Hans Vollhardt:"Eine schädliche Entwicklung"

Der frühere Ebersberger Bürgermeister und Altlandrat spricht über die Folgen des Bevölkerungswachstums in der Region, die Notwendigkeit sozialen Bauens und selbstbewussterer Kommunen

Interview von Wieland Bögel, Ebersberg

Die Region München wird immer voller, erst Ende Mai stellte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) aktuelle Zahlen vor. In den kommenden 20 Jahren wird die Zahl der Einwohner im Landkreis Ebersberg um 14,4 Prozent zulegen, nur Dachau wächst mit 15,5 Prozent noch schneller. Was das für den Landkreis und seine Kommunen bedeutet, darüber sprach die SZ mit dem früheren CSU-Bürgermeister der Stadt Ebersberg und ehemaligen Landrat Hans Vollhardt.

SZ: Sie haben die Entwicklung der Stadt und des Landkreises Ebersberg lange Jahre mitverfolgt und mitgestaltet. Wie beurteilen Sie die aktuelle Siedlungsentwicklung in der Region?

Hans Vollhardt: Die jüngsten Prognosen sagen für die Stadt München und ihr Umland eine deutlich stärkere Bevölkerungsentwicklung voraus als bisher befürchtet. Vor allem die Landeshauptstadt begünstigt diese Überhitzung durch eine expansive Ansiedlungspolitik im großen Stil, wohlwissend, dass sie über keine Baulandreserven verfügt, um für ausreichende und bezahlbare Wohnungen für die im Gefolge zuziehenden Arbeitskräfte und ihre Familien sorgen zu können. Der dadurch entstehende Druck wirkt sich äußerst nachteilig auf das Umland aus, was unter anderem zu explodierenden Grundstückspreisen und Mieten auch hier geführt hat. Die Vermehrung der Baulandausweisungen im Umland haben keineswegs die erhoffte Beruhigung der Preisentwicklung gebracht - ganz im Gegenteil. Hinzu kommen neu entstehende Strukturprobleme in unseren Gemeinden. Ich beurteile den gesamten Prozess als eine schädliche Entwicklung, deren inzwischen absehbare Folgen für unsere Gemeinden mich sehr beunruhigen.

Was sind die Ursachen und die direkten Folgen dieser Entwicklung?

Die Intensität hängt unter anderem vom politischen Willen der betroffenen Kommunen ab. Es gibt Gemeinden, die einer Entwicklungsphilosophie frönen, die ohne Rücksicht auf die Identität ihres Ortes und dessen Strukturen die schiere Größe zum Maßstab ihrer Bedeutung erheben und eine expansive Ansiedlungspolitik betreiben. Die infolge steigenden Kosten, Preise und Mieten können sich ansässige Normalverdiener oft nicht mehr leisten. Was ist also damit für die örtliche Gemeinschaft gewonnen? Auch für Natur und Umwelt sind die Folgen schwerwiegend, etwa wenn, wie im Westen des Landkreises, entgegen regionaler Zielsetzungen ein als Frischluftkorridor festgesetzter Grünzug bebaut wird oder überdurchschnittlich viel Freifläche unter Asphalt verschwindet.

Hans Vollhardt: "Pseudotoskanische" Siedlungen wie zum Beispiel in der Kreisstadt gefährden die örtliche Identität, das sagt der frühere Ebersberger Bürgermeister und Landrat Hans Vollhardt.

"Pseudotoskanische" Siedlungen wie zum Beispiel in der Kreisstadt gefährden die örtliche Identität, das sagt der frühere Ebersberger Bürgermeister und Landrat Hans Vollhardt.

(Foto: Christian Endt)

Lässt sich diese Entwicklung überhaupt noch steuern?

Angesichts bayernweit politisch gewollter Expansion wie etwa den Verzicht auf das Anbindegebot für Gewerbegebiete im Außenbereich können wir wohl nicht damit rechnen, dass sich die Einsicht durchsetzt, den Entwicklungsprozess verlangsamen und strukturieren zu müssen. Ich bin aber schon der Überzeugung, dass den Entscheidungsträgern der einzelnen Gemeinden in den Baugesetzen ausreichend Handwerkszeug, etwa Bebauungspläne, zur Verfügung steht, um die Entwicklung ihrer Gemeinde zielgerichtet und ortsverträglich zu steuern. Freilich setzt dies voraus, dass Konsens über die Ziele besteht und mit Stehvermögen den gemeindlichen Strukturen unverträglichen Bau- und Grundstücksinteressen begegnet wird.

Nun gilt die Nachverdichtung ja vielen als Mittel, mehr Wohnraum zu schaffen, ohne zusätzliche Natur bebauen zu müssen. Sollten Städte und Gemeinden mehr im Innenraum bauen lassen?

