Halloween und Allerheiligen:Versuch einer Versöhnung

THONSTETTEN: Verkausstelle für Halloween-Kürbisse

Kürbisse und Kirchturm: Was verbindet Halloween und Allerheiligen? Darum geht es in einem Essay von Angela Bauer.

(Foto: Johannes Simon)

Angela Bauer denkt in ihrem lesenswerten Essay "Von Halloween und Heiligen" über scheinbar widersprüchliche Bräuche nach.

Von Anja Blum

Bedeutungsschwanger. So könnte man dieses Wochenende wohl nennen. Denn just am 31. Oktober und 1. November treffen viele Traditionen aufeinander: Gruselige Halloween-Jünger bevölkern die Straßen, so mancher Protestant gedenkt dem revolutionären Thesenanschlag Martin Luthers, und die Katholiken feiern das Hochfest Allerheiligen. Dass diese diffuse Brauchtumskumulation ebenso traditionell nicht ganz reibungslos abläuft - wen wundert's?

Angela Bauer, Autorin und Ärztin aus Hohenthann, wurde über Leserbriefe in der regionalen Presse auf das Thema aufmerksam. Tenor war, wie sie berichtet, eine tiefe Verachtung für Halloween und der Hinweis, wie unglücklich das zeitliche Aufeinandertreffen des albernen Spuk- und Konsumgeschehens mit dem Fest aller christlichen Heiligen sei. Auch Bauer empfand, das gesteht sie unumwunden, den "Klamauk von Vampiren und Hexen" in genau dieser Nacht zunächst als unangebracht, geschmacklos und profan. "Profanum, ja - aber die gedankliche Brücke, die sich hier bot, nahm ich in meiner Empörung zunächst gar nicht wahr." Dann jedoch fing sie an zu recherchieren, nachzudenken und zu schreiben: Das Ergebnis sind allerhand kluge, tiefsinnige und letztlich versöhnliche Gedanken, die sie in einem Essay mit dem Titel "Von Halloween und Heiligen" zusammengetragen hat. An diesem Samstag, 31. Oktober, stellt sie das 2019 erschienene Bändchen beim Glonner Kulturverein vor.

Angela Bauer, 1949 in Berlin geboren und vor mehr als vierzig Jahren in Hohenthann heimisch geworden, schreibt seit Ende der Neunziger Jahre. Oft sind es eigene Fragen oder Vorbehalte, die sie zu Themen ihrer Erzählungen macht, doch ihre Zeitgenossen hat sie stets im Blick. In ihrem Essay zählt sie auf: Allerheiligen und Sankt Martin, Advent und Weihnachten, das Feuerwerk an Silvester, die Sternsinger, Mariä Lichtmess, Perchtentanz und schließlich das Lumen Christi der Osternacht - ein Reigen an Bräuchen und Festen habe sich in den Lauf des Winters geschrieben. Deshalb fragt sie: Brauchen wir wirklich auch noch Halloween? "Womit bringt es seit Jahrtausenden Menschen an den verschiedensten Orten in Gang? Womit rührt es sie an? Welche Wünsche werden von einer solchen Unruhenacht bedient?" In der Folge nähert sich die Autorin dem Thema auf verschiedenen Wegen: historisch, theologisch, philosophisch, aber auch poetisch-atmosphärisch und persönlich. So wird der Essay zur Welt- und Selbsterkundung gleichermaßen.

Ursprünglich war Halloween ein keltisches Fest, die bisher frühesten Nachweise solcher Siedlungen gehen laut Bauer auf eine Zeit vor 2800 Jahren zurück. Und bereits seit fast 1200 Jahren folgt der Zug der Heiligen dem Spuk auf dem Fuß: Papst Gregor III. verschob Allerheiligen einst von Mai auf den 1. November. Mit dieser Entscheidung habe er die keltische Geisternacht zum Profanum (der Platz vor dem Heiligtum oder Tempel) für das kirchliche Hochfest gemacht, erklärt die Autorin. Die ältere Schreibweise "Hallowe'en" weise denn auch deutlich auf eine Verkürzung der ursprünglichen Bezeichnung "All Hallows' Even" hin. Vor 200 Jahren dann nahmen irische Einwanderer den Brauch mit in die USA, von wo aus er sich weiter ausbreitete. "Auch in Europa, so heißt es, habe ein vom Kommerz geschürtes Interesse am Unerklärlichen inzwischen zu seiner Verbreitung geführt", schreibt Bauer. Sie selbst jedoch kann den lärmenden, fordernden Kinderscharen - "Süßes oder Saures!" - nur sehr wenig abgewinnen, wie man im Essay erfährt.

