Süddeutsche Zeitung

Heimatverein Pliening:"Einer muss den Hut aufhaben"

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Findet sich für den Heimatverein Pliening keine neue Führung, könnte das auch das Aus für die große Sammlung heimatkundlicher Exponate sein.

Von Alexandra Leuthner, Pliening

Die Schusterwerkstatt ist vielleicht genau der Teil der im ehemaligen Plieninger Wasserhaus gesammelten Geschichte, welcher dem Besucher am meisten im Gedächtnis bleibt. Nicht nur, weil der Geruch nach Leder so schwer hier drinnen hängt, in dem kleinen Raum, ein bisschen separiert vom Rest der etwa 600 Objekte. Sondern auch, weil das Gefühl stehen gebliebener Zeit nirgends so stark ist wie hier vor der Werkbank, auf der Hämmer, Zangen und Ahlen liegen, als hätte der Schuster sie gerade eben abgelegt, um in den Feierabend zu gehen. Oben auf einem Regalbrett warten frisch polierte Paare, Lederschuhe von anno dazumal. Vielleicht sollen sie am nächsten Tag abgeholt werden.

Die Vereinsmitglieder kümmern sich auch weiterhin um die Zeugnisse aus der Ortsvergangenheit

Die Tochter eines Landshamer Schusters hatte die Werkstatt mitsamt allen Ausstattungsgegenständen vor einigen Jahren dem Heimatverein überlassen. Fürs Herrichten, den Einbau im Wasserhaus - und die polierten Schuhe - haben die Vereinsmitglieder gesorgt. Die sich auch weiterhin um Formeisen und Lederstücke, Nähmaschine und Zwirne, um Mistgabeln, blecherne Milchkübel, Großmutters alte Anrichten, antike Radios, die jüngst hergerichtete alte Waschküche im Keller und all die anderen Zeugnisse aus der Ortsvergangenheit kümmern würden, wenn der Verein bestehen bleibt.

Ja, wenn. Denn es fehlt dem Zusammenschluss, der in diesem Juli sein Zehnjähriges feiern könnte, ein Vorsitzender. Seit 2018 Vereinsgründer Stefan Seizl mit dem Motorrad verunglückte, war die Verantwortung in den Händen der Co-Vorsitzenden Beate Erhard gelegen, und die möchte sie nun dringend abgeben. "Ich bin auch bei den Johannitern engagiert", erklärt sie, "und ich muss mich entscheiden, was mir wichtiger ist. Beides schaffe ich nicht." Bei den Johannitern gibt sie Erste-Hilfe-Kurse für Kinder, ebenso wie ihr Mann Werner, der, wie seine Frau, ebenfalls tätiges Mitglied im Heimatverein ist.

Das Ehepaar und Schatzmeisterin Erni Eder, von Anbeginn im Amt, hatten schon gedacht, aufatmen zu können, als sich scheinbar ein Kandidat gefunden hatte, der bei der jüngsten Jahreshauptversammlung vor wenigen Tagen gewählt werden sollte. "Zehn Minuten zuvor hat er abgesagt", berichtet Beate Erhard. Zu spät, jemand neuen zu akquirieren, die stellvertretende Vorsitzende ist vor den Kopf geschlagen, das ist unüberhörbar. "Von den 20 anwesenden Mitgliedern wollte keiner den Ersten machen." Und, fügt sie traurig hinzu, "ich will nicht diejenige sein, die den Heimatverein auflösen muss".

Zumal dann wohl auch das Wasserhaus aufgegeben werden müsste und alles, was darin gesammelt ist, "alles was wir in zehn Jahren aufgebaut haben". Ausgerechnet jetzt, kurz bevor der Heimatverein wohl Ende des Jahres im umgebauten Alten Schulhaus in Gelting einen eigenen Ausstellungsraum von 80 Quadratmetern einrichten könnte, und damit einen Traum von Vereinsgründer Seizl verwirklichen würde, hätte ein solches Ende eine besonders bittere Note.

"Dabei ist ja alles im Team zu organisieren", erklärte Werner Erhard, ein neuer Vorsitzender würde nicht allein gelassen, "aber es muss halt einer den Hut aufhaben." Die Planung des Stefani-Ritts, eine Tradition, die der Verein in seinen ersten Jahren wiederbelebt hat, und die Teilnahme am Christkindlmarkt gehörten dabei zu den Hauptaufgaben. "Das sind mal ein paar Wochen im Jahr, an denen es ein bisschen hektisch wird, aber alle Adressen von Reitvereinen, alle, die angeschrieben werden müssen, haben wir, wir wissen auch, wie viele Leberkässemmeln gekauft werden müssen." Dann stehe natürlich die Ausstattung des neuen Raums in der Alten Schule an, Schaukästen, Lichtanlagen, Feuchtigkeitsmesser müssten dafür angeschafft, eventuell auch Gelder dafür gesammelt werden.

"Spaß muss man halt dran haben, das ist das Wichtigste", sagt Werner Erhard. Und eine Antenne für die Geschichten mitbringen, die sich abgespielt haben zwischen den im Wasserhaus aufgebauten Holzbänken aus der früheren Landshamer Grundschule, dem Lehrerpult und der Kreidetafel, jenem Teil des früheren Schulunterrichts, den heutige Schulkinder, an Whiteboards und Ipads gewöhnt, bald nur noch vom Hörensagen kennen werden, wenn es nicht einen Platz gibt, wo er bewahrt wird. "Zu jedem Ort gehört ein bisschen Heimat dazu - und, dass seine Geschichten weitererzählt werden", sagt Beate Erhard. In vier Wochen wird sie eine neue Jahreshauptversammlung einberufen.

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