Süddeutsche Zeitung

Haar:Ausbilden gegen den Pflegenotstand

Am Isar-Amper-Klinikum in Haar nimmt im Herbst eine neue Fachschule für Heilerziehungspflege den Unterrichts­betrieb auf

Von Bernhard Lohr, Haar

Der Bezirk Oberbayern und das Isar-Amper-Klinikum setzen im Kampf um dringend benötigte Fachkräfte verstärkt auf Ausbildung im eigenen Haus. An der größten Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Neurologie in Bayern nimmt im Herbst eine neue Fachschule für Heilerziehungspflege den Unterrichtsbetrieb auf. Es ist die erste kommunale Schule dieser Art im Freistaat überhaupt. Zunächst werden 20 Schüler und Schülerinnen aufgenommen. Damit sind dann insgesamt drei Schulen am Haarer Klinikum ansässig, die Pflegepersonal ausbilden, über dessen Belastung und Bedeutung gerade in der Corona-Pandemie so viel die Rede war.

Ob in Pflegeheimen, in Kliniken oder im ambulanten Dienst: Über mangelnde Wertschätzung haben sich die Beschäftigen in der Pflege zuletzt nicht beklagen müssen. Aber das alleine hilft nicht unbedingt weiter. Nach wie vor gilt die Bezahlung und die hohe Belastung im Beruf als Grund dafür, dass noch zu wenige in diesem Bereich tätig sein wollen. Die Folgen sind auch in Haar gravierend. Als vor zwei Jahren das Heckscher-Klinikum in einem modernen Gebäude ein Zentrum für Autismus und Störungen der geistigen und sprachlichen Entwicklung im Kindes- und Jugendalter eröffnete, bot man moderne Therapieplätze und attraktive Arbeitsplätze an. Doch es fehlte an Fachpersonal.

Diese Lücke soll nun die neue Fachschule in Haar schließen helfen. Viktoria Lehrer leitet zusätzlich zu den Berufsfachschulen für Pflege und für Krankenpflegehilfe nun auch die neue Fachschule für Heilerziehungspflege. Die Fachkräfte, die dort ausgebildet werden, pflegen und betreuen Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen in jedem Alter; egal ob in der Klinik in Zusammenarbeit mit multiprofessionellen Teams, in Wohngruppen oder ambulant zu Hause. Sie helfen auch Menschen nach einer akuten Erkrankung dabei, ihren Lebensalltag wieder in den Griff zu bekommen.

Es sei eine vielfältige, abwechslungsreiche Ausbildung in einer sozialpflegerischen Tätigkeit, sagt Viktoria Lehrer, mit glänzenden Berufsaussichten. Denn: "Der Markt ist wirklich leer - wo man auch hinschaut", sagt die Schulleiterin. Die Idee, die neue Schule zu schaffen, sei "aus dem Bedarf entstanden". Dabei hat sich bereits gezeigt, dass es durchaus Interesse auch an dem Berufsfeld gibt, wenn eine Ausbildungsmöglichkeit wie jetzt in Haar geschaffen wird. Lehrer berichtet von einigen Interessenten. Auch habe in der Pandemie mancher aus der Gastronomie etwa das Berufsfeld Pflege als sicheres Arbeitsfeld für sich entdeckt. Es gebe Bewerbungen. Die Plätze auch an den beiden anderen Fachschulen könne man immer füllen.

Allerdings ist es nicht so, dass die Pflegeschüler nicht spüren, wo es in ihrer Branche hapert. Dabei zeigt sich laut Lehrer zum einen natürlich, dass eine bessere Bezahlung gerne mitgenommen wird. Aber noch wichtiger finden die angehenden Pflegekräfte das Arbeitsumfeld. "Mehr Personal, mehr Zeit für die Patienten." Das forderten viele Schüler immer wieder, die in ihrer je nach Fachrichtung ein-, zwei- oder dreijährigen Ausbildung auch viel Zeit auf Stationen verbringen und Praxiserfahrung sammeln. "Ihnen geht es um die Rahmenbedingungen." Da bietet das Isar-Amper-Klinikum in Trägerschaft des Bezirks Oberbayern insgesamt relativ viel. Zum Beispiel gibt es auch Wohnheime auf dem Gelände in Haar. Der Bau weiterer Wohnheime für Pflegeschüler und auch Beschäftigte ist in der Diskussion. Der Bezirk hat dafür ein großes Areal gegenüber der Klinik freigehalten.

1100 Euro bekommen Schülerinnen und Schüler der Fachschule für Heilerziehungspflege für ihre Praxiseinheiten brutto. Von 3080 Stunden in einer zweijährigen Ausbildung in Vollzeit haben mehr als ein Drittel Praxisbezug. In der Ausbildung zur Pflegefachkraft bekommt man im ersten von drei Jahren 1141 Euro, in der einjährigen Ausbildung zum Pflegefachhelfer sind es 663 Euro. Die Heilerziehungspflege bietet sich vor allem für jemanden an, der noch etwas draufsatteln will oder sogar Quereinsteiger ist. Nach einer zweijährigen einschlägigen Berufsausbildung steht dieser Ausbildungszweig jedem offen.

Schulleiterin Lehrer kann sich vorstellen, die Schule von 20 auf 32 Ausbildungsplätze aufzustocken. Auch könnte später niedrigschwellig ein Abschluss in Heilerziehungspflegehilfe angeboten werden; ebenso wäre ein Abschluss zur Fachhochschulreife denkbar. Das Isar-Amper-Klinikum ist bereits akademisches Lehrkrankenhaus der Ludwig-Maximilians-Universität und eine akademische Lehreinrichtung der TU München.

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SZ vom 21.06.2021
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