Über die Kultur der Kelten sei bislang wenig bekannt, so die Schriftstellerin, vieles gehe auf Legenden zurück. Belegbar scheine aber zu sein, dass an Halloween in England, Wales, Irland und Schottland "seit Alters her" die Ernte und das Ende des Sommers gefeiert wurde. Vielleicht habe das Fest sogar den Anfang eines neuen Jahres markiert. War Halloween also ein Neujahrsfest? Die Autorin legt das jedenfalls nahe. "Wer sich im Kreislauf von Keimen, Wachsen, Blühen und Reifen zu Hause weiß, wird sicher mit der Ernte das Ende des Jahreslaufs feiern und angesichts der vielen Früchte und Samen auch hoffen auf ein neues, fruchtbares Jahr."

Somit würde Halloween zu einer "Grenznacht" zwischen alter und neuer Macht - "ein imperialer Schwachpunkt im Jahr, an dem die Ordnung schon einmal ins Wanken gerät". Deswegen hätten die Kelten befürchtet, es könnten sich "Unruhestifter aus ihren Verstecken im Untergrund lösen, lange Verheimlichtes drohte, sich unheimlich zu erheben...". Im Bewusstsein, dass eine Periode zu Ende geht, stellt sich Unsicherheit ein: "Selbstverständliches scheint plötzlich zur Disposition zu stehen; Ideenstürme und Positionskämpfe brechen aus, sodass man die guten Geister besser auf seiner Seite weiß", so Bauer.

Auch die Situation der irischen Auswanderer beschreibt sie in beredten Worten und mit viel Empathie. "Was für ein beklemmender Abschied von allen, die schon zu schwach für den Aufbruch waren; welch ein Verzicht auf Geborgenheit und Besitz für die, die nun gingen! Und dabei immer die bange Frage, ob man die Passage über den Atlantik schafft, ob man überhaupt für den Kampf ums tägliche Brot dort drüben - als allerletztes und erbärmlichstes Glied in der fremden Gesellschaftskette - noch Kräfte hat?" Das Gepäck der Einwanderer war sicher sehr schmal, doch brachten sie wohl das Wissen mit, so Bauer, "dass es lange vor ihnen Menschen gab, die sich in Zeiten der Bedrängnis für den Ausbruch entschieden". Die zwischen Halloween und Allerheiligen einen Ausdruck für ihre Ängste und damit Orientierung fanden. "Anders hätte die Halloweennacht in der Neuen Welt wohl kaum eine so eindrucksvolle Wiederbelebung erfahren."

Der Verlust von Sicherheit, von Heimat und daraus folgend der Aufbruch - das ist für Angela Bauer also das zentrale Motiv, dem sie sich in ihrem Essay auch ganz persönlich stellt. Beim Einkaufen kommt es zum Gespräch mit den Gruselmasken, die sich als die eigenen Ängste entpuppen. "Ich sah in die Fratzen und nickte, denn wie oft hatte auch ich schon geschwiegen oder mich einer notwendigen Frage versagt, war einer fremden Meinung gefolgt - aus Höflichkeit, Hörigkeit oder Bequemlichkeit - weil ich nicht unangenehm auffallen wollte, weil ich sonst Freunde oder womöglich meine Stellung verlor?" Bauer identifiziert die Halloweengestalten als "Verstörer", die oft eine Wahrheit verkörperten, der man nicht ins Gesicht sehen wolle. Genau deshalb würden sie verjagt.

An dieser Stelle nun schlägt Bauer die Brücke zur Kirche, denn letztlich seien die Heiligen eben meist auch solche Verstörer: Die Autorin spricht von "Lebensgeschichten, die immer den Konflikt betonen, in den der einzelne Mensch gerät, sobald er die Gewohnheitswahrheit seiner Umgebung - in Köpfen und Papieren verankert und durch Wiederholung bestätigt - nicht länger mittragen will." Auch Heilige gingen ihre eigenen Wege: Keiner sei in ererbtem Reichtum geblieben, habe sich den familiären Zielvorgaben gebeugt oder die klischeehaften Erwartungen seiner Zeitgenossen erfüllt.

Und Martin Luther? Gut fünfhundert Jahre ist es nun her, dass der Augustinermönch nach langem Ringen einem Gott, der sich nicht kaufen lässt, Vorrang gab vor der damals üblichen Ablasstheologie. War es Zufall, dass er seine 95 provokanten Thesen ausgerechnet am 31. Oktober mit lauten Hammerschlägen, die durch ganz Europa hallen, an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg nagelte? Bauer verneint. "Ich bin sicher, er hatte gewusst um die Eigentümlichkeit dieser Nacht, in der wieder einmal die ganze Vielfalt gedanklicher Möglichkeit zur Verfügung stand, weil sich friedlose Geister erheben, gegen ihre Grenzen angehen, sie überwinden. Vielleicht hat er sie gerade deshalb zur Nacht in seiner ganz eigenen Sache gemacht." Sich dem Unbequemen stellen, Neues wagen - darum geht es an diesem Wochenende. Vorbilder gibt es genug.

"Von Halloween und Heiligen", Essay von Angela Bauer, für 8,90 Euro im Buchhandel erhältlich. Lesung an diesem Samstag, 31. Oktober, um 16 Uhr im Heimatmuseum Glonn (Klosterschule, zweiter Stock).

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