Bestimmt die allermeisten der 1507 Moosacher kennen es, das idyllisch an Wiesen und kleines Wäldchen angrenzende Holzhaus, dessen kräftiges Braun harmoniert mit dem Türkis von Dach, Türen und Fensterlaibungen. Ortsunkundigen wiederum verrät das an der Giebelseite angebrachte Schild "Moosach bei Grafing" mit dem charakteristischen, etwas altertümlichen Schriftbild, dass es sich hier um einen alten Bahnhof handelt. Dessen "Güterschuppen" nun aufgrund der jüngst durch die Verwaltungsgemeinschaft Glonn beschlossenen Zulassung als Trauraum zum Startpunkt für ein neues Leben künftiger Eheleute wird.
Zwei davon sind zum Ortstermin mit Bürgermeister Michael Eisenschmid und dem Archivbeauftragten Robert Bauer dazugekommen. Im Juli wollen Andre Geittner und Anette Gorges, die seit sieben Jahren in Moosach leben, sich hier das Ja-Wort geben. Auf die Frage, wer wem den Antrag gemacht habe, lächelt der gebürtige Aachener: "Wir sind seit 19 Jahren zusammen, haben einen gemeinsamen Sohn und ein Haus." Seine Partnerin, die eine niedliche vierbeinige Neu-Mitbewohnerin an der Leine bändigt, ergänzt: "Das Thema war immer da, jetzt haben uns Familie und Freunde festgenagelt."
Von der Möglichkeit, sich statt im Rathaus in dieser "besonderen Location" trauen zu lassen, erfuhr die Sekretärin durch ihr Engagement bei den "Frauen für Moosach". Denn wie der Kulturkreis, die Hammerwerfer, die Motorradfreunde oder der Maibaumverein, hat auch diese überparteiliche Vereinigung politisch interessierter Frauen Zugriff auf die Räume, die in Eigenleistung von den örtlichen Vereinen und Institutionen renoviert wurden und daher für Lesungen, Ausstellungen und andere Veranstaltungen genutzt werden dürfen.
Bis 1971 bestand hier eine Bahnverbindung
Ob sich dabei alle der historischen Bedeutung des einzig "richtigen" Halts auf der Strecke von Grafing Bahnhof nach Glonn bewusst sind, weiß man nicht. Sicher ist jedoch, dass es bestimmt wenig gibt, was Gemeinderat Robert Bauer nicht im Kopf hat über das 1894 von den Königlich Bayerischen Staatseisenbahnen installierte "Agenturgebäude".
Schon seit Jahrzehnten beschäftigt sich der 51-Jährige, der als Zuverlässigkeitsingenieur in der Halbleiterbranche tätig ist, mit der Heimatgeschichte. Für seine Beiträge in der Ortschronik rund um die zwischen 1894 und 1971 bestehende Bahnverbindung hat er bei der Bundesbahndirektion recherchiert, sich in Aufsätze über Fauna und Flora auf den Bahngleisen vertieft, Pläne in verschiedenen Archiven konsultiert und mit zahlreichen Bürgern, auch der Nachbargemeinden, gesprochen. Mag sein, dass Bauers Affinität zum Thema auch mit seiner allerersten Ausbildung zusammenhängt - er hat nämlich einst Energieanlagenelektroniker bei der Bahn gelernt. Aus dieser Zeit stammen auch noch seine guten Kontakte, durch die er den heute als Jugendtreff genutzten Waggon inklusive Gleis und Prellbock beschaffen konnte. "Der stand in Pasing rum", schmunzelt der 51-Jährige.
Nun also thront das Gefährt wenige Meter neben dem "Agenturgebäude", zu dem in Moosach, im Gegensatz zu den nur mit Güterschuppen ausgestatteten reinen Verladepunkten, dank Modulbauweise zusätzlich ein Bahnhof mit Warteraum und Abort gehörte. Hinter der heute noch so gekennzeichneten Tür ist natürlich ein modernes WC zu finden und dort, wo man früher die Zeit bis zur Ankunft oder Abfahrt des Zuges verbrachte, eine Küche untergebracht.
Das neue Trauzimmer wiederum liegt im direkt anschließenden Modul und ist über eine kleine Treppe im Mini-Vorraum mit Ofen zu erreichen, dank dessen Pelletsheizung auch eine winterliche Nutzung kein Problem ist. Derzeit natürlich schmucklos, ist der mit Bestuhlung unter Vor-Corona-Bedingungen auf etwa 20 Personen ausgelegte Raum dennoch ansprechend. Vielleicht liegt es an den weißen Wänden, von denen sich das dunkle Holz eindrucksvoll abhebt, vielleicht aber auch an seiner luftigen Helligkeit. Geschuldet ist diese der bodentiefen Glasdoppeltür, durch die sich die frühere Laderampe betreten lässt, auf die man auch über die sechs flachen Stufen der hölzernen Außentreppe gelangt.
Von dieser Veranda aus fällt der Blick auf die direkt danebenliegenden Wiesen, die sich für einen Sektempfang nach der Trauung eignen. Es müsse wohl 2007 gewesen sein, als der damalige Bürgermeister Siegfried Eisenschmid, Vater des jetzigen Amtsinhabers, den Bahnhof und die anliegenden Grünflächen gekauft habe, sagt Robert Bauer. Michael Eisenschmid erinnert sich, dass man schon im Folgejahr erstmals alles für den Maibaum hergerichtet habe.
"Kein Las Vegas mit Hochzeitstourismus"
Zug und Zug sei alles schöner geworden, inklusive Profibeleuchtung, und nun habe man auch den Anfragen vieler Bürger nachgeben können, an diesem besonderen Ort einen Bund fürs Leben zu schließen.
Übrigens ist es kein Standesbeamter, sondern der Bürgermeister höchstselbst, der die Zeremonie vornimmt - fünf bis sechs Mal hat er das während seiner zweijährigen Amtszeit bereits getan und "bis jetzt halten noch alle", gibt er lachend zu Protokoll. Mit zehn bis zwölf Hochzeiten pro Jahr rechne er für die Zukunft. Er gehe außerdem davon aus, dass vor allem ab 2023 wieder vermehrt Eheschließungen stattfinden werden, "weil ja alles verschoben wurde".
Allerdings macht der 41-Jährige auch deutlich, dass man "kein Las Vegas mit Hochzeitstourismus" werden wolle, sondern bei der Nutzung des Moosacher Güterschuppens die Bürgerinnen und Bürger des Orts Vorrang haben werden. Anfragen könne man natürlich dennoch - und zwar bei einer langfristigen Planung am besten vor der ersten oder zweiten Novemberwoche. Dann nämlich werde bei der Vereinskartellsitzung die Belegung für das Folgejahr festgelegt.
Bekommt man allerdings den Zuschlag für eine Trauung im "Güterschuppen", habe man für die Gestaltung des Termins freie Hand. "Die Grundausstattung kommt von der Gemeinde, die individuelle Dekoration vom Brautpaar. Das entscheidet auch, ob alles mit oder ohne Musik abläuft."