Im Ebersberger Forst verflechten sich Natur und Kultur, Tradition und Wandel. Kein Wunder also, dass das Jahrbuch des Historischen Vereins für den Landkreis Ebersberg in seiner 26. Ausgabe diesem zentralen Thema besondere Aufmerksamkeit schenkt. Wie der Vereinsvorsitzende Bernhard Schäfer im Vorwort hervorhebt, war der Umgang mit dem Wald schon immer umstritten. Heute sind es Windkraftanlagen, früher ging es um persönliche Bereicherung und politische Machtkämpfe. Die Beiträge dieses Jahrbuchs werfen Schlaglichter auf die Geschichte der Region, von selbstherrlichen Förstern und kunstvollen Stuckarbeiten bis hin zu großen Reformen und gesellschaftlichen Konflikten.
Hans Absall, Förster am Oberen Ebersberger Forst
Winfried Freitag nimmt die Leser mit ins späte Mittelalter und stellt Hans Absall vor, einen Mann, der den Forst nicht nur für die Allgemeinheit verwaltete, sondern ihn auch als persönliche Einnahmequelle betrachtete. Absall war Förster, aber auch Richter, Kontrolleur und Händler in einer Person. Bei Regelverstößen pfändete er Tiere und Gegenstände, ließ sich jedoch häufig in Form von Naturalien oder Arbeitsleistungen besänftigen. Auch anderweitig konnte man sich seine Gunst erkaufen: Freitag beschreibt den Fall von Ull Lenntz aus Staudach, dem der Förster gestattete, seine Pferde im Wald weiden zu lassen. Im Gegenzug gab dieser ihm „ain smaltz knollen“ – eine Portion Schmalz.
Doch der andauernde Amtsmissbrauch blieb nicht unbemerkt: Herzog Albrecht IV. griff ein, strich Absalls Rechte und übertrug die forstwirtschaftliche Kontrolle der herzoglichen Verwaltung. Der Beitrag ist ein spannendes Porträt und zeigt, wie Verwaltung und persönliche Interessen miteinander kollidieren können – ein Konflikt, der nicht an Aktualität verloren hat.
Monogramm A – eine mögliche Spur zu Wolfgang Leb als Holzbildhauer?

Ferdinand Steffan widmet sich einem Rätsel der Kunstgeschichte: Dem Monogramm „A“, das auf vielen sakralen Kunstwerken in der Region zu finden ist. Könnte es ein Hinweis auf Wolfgang Leb, einen spätgotischen Bildhauer, sein? Durch präzise Vergleiche zwischen Skulpturen wie der heiligen Katharina in Haselbach und datierten Arbeiten Lebs versucht der Autor, diese Frage zu klären. Besonders spannend sind die Parallelen in den Details: Stilisierte Schwertknäufe und kunstvoll gestaltete Gesichtszüge deuten auf eine mögliche Verbindung hin.
Der Beitrag bietet darüber hinaus Einblicke in die Werkstätten vergangener Jahrhunderte: So konnte etwa im Winter nicht draußen an Steinen gearbeitet werden, sondern nur in geheizten Werkstätten. Die hieraus entstandenen Werke hießen „Winterarbeit“. Der Text macht deutlich, wie lokale Künstler im Kontext ihrer Zeit Werke schufen und dabei regionale Identität mit prägten.
Gabriel Zöpf und die Stuckornamente der Kirche Sankt Martin in Zorneding

Natascha Niemeyer-Wasserer enthüllt ein lange verborgenes Geheimnis der barocken Baukunst: Gabriel Zöpf, ein Mitglied der berühmten Wessobrunner Schule, ist wahrscheinlich der Meister hinter den prachtvollen Stuckverzierungen der Zornedinger Kirche. Der Beitrag erzählt von Zöpfs beruflichem Werdegang, seiner Heirat in Attel und seiner Zusammenarbeit mit dem Maurermeister Thomas Mayr.
Durch detaillierte Stilanalysen zeigt Niemeyer-Wasserer, wie Zöpf mit seinen Ornamenten – Muschelformen, Engelsköpfen und floralen Mustern – die künstlerische Blütezeit des Barock in der Region mitgestaltete. Der Artikel verbindet Biografie und Kunstgeschichte zu einem lebendigen Bild der damaligen Zeit.
Zwischen Aufklärung, Empfindsamkeit und Romantik – das Ebersberger Land im Spiegel der Reiseberichte des ausgehenden Ancien Régime

