Gartenbesitzer würden wohl schnellstmöglich versuchen, ihnen den Garaus zu machen. „Vorsicht, der brennt“, ruft auch gleich einer der Teilnehmer, der sich ganz offenbar ein bisschen auskennt mit Pflanzen. „Nicht, wenn ich weiß, wie ich ihn anfassen muss“, erwidert die Kräuterpädagogin und pflückt ein paar junge Brennnesseltriebe ab, indem sie sie vorsichtig von unten hingreift, die Blattunterseite ist ungefährlich. „Ein Superfood“, kommentiert sie. Vitamine C und A, Kalium, Magnesium, Kalzium, all das ist drin in den Blättern der Pflanze, die 2022 sogar zur Heilpflanze des Jahres gekürt wurde. Das „Unkraut“ kann aber noch viel mehr: „Hier legt das Tagpfauenauge seine Eier ab“, erzählt Wimmer. „Und noch was“, ruft Wimmer, bevor sie die kleine Gruppe ein paar Meter weiter führt: „Gebacken in Pfannkuchen sind sie eine feine Nachspeise.“

Zwischen den Tomaten, im Innern des Gewächshauses macht die Gartenbäuerin gleich auf die nächste Spezialität aufmerksam. Die Melde – wer kennt sie nicht? –, die Gesichter um sie herum jedenfalls offenbaren ein paar Fragezeichen. Wimmer aber hat schon ein paar der an Birkenblätter erinnernden aber krautig an dicken Stengeln angeordneten Meldentriebe gepflückt und bietet sie ihren Besuchern zum Naschen an – und gleich verschwinden die grünen Blätter in den Mündern der Teilnehmer.

Forstinninger Hofkücherl:"Ganz ohne Chi-Chi"
Manuel Faltermeier und sein Team vom Ma'Roots arbeiten in der Traditionsgaststätte mit althergebrachten Zutaten und neuen Ideen. Nachhaltigkeit und Wertschätzung stehen für sie an erster Stelle.
Unter einer kleinen Gruppe von Obstbäumen um eine riesige Kirsche herum dürfen die Teilnehmer nach dem nächsten Wildkraut suchen. Der Löwenzahn findet sich hier in verschiedenen Formen, alle aber könne man für Salat verwenden oder die Kräuterbutter, die für später noch auf dem Programm steht. Dass er ein bisschen bitter ist, wie eine der jungen Frauen feststellt, liege an der milchähnlichen Flüssigkeit im Innern des Stils, erzählt Wimmer. „Den entfernen wir“, ergänzt sie und macht vor, wie es geht. Nach kurzer Suche drücken ihr die Teilnehmer so viel Löwenzahn in die Hand, dass der Hase in einem großen Laufstall auch noch was bekommt.

Dass der Spitzwegerich, ein wenig zerdrückt und auf frische Mückenstiche gepresst, das Jucken im Keim erstickt, können die Teilnehmer gleich am eigenen Leib ausprobieren. Das satte Grün im Hohenlindener Garten von Marianne Wimmer mögen die nervigen Stechviecher ebenso wie die Heuschrecken, die scharenweise aus dem Gras springen und die Schmetterlinge, die zwischen den Blüten von Oregano, Olivenkraut und anderen mediterranen Köstlichkeiten in einem bunten Kiesbeet herumschwirren.

Ob es die vielfältigen Eindrücke aus dem Gartenparadies sind, die bei der Gruppe am längsten hängen bleiben werden? Oder der Geschmack der frisch gekochten Kartoffeln, die Marianne Wimmer schon vorbereitet hat und unter großem Hallo der Teilnehmer zusammen mit den live zu Kräuterbutter und -Quark verarbeiteten Kräutern serviert? Am Tisch wird noch ein bisschen diskutiert, vor allem über den Löwenzahn, der, wie Marianne Wimmer beisteuern kann, auch Milchlätschn oder Milliblätschn heißt, in Franken auch Bettsoacha – „weil er so treibt.“
Ein großer Stößel, ein Mixgerät, die Wildkräuter, Butter oder Quark und ein bisschen Salz und Pfeffer reichen aus, um aus den nackten Kartoffeln eine feine Mahlzeit zu machen. Ungewaschen und roh übrigens sollten die Kräuter sein, wenn sie in die Butter kommen, erklärt Wimmer. „Mit dem Waschen gehen die ganzen ätherischen Öle verloren, und genau die sind es, die wir haben wollen.“ Selbst der ungeliebte Giersch – ausgemachter Feind eines jeden Ziergartens und bevorzugtes Opfer sämtlicher Elektrorasenmäher – lasse sich in Butter oder Quark mischen. Er ist sogar besonders gesund. Seine Inhaltsstoffe sollen nicht nur Harnsäure neutralisieren und Gelenkschmerzen mildern, sondern auch noch antikarzinogene Wirkung haben. Merke: „Kräuter kann man nie genug in den Mixer geben.“