Geburtsbegleitung„In der Muttersprache kann man die Nuancen der Gefühle viel tiefer analysieren“

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Laura Hohenegger betreut Frauen von allen Kontinenten. „München ist eine kosmopolitische Stadt“, sagt sie.
Laura Hohenegger betreut Frauen von allen Kontinenten. „München ist eine kosmopolitische Stadt“, sagt sie. (Foto: Christian Endt)

Die Baldhamer Hebamme Laura Hohenegger bietet die Begleitung von Schwangeren in Englisch und Französisch an. Sie sagt: Je nach Herkunft wird Mutterschaft unterschiedlich erlebt.

Interview von Barbara Mooser, Vaterstetten

Eine Schwangerschaft ist für viele Frauen eine großartige Zeit – aber auch eine, in der ihnen wichtig ist, dass sie die beste Betreuung für sich und ihr Kind erhalten. Sprachbarrieren stören hier. Die Baldhamer Hebamme Laura Hohenegger, die aus Nantes in Westfrankreich stammt und seit acht Jahren in Deutschland lebt, bietet daher die Begleitung von Schwangeren auch in Englisch und Französisch an und stößt dabei auf großen Anklang. Auch die Kurse mit ihr, die die Nachbarschaftshilfe Vaterstetten, Zorneding, Grasbrunn neu ins Programm genommen haben, kommen gut an. Im Interview spricht die 38-Jährige darüber, wie Mutterschaft je nach Herkunft unterschiedlich erlebt wird – und über die Herausforderung und Freude, innerhalb eines Tages von Sprache zu Sprache zu springen.

SZ: Was hat Sie dazu motiviert, englisch- und französischsprachige Schwangerenbetreuung anzubieten?

Laura Hohenegger: München ist eine kosmopolitische Stadt. Französisch ist meine Muttersprache, und ich habe mein Englisch verbessert, als ich 2012 meine Karriere als Hebamme in der Schweiz begonnen habe. Englisch ist unerlässlich, wenn wir Frauen und Familien in großen europäischen Städten begleiten. Für mich ist es völlig selbstverständlich, mich den Bedürfnissen anzupassen. Wenn wir Hebammen in der Lage sind, mit den Frauen in der Schwangerschaft, bei der Geburt und im Wochenbett qualitativ hochwertig in ihrer Muttersprache zu kommunizieren, wirkt sich das spürbar auf die Qualität der Betreuung aus.

Sie sind nach eigenen Angaben die einzige Hebamme in München, die Rückbildungskurse auf Französisch anbietet. Wie haben Sie diese Marktlücke entdeckt?

Ich bin nicht die einzige französischsprachige Hebamme in München, aber derzeit die einzige, die Kurse auf Französisch in München und in der näheren Umgebung anbietet. Ich habe mich insbesondere in den sozialen Netzwerken informiert, um das Angebot auf Französisch in München zu beobachten, und habe sogar vor acht Jahren eine Facebook-Gruppe „Les blouses blanches francophones de Munich“ gegründet.

Wie wichtig ist es für Frauen, Unterstützung in ihrer Muttersprache zu erhalten?

Frauen, die wenig oder gar kein Deutsch sprechen, empfinden Stress, wenn sie eine Schwangerschaft in Deutschland erleben. Und oft fragen sie bereits beim ersten Gespräch, ob das Krankenhauspersonal zumindest Englisch spricht. Manchmal fällt der Beginn der Schwangerschaft mit dem Umzug nach Deutschland zusammen. Die meisten Patientinnen sind interessiert und offen dafür, Deutsch zu lernen, aber die Perinatalzeit kann auch eine Zeit der Verletzlichkeit sein, in der alles neu ist und die Priorität nicht darin besteht, eine neue Sprache perfekt zu erlernen, sondern diese Phase bestmöglich zu erleben. In der Muttersprache kann man die Worte und die Nuancen der Gefühle viel tiefer analysieren. Darüber hinaus beeinflusst die Kultur, wie man Mutterschaft und Elternschaft wahrnimmt und erlebt.

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Geburtsvorbereitungs- und Rückbildungskurse sind eine sehr persönliche, intime Sache. Welche Rolle spielt hier die Sprache?

Während eines Geburtsvorbereitungskurses spreche ich viel, aber es ist auch ein Moment des Austauschs mit und zwischen den Paaren. Fragen und Anmerkungen kommen allen zugute. Bei einem Kurs auf Französisch weiß ich, dass das Thema der Periduralanästhesie entscheidend sein wird. Überspitzt gesagt, gilt in Frankreich: Eine erfolgreiche Geburt ist meistens mit Periduralanästhesie verbunden. Ausschließliches Stillen in den ersten sechs Monaten wird nicht unbedingt angestrebt, und ein Elternzeitjahr erscheint lang, sodass die Rückkehr zur Arbeit schnell erfolgen soll. Ich bewerte das nicht, sondern möchte zeigen, dass es in anderen Ländern Alternativen gibt. In Deutschland ist es besonders interessant, da Frauen die Wahl haben, zu Hause, im Geburtshaus oder im Krankenhaus zu entbinden – auf natürlichem Wege oder per Kaiserschnitt. Schon in der Schwangerschaft können sie entscheiden, ob sie überwiegend von einer Hebamme, gemeinsam mit einem Gynäkologen oder ausschließlich von einem Arzt betreut werden möchten. Im Wochenbett können Frauen Hausbesuche durch eine Hebamme in Anspruch nehmen, und Deutschland ist das einzige Land weltweit, das eine solche Nachsorge anbietet.

