Politik-Planspiel:Simulation trifft Original

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Die Landtagsabgeordneten Florian Siekmann (von links), Doris Rauscher, Nikolaus Kraus, Thomas Huber, Martin Hagen und Franz Bergmüller stellen sich den Fragen der Schülerinnen und Schüler. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wie funktioniert Politik? Um das herauszufinden, darf die Q11 des Gymnasiums Kirchseeon einen Vormittag in einem Planspiel den Landtag simulieren. Sechs Abgeordnete stehen den Schülerinnen und Schülern anschließend Rede und Antwort.

Von Merlin Wassermann, Kirchseeon

Für eine Schule sind es ungewöhnliche Namensschilder, die da in einer Reihe auf den Tischen vor der Tafel stehen. Von links nach rechts heißt es: MdL Florian Siekmann (B'90/Die Grünen), MdL Doris Rauscher (SPD), MdL Nikolaus Kraus (FW), MdL Thomas Huber (CSU), MdL Martin Hagen (FDP) und schließlich, ganz rechts, MdL Franz Bergmüller (AfD). Anstatt im Maximilianeum, haben die fünf Abgeordneten und eine Abgeordnete an diesem Tag in einem Klassenzimmer des Gymnasiums Kirchseeon Platz genommen. Vor ihnen sitzt die versammelte Q11, deren Fragen sich die Fraktionsvertreter über die nächste Stunde stellen werden.

Es handelt sich dabei jedoch weder um eine Pressekonferenz noch um eine überparteiliche Wahlkampfveranstaltung. Ein Teil der Q11 hatte am selben Tag ein politisches Planspiel abgehalten, bei dem sie den Landtag simulierten und dessen Abschluss das Gespräch mit den echten Abgeordneten bildet.

"Landespolitik wird im Lehrplan leider kaum berücksichtigt"

Die Idee, mit den Schülerinnen und Schülern ein Planspiel abzuhalten, kam von der Lehrerin Sandra Reim. Sie unterrichtet Deutsch, Geschichte und Sozialkunde, gibt zwei Kurse in der Q11 sowie ein P-Seminar mit Schwerpunkt Politik. "Landespolitik wird im Lehrplan leider kaum berücksichtigt", sagt Reim. Da dieses Jahr jedoch in Bayern ein neuer Landtag gewählt wird und am Gymnasium Kirchseeon eine Juniorwahl stattfindet, wollte Reim den Schülern diese Politik näher bringen.

Sandra Reim ist Lehrkraft für Deutsch, Geschichte und Sozialkunde am Gymnasium Kirchseeon. Sie initiierte das Planspiel, um den Jugendlichen die Landespolitik anschaulich näher zu bringen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Also wandte sie sich an den pädagogischen Dienst des Bayerischen Landtags und das Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP). Mit dessen Unterstützung können Schulen eine Simulation abhalten. Das CAP verschickt dafür Infomaterial an die Schulen zur Vorbereitung und entsendet schließlich Betreuer, die während des Planspiels mit Rat und Tat den "Abgeordneten" zur Seite stehen. Die finden das Konzept hinter dem Planspiel gut. "Besser, als im Frontalunterricht etwas vorgelesen zu bekommen", sagt einer. Eine Mitschülerin ergänzt: "Es macht Spaß, viel zu diskutieren und zu Wort zu kommen. Man kriegt einen guten Eindruck, wie komplex Politik ist."

In der Simulation gibt es vier Fraktionen: die Konservativen, die Freien, die Sozialen und die Ökologen

Einer der CAP-Berater ist Simon Kirnberger. Er ist seit dem ersten Planspiel im Jahr 2007 mit dabei und hat dementsprechend viel Erfahrung im Umgang mit den Schülern. "Am Anfang brauchen sie immer etwas, um in ihre Rollen zu kommen", So Kirnberger. Damit ihnen der Übergang leichter fällt, geben sie sich fiktive Namen - wie zum Beispiel "Lukas Müller" oder "Dr. Lydia Green" - und Biografien. Die Dichte an Doktoren und Professoren am Gymnasium steigt daraufhin um ein Vielfaches.

Anschließend werden die Schüler zufällig auf vier fiktive Fraktionen verteilt: die Konservativen, die Freien, die Sozialen und die Ökologen. Nicht jeder ist damit glücklich. In der Feedbackrunde am Ende der Simulation beschwert sich ein Schüler, dass er eine Position vertreten musste, die seiner nicht im mindesten entsprach. Eine Schülerin widerspricht. Sie fände es gerade gut, sich in eine andere Position hineinversetzen zu müssen, um die Argumente der Gegenseite nachzuvollziehen. Insgesamt scheinen sich die Jugendlichen in ihren Rollen wohl zu fühlen. Auch Kirnberger sieht das so: "Sie haben schnell angefangen, zu diskutieren, das ist nicht immer so."