Auch hier bräuchte es mehr Rücksicht auf die vorhandenen städtebaulichen, kulturellen und sozialen Strukturen. Es wird meines Erachtens zu oft zugelassen, dass neu hinzukommende Projekte die Identität des Ganzen beeinträchtigen. Die Gefahr dabei ist, dass jedes neue Gebäude mit einer höheren Nutzung zu einem kritischen Präzedenzfall für das nächste wird, bis vom ursprünglichen Stadtbild nichts mehr übrig ist. Dies gilt vor allem für die alten Stadt- und Dorfkerne, während in den Bereichen der erst in den letzten Jahrzehnten entstandenen Siedlungsteile Nachverdichtung gute Chancen bietet. Aber auch hier sollten sich neue Gebäude an Vorhandenem orientieren. Zum Beispiel gefährden pseudotoskanische Siedlungen oder bis an den alten Stadtkern heranreichende kasernenartige Bebauung die gewachsene örtliche Identität.

Was kann der Landkreis tun, um die Entwicklung verträglicher zu gestalten?

Bis vor etwa zehn Jahren gab es im Bauamt noch den Kreisbaumeister als fachliche Institution. Seine wichtigste und wirksamste Aufgabe lag in der Beratung der Gemeinden, etwa bei der Gestaltung von Bebauungsplänen in architektonischer und städtebaulicher Hinsicht. In Gesprächen mit Bauherren und Architekten konnte er landkreisweit auch Einfluss auf die bauliche Gestaltung in unseren Gemeinden nehmen. Die Idee war, dass nicht nur juristische Fakten, sondern auch die Verträglichkeit in städtebaulicher Hinsicht bewertet wird. Im Zuge der Liberalisierung der Baugesetze glaubte man in vielen Landkreisen, auf diese nach meiner Meinung segensreiche Einrichtung verzichten zu können. So auch in Ebersberg. Inzwischen hat zum Beispiel der Landkreis Rosenheim nach meiner Information das Amt des Kreisbaumeisters wieder eingeführt. Ich bin überzeugt, dass in der aktuellen Situation drängender entwicklungspolitischer Herausforderungen unabhängige grundlegende städtebauliche Beratung unentbehrlich ist.

Hans Vollhardt: Hans Vollhardt war von 1972 bis 1994 Ebersberger Bürgermeister und von 1994 bis 2002 Landrat. Bis heute ist er Vorsitzender des Förderkreises Waldmuseum.

Hans Vollhardt war von 1972 bis 1994 Ebersberger Bürgermeister und von 1994 bis 2002 Landrat. Bis heute ist er Vorsitzender des Förderkreises Waldmuseum.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Welche Möglichkeiten haben die Kommunen selbst, um ihre Entwicklung besser zu steuern?

Was die kommunale Selbstverwaltung betrifft wünsche ich mir, dass in Verantwortung für eine gedeihliche Ortsentwicklung die Instrumente zur Ausübung der Planungshoheit vor allem gegenüber überzogenen Grundstücks- und Bauinteressen selbstbewusst genutzt werden.

Was können die Kommunen tun, um die Sozialstruktur zu erhalten?

Beispielsweise haben in der Vergangenheit viele Gemeinden im Rahmen der Ausweisung von "Bauland für Einheimische" vergünstigtes Bauland an Bürger abgegeben. Leider ist dieses Instrument durch Regelungen der EU nur mehr sehr beschränkt nutzbar. Häufig haben Genossenschaften auf von Kommunen günstig bereitgestellten Grundstücken sozial geförderte Wohnungen gebaut, für die die Gemeinden Belegungsrechte erhielten. Ohne eine Rückkehr zu einer nachdrücklichen Förderung des sozialen Wohnungsbaus durch Bund und Land sind Landkreis und Kommunen aber nicht in der Lage, nachhaltig Wohnraum zu schaffen. Die hier im Landkreis eingeleiteten Maßnahmen sind ein erster beachtlicher Schritt. Auch das Institut der sozialgerechten Bodennutzung (damit werden Bauinvestoren verpflichtet, etwa Sozialwohnungen, Kindertagesstätten oder Flächen für Kleingewerbe bereitzustellen oder zu bezahlen, Anm. d. Red.), das vor einigen Jahren eingeführt wurde, bietet Chancen für die Kommunen.

Ist die Schaffung bezahlbaren Wohnraums von den Kommunen alleine überhaupt zu leisten?

Das größte Problem können die Kommunen nicht regeln: Im Grundgesetz, Artikel 14, heißt es zwar "Eigentum verpflichtet", beim Grundeigentum sind aber bisher alle Versuche des Gesetzgebers gescheitert, um die Sozialbindung durchzusetzen. Tatsächlich aber wird das Eigentumsrecht an Grund und Boden vielfach missbraucht und verstärkt die oben geschilderten sozialen Verwerfungen.

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