Gymnasium Markt Schwaben:Mahnerinnen gegen das Vergessen

Gymnasium Markt Schwaben: Cara Hochrainer (links) und Vivian Zeißig wollen ihre Mitschüler sensibilisieren.

Cara Hochrainer (links) und Vivian Zeißig wollen ihre Mitschüler sensibilisieren.

(Foto: Daniela Gorgs/oh)

Die Schülerinnen Cara Hochrainer und Vivian Zeißig sprechen über Ausgrenzung und Rassismus

Von Daniela Gorgs, Markt Schwaben

"Lebt wohl meine Lieben! Meine geliebte Mutter, mein guter Vater, Ihr wart der erste Sonnenstrahl, der mein Leben erwärmte." Diese Zeilen schrieb Ida Goldiş an ihre Eltern im Jahr 1941, am Vorabend ihrer Deportation. Tausende von Briefen schrieben Juden in der Zeit des Holocaust, von zuhause, aus Ghettos und Lagern und schickten sie an ihre Verwandten und Freunde. Ein letzter Gruß, bevor sie im Holocaust ermordet wurden. Die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, Israel, archivierte diese Briefe, die Einblick in das Leben der Verfolgten geben und offenbaren, welchen Härten sie begegneten.

Es ist schwer vorstellbar, so einen Brief an seine Lieben zu schreiben, die man nie wieder sehen wird. Und doch, genau in diese Situation sollen sich die Neuntklässler am Franz-Marc-Gymnasium in Markt Schwaben hineinversetzen und einen Brief schreiben. "Oder würdet ihr lieber eine Whatsapp schreiben wollen?", fragen Vivian Zeißig und Cara Hochrainer. Die beiden 17-Jährigen leiten einen Workshop unter dem Titel "Warum wir den Holocaust nicht vergessen dürfen". Eine Woche verbrachten die jungen Frauen im vergangenen Jahr in Israel. Das Kultusministerium wählte sie und weitere 16 bayerische Schüler für das Projekt "Young Leadership" aus. 250 Schüler hatten sich für den Bildungsaustausch zwischen Deutschland und Israel beworben.

Was die Gruppe erlebte, bekommen jetzt die Neuntklässler des Franz-Marc-Gymnasiums zu hören. Vivian Zeißig, die dort die zwölfte Klasse besucht, und Cara Hochrainer, die ihr Abitur am Max-Mannheimer-Gymasium in Grafing macht, referieren eine Stunde lang in der Aula vor 150 Neuntklässlern. Nebeneinander stehen sie oben auf dem Podium, zeigen Fotos von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, der Architektur, die voller Symbolik steckt. Sie zeigen das Bild von einem alten Waggon, in dem hunderte Juden ins Vernichtungslager Treblinka gebracht wurden. Auf einem Foto sind Bäume zu sehen, die von Rettern aus verschiedenen Ländern und von israelischen Gastgebern, die sie gerettet hatten, an der Gedenkstätte in die Erde gesetzt wurden. Dann folgen Eindrücke vom Meer, von einem Markt. Von Schülern, die im Kreis sitzen und mit dem Zeitzeugen Tzvi Aviram diskutieren. Die Neuntklässler erfahren, dass es in Israel zwei Varianten von McDonalds gibt. Einen roten, in dem es Cheeseburger gibt, und einen blauen, die Koscher-Filiale, die sich den Essensregeln der Juden anpasst.

Vivian Zeißig und Cara Hochrainer bringen sehr viele schöne, traurige, grausame und versöhnende Eindrücke mit von ihrer Reise. Und eine Botschaft. Es geht um Demokratie. Und warum man den Holocaust nicht vergessen darf. Die Schülerinnen liefern Zahlen: Im Schnitt kommt es in Deutschland mindestens viermal am Tag zu einem antisemitischen Vorfall. Die Straftaten von Rechtsextremen steigen. 80 Prozent der jüdischen Jugendlichen sagen, dass Antisemitismus ein Problem ist.

In der Aula ist es mucksmäuschenstill. Die Worte der beiden jungen Frauen sind klar und deutlich: "Wir müssen eine Bewegung dagegen setzen. Wir müssen unsere Demokratie bewahren und uns gegen negatives Gedankengut wehren." Man dürfe nie vergessen, dass Ausgrenzung und Rassismus zum Holocaust geführt habe. Damit sich Ausgrenzung und Hass gegenüber Andersgläubigen und -denkenden nicht wiederhole, müsse man sich bewusst werden, warum das damals überhaupt möglich war. Vivian Zeißig erzählt, dass sie erst in der neunten Klasse, als das Thema "NS-Diktatur und ihre Folgen" drankam, verstanden habe, wie wichtig Geschichte sei. Und darum setzt sie sich jetzt aktiv für mehr Zivilcourage im Verteidigen von Grundrechten ein, für Meinungsfreiheit und Demokratie.

Cara Hochrainer interessierte sich, wie sie erzählt, schon immer für Geschichte. Als an ihrer Schule im vergangenen Jahr in einer neunten Klasse ein Nazi-Chat aufflog, sei sie wie viele andere bestürzt gewesen über die abstoßenden und brutalen Inhalte. "Wir müssen Geschichte nicht wiederholen", sagt sie. Cara Hochrainer ist stolz, dass ihr Gymnasium jüngst nach dem Holocaust-Opfer Max Mannheimer benannt wurde, der sagte: "Ihr seid nicht schuld an dem, was war, aber verantwortlich dafür, dass es nicht mehr geschieht." An diesem Zitat, das eine Wand des Schulgebäudes ziert, geht Cara Hochrainer täglich vorbei. Nicht als Ankläger, sondern als Zeuge und Aufklärer wollte Mannheimer auftreten. In seinem Sinne kämpfen die beiden jungen Frauen gegen das Vergessen, sie klären auf über die subtilen, schleichend verlaufenden Prozesse, die zu Ausgrenzung führen, und ermuntern dazu, nicht wegzusehen, wenn sich Menschen rassistisch verhalten.

Für ihren Vortrag bekommen die Schülerinnen viel Applaus von den Neuntklässlern und ein großes Lob von den Lehrern. Bettina Eichler, Mitglied der Schulleitung, sagt: "Es ist das Schönste, wenn die Schüler vorne stehen und mit den Mitschülern auf Augenhöhe über Demokratie sprechen." Auch die Geschichtslehrerin Anna Niedermaier freut sich über das großartige Engagement der beiden Schülerinnen, die während ihrer Abiturvorbereitung Vortrag und Workshop organisierten. Weil die Schüler über die sozialen Netzwerke täglich mit rechtsextremen Inhalten konfrontiert würden, müsse man das als Schule flankieren und das Thema aufgreifen.

Den Neuntklässlern fiel es im Workshop schwer, einen letzten Brief zu formulieren. Ein Schüler drückte es so aus: "Es ist deprimierend, wenn man sich in diese Lage hineinversetzt." Damit haben Vivian Zeißig und Cara Hochrainer ihr Ziel erreicht: Sie machten die Menschen sichtbar, die ausgegrenzt wurden und zu Tode kamen. Und ließen die Schüler nacherleben, wie sich das anfühlt.

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