Hilfsangebote in Ebersberg:Wenn's nicht mehr geht

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Vor und nach den Weihnachtsfeiertagen gehen viele Anrufe bei den Ebersberger Notfall-Beratungsstellen ein

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Alexander Fischhold, Leiter der katholischen Telefon-Seelsorge der Erzdiözese München Freising, übernimmt auch selbst Telefondienste. (Foto: Robert Haas)

Über die Weihnachtstage klingeln sie eher selten, die Telefone der Notrufnummern. Gemeint sind nicht Polizei, Feuerwehr oder Rettungsdienst, sondern die Notrufe für Fälle, bei denen eine psychische Extremsituation im Vordergrund steht: der Ebersberger Frauennotruf, der Krisendienst der Sozialpsychiatrischen Dienste (SPDI) für den Kreis Ebersberg sowie die katholische und die evangelische Telefon-Seelsorge. Die Anlaufstellen sind sich einig: "Am meisten haben wir immer an den Tagen nach Weihnachten zu tun", so etwa Alexander Fischhold, Leiter der Telefonseelsorge der Erzdiözese München Freising, die auch für den Landkreis Ebersberg zuständig ist. Vonseiten der SPDI und des Frauennotrufs kommt noch hinzu: "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass auch vor den Feiertagen ein hohes Beratungsaufkommen da ist", wie Birgit Dimotsios vom Frauennotruf sagt.

Im Grunde ließe sich die Situation an Weihnachten mit einem Lockdown vergleichen, der in diesem Jahr nun auf die Feiertage noch zusätzlich einwirkt, so Dimotsios weiter: Die Familien sind zusammen, die Kinder haben Schulferien, viele Erwachsene Urlaub - alle sind zu Hause. "Da gibt es einfach weniger Möglichkeiten, sich bei einer Beratungsstelle zu melden", erklärt Dimotsios, "die Betroffenen sind ja sozusagen nie alleine und finden deshalb keine Rückzugsmöglichkeit, die für einen Anruf notwendig ist."

Beim Frauennotruf ist es für gewöhnlich so, dass Frauen vor den Feiertagen Sicherheitspläne mit den Beraterinnen besprechen. Wenn Frauen in Gewaltbeziehungen leben, dann seien solche Pläne wichtig, so Dimotsios. Denn viele haben Sorge, ihre üblichen Anlaufstellen an und um die Feiertage nicht zu erreichen. Es geht also darum, dass die Betroffenen wissen, an wen sie sich im Falle einer Eskalation wenden können, auch telefonisch. Dimotsios Kollegin Hanna Dott betont: "Wir sind zwischen den Feiertagen zu unseren Bürozeiten erreichbar, an den Wochenenden und Feiertagen sind unsere Ehrenamtlichen rund um die Uhr in Rufbereitschaft.

Eine Rufbereitschaft gibt es auch bei den SPDI in Ebersberg. "Die vergangenen Jahre war es an den Feiertagen eher ruhiger bei uns", sagt Daniela Meier, Teamkoordinatorin vom Beratungsdienst. Es sei aber durchaus schon einmal vorgekommen, dass ihr Team zum Einsatz gerufen wurde. Meistens handelte es sich bei den Fällen um Familienkonflikte.

Die SPDI in Ebersberg arbeiten in einer Doppelfunktion - "wir haben zwei Hüte auf", so nennt es Meier. Zum einen gibt es die reguläre Beratung für Menschen, die einer psychischen Belastung ausgesetzt sind. Die meisten davon begleiten die SPDI über Jahre hinweg, vor allem ältere Menschen. Überwiegend spielen sich die Fälle, in denen es um Weihnachten geht, im Beratungsdienst ab. "Die Betroffenen haben schon zwei Monate davor Angst, weil sie keinen Kontakt zur Familie haben", sagt Meier. "An Weihnachten ist das dann am präsentesten." Im Rahmen des Beratungsdienstes entwickeln Meier und ihr Team mit dem oder der Betroffenen Strategien, damit sie sich gut fühlen und die Einsamkeit nicht das beherrschende Thema wird.

Zum anderen gibt es den Krisendienst für akute Situationen, sozusagen eine SPDI-Notrufnummer. Die Leitstelle dafür ist in München; wer die Nummer des Krisendienstes wählt, landet zunächst dort. Sollte ein Einsatz vor Ort notwendig sein, dann schickt die Leitstelle ein Einsatzteam, das für den Kreis Ebersberg aus dem SPDI-Team um Meier besteht. 90 Prozent der Anrufe können jedoch telefonisch bewältigt werden. Aktuell steht das Ausrückteam bis 22 Uhr zur Verfügung, werktags sowie an Wochenenden und Feiertagen, danach findet der Kontakt ausschließlich telefonisch statt. Laut Meier möchte der Bezirk Oberbayern den Dienst ausbauen, spätestens von Sommer 2021 an sollen die Teams bei Bedarf auch nachts ausrücken.

Ein Ausrückteam bei der katholischen und evangelischen Telefon-Seelsorge gibt es nicht, dafür aber einen Online-Beratungsdienst. Vor allem in diesem Jahr ist diese Möglichkeit stark nachgefragt worden, wie Alexander Fischhold sagt, meist von jüngeren Menschen. Bei der Telefon-Seelsorge der Erszdiözese München/Freising gibt es neben Bad Reichenhall und Mühldorf ein Regionalteam in München, das für das Umland und damit auch für den Kreis Ebersberg zuständig ist. Zwölf Angestellte und 70 Ehrenamtliche gewährleisten dort, dass der Dienst 365 Tage im Jahr 24 Stunden täglich erreichbar ist. Seit Corona gibt es in Poing eine Außenstelle, damit nicht zu viele Berater zur selben Zeit in der Münchner Dienststelle arbeiten; wie bereits im Frühjahr gibt es seit Herbst auch in Tutzing wieder ein Außenbüro.

Die meisten Menschen würden an Weihnachten schon eine Möglichkeit finden, um nicht alleine zu sein, so Fischhold. Viele kehrten danach aber wieder in die Einsamkeit zurück oder haben während der Feiertage Enttäuschungen erlebt - dann treffen in jedem Jahr vermehrt Anrufe bei der Telefon-Seelsorge ein. In diesem Jahr zeichnet sich ab, dass es anders läuft. "Wir haben schon jetzt deutlich mehr zu tun als sonst." Veranstaltungen für Menschen, die ansonsten die Tage alleine verbringen würden, können wegen Corona nicht stattfinden. Das schürt Ängste, wie Fischhold und Daniela Meier von den SPDI sagen. Auch die Belastungen in den Familien seien durch den Lockdown generell höher als für gewöhnlich, ergänzt Fischhold, und diese besondere Situation zu Weihnachten trage nicht dazu bei, die Lage zu entschärfen. Allein während des ersten Lockdowns habe die Telefon-Seelsorge 30 Prozent mehr Gespräche und 40 Prozent mehr Online-Beratungen geführt als im gleichen Zeitraum 2019, wie Fischhold sagt. "Da war aber kein Weihnachten."

© SZ vom 24.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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