Süddeutsche Zeitung

Schloss Hirschbichl:Adelssitz, Wirtschaft, Galerie

Sogar ein Münchner Bürgermeister gehörte einst zu den Eigentümern von Schloss Hirschbichl. Er vermachte das Gebäude an ein Kloster - wohl, um sein Seelenheil zu retten.

Von Michael Haas, Emmering

Es muss ein buntes Fest gewesen sein an jenem 21. Juni kurz vor der Jahrhundertwende. Vielleicht war es 1898, vielleicht auch 1899, so genau kann man das heute nicht mehr sagen. Klar aber ist: Der Veteranenverein der Gemeinde Emmering hat mit Musik, Tanz und der "Bewohnerschaft von der ganzen Umgebung" gefeiert. So stand es im "Ebersberger Anzeiger" in der damaligen Einladung zur "Garten-Musik" in Hirschbichl. Es ist eines der wenigen Zeugnisse aus der damaligen Zeit, unterschrieben von Josef Fischer, dem Schlosswirt.

Er hatte das Gebäude 1867 gekauft und in der Folge erstmals in der etwa 450-jährigen Geschichte von Hirschbichl für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Nach Jahrhunderten als Wohngebäude wurde das Schloss zur Gastwirtschaft, einem Zentrum des kulinarischen und öffentlichen Lebens im umliegenden Dorf und dem Vereinslokal der "Feuerschützengesellschaft Hirschbichl". Bis 1918 wurde im ehemaligen Adelssitz gegessen und getanzt, dann begannen fast hundert bewegte Jahre voller Besitzerwechsel.

Dabei hatte in dem Schloss auf dem kleinen Hügel nördlich von Emmering immer Kontinuität geherrscht. Mehr als 300 Jahre lang diente es dem Adelsgeschlecht der Hirschauer als Edelsitz. 1417 wird das Schloss mit dem Namen Hirschbichl erstmals erwähnt, auch als "Hirschberg" oder "Hirschbüchel" taucht es fortan in Berichten und Artikeln auf.

Keine Ausbeuter

Erster aus dem altbayerischen Geschlecht in dem Schloss war wahrscheinlich Caspar Hirschauer, ein herzoglicher Rat, eine Art Beamter für diplomatische Aufgaben, Verwaltung oder Gerichtsdienste. Auch seine Nachfahren dienten den bayerischen Herrschern in hohen Ämtern, als Landrichter oder Kastner. Einer der bekanntesten Besitzer, Balthasar Hirschauer, war Ende des 15. Jahrhunderts Probst in Berchtesgaden, noch heute erinnert ein Relief in der Stiftskirche an ihn. Andere verschlug es bis nach Franken und Südtirol.

Über die Jahrhunderte blieb die Hofmark Hirschbichl relativ klein, vor allem kleine Bauern, Bediensteten und Tagelöhner der Hirschauer lebten in den etwa 20 Anwesen. Schlecht ging es ihnen hier nach allem, was überliefert ist, aber nicht. Die Hirschauer seien keine Ausbeuter gewesen, sagt der ehemalige Emmeringer Bürgermeister und Ortschronist Pankraz Spötzl.

Nach dem dreißigjährigen Krieg musste das Schloss Mitte des 17. Jahrhunderts wiederaufgebaut werden. Es sei "in Feindszeiten durch die Schweden zwar stark verwüstet, jedoch widerum erhebt" worden, schreibt der Kupferstecher Michael Wening um 1700. Der untere Teil sei aus Stein, der obere Teil aus Holz wiedererrichtet worden. Spätestens zu dieser Zeit erhielt das spätgotische Schloss auch sein heutiges Aussehen mit den charakteristischen vier Bodenerkern an den Ecken und dem steilen Satteldach.

Die Herrschaft der Hirschauer hatte vor allem für die örtliche Kirchengemeinde große Vorteile. "Sie waren recht religiös, einige wurden sogar Priester", sagt Spötzl. In der Emmeringer Kirche erinnert noch heute ein Grabstein an die letzte Hirschauerin in der Gemeinde, Eva Katharina. Als "Guttäterin" wird sie dort gewürdigt, sie hatte der Gemeinde und der Pfarrkirche vieles gestiftet. 1726 starb sie unverheiratet und wohl kinderlos, nachdem sie bereits vier Jahre zuvor das Schloss verkauft hatte - die Zeit des Adelsgeschlechts in Schloss Hirschbichl war zu Ende.

Sogar ein Münchner Bürgermeister residierte auf Hirschbichl

Neuer Besitzer wurde der ehemalige Bürgermeister von München, Georg Ignaz von Schobing, der das Schloss allerdings schon wenige Jahre später testamentarisch an das Kloster Rott am Inn vermachte - damals eine übliche Praxis. "Wahrscheinlich wollte er sein Seelenheil retten", sagt Spötzl. Doch auch im Besitz der Kirche blieb Hirschbichl nur kurz, das Kloster verkaufte das Schloss an einen anderen ehemaligen Münchner Bürgermeister weiter. Auch die folgenden Besitzer stammten meist aus der nahen Metropole. "Das war eine Zeit, in der viele reiche Münchner geschaut haben, dass sie Adelssitze im Umland kaufen", erzählt Spötzl.

Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts geht das so, letzter adeliger Besitzer des Schlosses wird 1845 der Staatsrat Joseph Freiherr von Hazzi. Dem Verwaltungsrat gehörte auch das Schloss Elkofen, in seinem "Monatsblatt für Bauwesen und Landesverschönerung in Bayern" und anderen Publikationen erfasst er den Freistaat als einer der Ersten statistisch. Von Hazzi kauft das verwahrloste Gebäude und renoviert es vollständig.

Arbeitsmaiden des Reichsarbeitsdienstes

Nach seinem Tod übernimmt das Bürgertum Schloss Hirschbichl, nach Fischers Gastwirtschaft zieht 1924 ein Kinderheim vom pfälzischen Bad Dürkheim in die heutige Gemeinde Emmering. Das Schloss sei wegen seiner günstigen klimatischen Lage ausgewählt worden, berichtet der Leiter des Heims, Doktor Brack, in einer Broschüre aus der damaligen Zeit. Hauptaufgabe des Heims war es demnach, "die Kriegs- und Nachkriegskinder, die durch die Ungunst der Verhältnisse sich nicht genügend widerstands- und leistungsfähig entwickeln konnten, zu fördern und auf das erreichbare Höchstmaß zu bringen."

Buben im Alter von drei bis zwölf Jahren, Mädchen bis zu 16 Jahren werden in Hirschbichl untergebracht. Dafür werden die verhältnismäßig großen Räume des Schlosses mit Holzplatten aufgeteilt. Eine Arbeit, die sich mit Blick auf die folgenden Jahrzehnte gelohnt hat. Denn kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges erwirbt 1938 ein Konsortium des Landkreises Ebersberg das Gebäude und vermietet es an einen nationalsozialistischen Verein. Etwa 50 Mädchen und junge Frauen werden in den folgenden Jahren in Hirschbichl untergebracht, während sie als Arbeitsmaiden des Reichsarbeitsdienstes auf umliegenden Höfen mitarbeiten müssen.

1944 übernimmt dann der Landkreis selbst das Schloss und baut es nach Kriegsende zur Unterkunft für Flüchtlinge und Heimatvertriebene um. Komfortabel ist das Leben damals nicht - bis zu 15 Familien leben gleichzeitig in Hirschbichl, fließendes Wasser und eine Zentralheizung gibt es noch nicht. "Es war wohl sehr beengt und chaotisch", sagt Spötzl. Regelmäßig wechselte die Belegung des Schlosses, am Hang legten die Familien kleine Gärten an, um sich wenigstens gelegentlich mit frischem Obst und Gemüse versorgen zu können.

Als die Flüchtlinge weniger werden, machen sich die Verantwortlichen Gedanken über eine neue Nutzung für das Schloss. Ein Altersheim scheint möglich, ebenso die Unterbringung der Emmeringer Schule in dem ehemaligen Adelssitz. Letztendlich scheitern die Pläne aber am Denkmalschutz. "Es wären nur maßvolle Veränderungen möglich gewesen", erzählt Spötzl. 1981 findet sich doch noch eine Lösung: Das Schloss wird renoviert, der Kunstverein Ebersberg bezieht sein neues Domizil im Norden von Emmering. Hirschbichl blüht auf, regelmäßig werden Ausstellungen und Konzerte veranstaltet, Höhepunkt sind die jährlichen Herbstfeste des Kunstvereins.

Als sich 1999 die Möglichkeit bietet, in die alte Brennerei nach Ebersberg umzuziehen, greift der Kunstverein trotzdem zu. Zu abgelegen ist Hirschbichl, zu teuer waren die laufenden Instandhaltungsarbeiten an dem jahrhundertealten Schloss. Wenige Monate später verkauft der Landkreis das Gebäude für zwei Millionen Mark an einen Privatmann. "Wir haben das in der Gemeinde damals schon bedauert", erinnert sich Spötzl.

Heute ist das Schloss aus der Umgebung kaum noch einsehbar, zahlreiche Bäume versperren den Blick. Wo früher Kinder spielten und im Winter Schlitten fuhren, steht heute meterhoch Gras, gelegentlich sind Rehe auf dem Grundstück unterwegs.

Auch im Ortsteil Hirschbichl selbst ist das Schloss kaum zu sehen. Eine schmale Straße zwischen Bauernhof und Gartenzaun führt hinauf, einziger Hinweis auf das kleine Schmuckstück am Ende ist ein Straßenschild: "Schloßweg". Wenige Meter weiter wird aus der asphaltierten Straße ein Kiesweg. Eine metallene Kette ist quer gespannt. "Privatgrundstück. Betreten verboten" steht auf einem Schild, links und rechts wächst das Gras, dazwischen ist die rot-weiße Türe zu erkennen. Auf dem weißen Briefkasten steht schlicht und unscheinbar: "Schloßweg 5".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2512886
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.06.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.