Thomas Freller nimmt historische Reiseberichte als Grundlage, um die Entwicklung der Wahrnehmung des Ebersberger Landes zu analysieren. Von der Aufklärung bis zur Romantik wandelte sich die Sicht auf die Landschaft: Während sie zunächst als wirtschaftlicher Raum gesehen wurde, betonte man später ihre emotionale Wirkung und Schönheit.
Der Beitrag zeigt, wie sich die Perspektive auf das Ebersberger Land veränderte – und mit ihr die Stellung der Region im kulturellen Gedächtnis. Freller macht deutlich, dass auch scheinbar objektive Beschreibungen immer vom Zeitgeist geprägt sind.
Franziska Lechner – Heilige oder Kupplerin?

In seinem provokant betitelten Beitrag erzählt Erich Schechner die Geschichte der Nonne Franziska Lechner. Diese außergewöhnliche Frau des 19. Jahrhunderts gründete 1867 in Ebersberg eine Kinderbewahranstalt. Lechner war eine Pionierin der sozialen Arbeit, doch ihre Methoden sorgten auch für Kritik: Sie brach mit Gönnern und legte sich mit Mitschwestern an, was ihr einen zweifelhaften Ruf einbrachte.
Der Beitrag verfolgt das Leben Lechners von ihrer Kindheit und Jugend über ihr Erwachsenenalter bis zu ihrem Tod und zeigt viele der Schwierigkeiten auf, mit denen sich Frauen in dieser Zeit konfrontiert sahen, die sich nicht in die ihnen zugeschriebenen Rollen fügten.
Sankt Nikolaus in Parsdorf – eine Kirche mit falschem Baudatum

Karl Müller deckt auf, wie ein Lesefehler die Feierlichkeiten zum 400-jährigen Bestehen der Parsdorfer Kirche auf das Jahr 1873 datierte – obwohl sie tatsächlich 1457 erbaut wurde. Erst über ein Jahrhundert später stellte eine kunsthistorische Untersuchung den Fehler klar. Müllers Beitrag zeigt, wie wichtig die korrekte Deutung historischer Quellen ist und wie leicht auch seriöse Forschung ins Stolpern geraten kann.
Die „Altschützen“ Vaterstetten – Ein Auszug aus der Chronik

Müller widmet sich auch der Chronik der Altschützen Vaterstetten und zeigt, wie Vereinsgeschichten ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen sein können. Gegründet im Jahr 1897, durchlief der Verein politische Umbrüche und wirtschaftliche Krisen und blieb dabei doch ein wichtiger Bestandteil des sozialen Lebens in der Gemeinde. Der Beitrag schildert mit viel Empathie, wie die Tradition des Schießens die Gemeinschaft stärkt und gleichzeitig das kulturelle Erbe bewahrt.
Im Sturm der Landkreisreform – Ebersberg bleibt unversehrt, Wasserburg verschwindet

Peter Maicher lässt die bewegten Zeiten der Landkreisreform von 1972 wieder aufleben. Ebersberg kämpfte erfolgreich um seine Eigenständigkeit, während der Landkreis Wasserburg seine Selbständigkeit verlor. Maicher beschreibt nicht nur die politischen Auseinandersetzungen, sondern auch die emotionalen Reaktionen der Bevölkerung. Sein Beitrag zeigt, wie tiefgreifend Reformen die Identität und das Selbstverständnis einer Region beeinflussen können.
Die Beiträge des Jahrbuchs bilden ein Kaleidoskop der Ebersberger Geschichte. Sie zeigen, wie eng persönliche Schicksale, kulturelle Leistungen und politische Entwicklungen mit der Landschaft des Landkreises verbunden sind. Der Ebersberger Forst als Leitthema ist dabei mehr als ein Wald – er ist ein Symbol für die Balance zwischen Bewahren und Verändern. Das Jahrbuch lädt dazu ein, sich dieser Geschichte zu nähern und sie als Teil der eigenen Identität zu begreifen.