Wenn ich hingegen Geburtsvorbereitungskurse mit überwiegend indischen Frauen gebe, weiß ich, dass in Indien die Norm ist: Wenn man es sich leisten kann, bezahlt man für einen Kaiserschnitt. Hebammen sind aus der pränatalen und perinatalen Begleitung verschwunden. Für die Paare bedeutet es, dass sie sich wohler fühlen und eher bereit sind, sich einzubringen, wenn der Kurs in ihrer eigenen Sprache stattfindet.

Beim Rückbildungskurs spricht man deutlich weniger. Ziel ist es, die Rolle des Beckenbodens zu verstehen und ihn zu stärken. Deshalb lege ich den Schwerpunkt auf die Atmung, zeige die Übungen und korrigiere die Positionen. Wenn ich diesen Kurs jedoch auf Französisch oder Englisch halte, motiviert das bereits nicht deutschsprachige Frauen, sich anzumelden, da sie sehen, dass der Kurs für sie zugänglich ist.

Aus welchen Ländern stammen Ihre Kundinnen vor allem?

Ich begleite Frauen und Familien aus allen Kontinenten. München ist eine kosmopolitische Stadt, und ich habe das Glück, fast täglich drei Sprachen zu benutzen: Französisch, Deutsch und Englisch. Ich begleite zwar auch einige deutsche Frauen, aber meine Klientel ist sehr vielfältig. Sehr häufig begleite ich Französinnen oder Frankophone, etwa aus Nord- und Westafrika, Inderinnen, Ukrainerinnen, Russinnen, Kroatinnen, Serbinnen, manchmal Nord- und Südamerikanerinnen, gelegentlich auch Chinesinnen und Japanerinnen.

Betreuen Sie auch Geflüchtete?

Ich begleite manchmal auch Geflüchtete oder Asylbewerberinnen. Es kommt vor, dass mich Sozialdienste kontaktieren, da angegeben ist, dass ich Französisch und Englisch spreche. Die wenigen Frauen, die ich bisher begleiten durfte, kamen überwiegend aus französischsprachigen Ländern Afrikas, wie dem Kongo, Niger oder Mali.

Schon in der Schwangerschaft erhalten Frauen auf Wunsch Beratung und Betreuung durch eine Hebamme, ebenso wie während und nach der Geburt. Ein derartiges Angebot kennen viele der Frauen, die Laura Hohenegger betreut, aus ihren Heimatländern gar nicht. 
Schon in der Schwangerschaft erhalten Frauen auf Wunsch Beratung und Betreuung durch eine Hebamme, ebenso wie während und nach der Geburt. Ein derartiges Angebot kennen viele der Frauen, die Laura Hohenegger betreut, aus ihren Heimatländern gar nicht.  (Foto: Annette Riedl)

Spielt es eine Rolle, aus welchem Kulturkreis die Frauen kommen? Also gibt es hier Unterschiede, wie man Themen ansprechen kann oder soll?

Natürlich spielt die Kultur eine Rolle dabei, wie man mit seiner Gesundheit umgeht. Idealerweise werden bestimmte Themen individuell angesprochen, wie zum Beispiel die Beschneidung, die eine weibliche Genitalverstümmelung ist. Ich versuche, ohne Tabus über die Funktionsweise des Körpers und über Sexualität zu sprechen. Ich habe das Gefühl, dass die Informationen im Allgemeinen gut aufgenommen werden. Die tägliche Arbeit mit Frauen zeigt mir auch, dass wir gar nicht so verschieden sind. Eine Frau bleibt eine Frau, egal in welchem Land.

Ist die Atmosphäre in einer englisch- oder französischsprachigen Gruppe anders als in einer deutschsprachigen?

Da Französisch meine Muttersprache ist, gebe ich zu, dass die Gespräche tiefer sind und dass man in manchen Situationen etwas mehr Humor einsetzen kann. Aber ich genieße die Herausforderung, im Laufe des Tages von einer Sprache zur anderen zu springen. In der Pressemitteilung ist die Rede davon, dass in vielen Ländern das Konzept von Rückbildungskursen gar nicht bekannt ist. Wo ist das der Fall – und fällt es Frauen dennoch leicht, sich darauf einzulassen?

Das Konzept eines von der Krankenversicherung übernommenen Gruppenkurses, der die Rückbildung des Beckenbodens nach einer Geburt ermöglicht, gibt es in dieser Form nur in Deutschland. In Frankreich kann die Hebamme individuelle Beratungen zur Beckenbodenrehabilitation anbieten, und für Französinnen sind diese Beratungen wichtig. In anderen Ländern sind es oft Physiotherapeuten, die Einzel- oder Gruppentraining anbieten.

Ich stelle aber auch fest, dass in vielen anderen Ländern das Wissen über den Damm manchmal gar nicht vorhanden ist. Dammschmerzen können vorhanden sein und Frauen leiden manchmal stillschweigend darunter. Wenn sie echte Probleme haben – zum Beispiel Prolaps, Inkontinenz, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Vaginismus oder Vulvodynie – kann dies zu einem Tabuthema werden und sie trauen sich nicht, mit einem Gesundheitsexperten darüber zu sprechen, wissen nicht, dass eine Rehabilitation oder Betreuung möglich ist.

Wenn man den Frauen jedoch das Konzept eines Kurses zur Beckenbodenrückbildung erklärt und dieser zudem von der Versicherung übernommen wird, lehnen sie selten ab und freuen sich auch, andere Mütter mit ihren Babys zu treffen. Der Kurs hat auch einen sozialen Zweck, der es einigen Frauen ermöglicht, aus der Isolation auszubrechen.

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