Die Aufteilung in die Fraktionen orientiert sich an den echten Verhältnissen im Landtag. "Früher war das stets eine zwei-drittel Mehrheit für die CSU", erinnert sich Kirnberger. Auch wenn diese Tage vorbei sind, die Konservativen und Freien stellen die deutliche Mehrheit der Abgeordneten. Das macht nicht immer Spaß. Eine Abgeordnete der Ökologen-Fraktion findet es "frustrierend, wenn man immer überstimmt wird" - selbst, wenn man die besseren Argumente hat.

Die Jugendlichen diskutieren über Jugendschutz

Die Fraktionen behandeln während des Planspiels eines von sechs möglichen Themen. In diesem Fall geht es um Jugendschutz, spezifischer um das Verabschieden eines Gesetzespakets, das Jugendliche vor hohem Alkoholkonsum schützen soll. Ausgesucht wurde das Thema von Sandra Reims P-Seminar. "Es ist für die Jugendlichen natürlich lebensnäher und konkreter, sich mit Alkohol auseinanderzusetzen, als mit einem Thema wie Videoüberwachung", sagt Reim.

Nach der Aufteilung in die Fraktionen, geht es in die Ausschüsse. Anders als im echten Landtag wird zuerst in den beratenden und dann im federführenden Ausschuss ein Gesetzesentwurf formuliert und diskutiert. Und der hat es in sich: Alkoholausschank unter der Woche soll zwischen 22 und 5 Uhr verboten werden, am Wochenende zwischen 0 und 7 Uhr und Werbung für Alkohol soll mit ähnlichen Warnhinweisen wie Tabak und Glücksspiel versehen werden. Dazu kommen Aufklärungskampagnen an Schulen und im Internet sowie die Erhöhung der Polizeipräsenz in der Nähe von Nachtclubs.

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Bevor Simulations-Bayern jedoch per Gesetz zum Land der Antialkoholiker gemacht werden kann, beraten die Schüler noch in ihren Fraktionen über Änderungsanträge. Im Stuhlkreis der Konservativen wird etwa diskutiert, ob nicht alle Werbung für Alkohol verboten werden sollte - bis der Fraktionsvorsitzende darauf hinweist, dass Bayern ein traditionelles Bierbrauerland ist und man die Wirtschaft nicht zu sehr verärgern sollte.

Auch im Planspiel hat die Opposition wenig zu sagen

Im Plenarsaal-Klassenzimmer wird schließlich der Gesetzesvorschlag vorgelesen, woraufhin jede Fraktion noch eine Rede halten darf. Susanne Gadinger, die ebenfalls vom CAP als Betreuerin geschickt wurde, hatte ein paar Tipps für die Schüler: "Ich habe ihnen geraten, schön dick aufzutragen, sich selbst zu loben und die anderen schlecht zu machen."

In den Reden wird das beherzigt. Die Konservativen bedanken sich überschwänglich bei ihren Koalitionspartnern; die Freien bedauern, dass es "keine Partei für nötig gehalten hatte, etwas gegen das Problem" Alkohol zu unternehmen; die Sozialen wiederum sind "mehr als entsetzt" von diesem "ignoranten Gesetz" und fordern, die "Alkoholindustrie" solle die Einkommensausfälle kleinerer Betriebe bezahlen; und die Ökologen kämpfen bis zuletzt darum, "Gesundheitserziehung" als neues Fach an den Schulen zu etablieren.

Die Sozialen und Ökologen kommen mit ihren Vorschlägen zur Gesetzesänderung aber nicht weit. Am Ende zeigt sich nochmals eindrücklich, wie wenig Einfluss die Opposition auf die Gesetzgebung hat. Bei der finalen Abstimmung stimmen die Konservativen und Freien geschlossen für ihren Entwurf. "Ist schon geil, wenn man gewinnt", ruft eine Schülerin einer anderen im Tumult nach der Wahl zu.

Manche Schüler sehen es kritisch, dass die AfD eingeladen wurde

Doch nach der - fiktiven - Wahl ist vor der - echten - Wahl. Für jede Simulation werden Mitglieder der Fraktionen des Landtags eingeladen, um die auf Zetteln und anonymisiert eingereichten Fragen der Schüler zu beantworten. "Kommen weniger als zwei Mitglieder des Landtags", erklärt Simon Kirnberger, "darf dieser eine auch nicht kommen." Das zeigt: längst nicht immer ist die Bereitschaft der Abgeordneten groß, in den Austausch mit ihren fiktiven Kollegen zu treten.

Von jeder Fraktion im bayerischen Landtag ist ein Abgeordneter nach Kirchseeon gekommen. Man merkt, dass der Wahlkampf begonnen hat. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

2023 sieht das jedoch anders aus, weswegen alle Fraktionen dieses Mal jemanden entsandt haben, auch die AfD. Manche Schüler sehen das kritisch. Einer verweist darauf, dass Franz Bergmüller 2016 in einem Facebook-Post gefordert hat, Türken aus Deutschland zu "entsorgen". "Wieso wird so jemand eingeladen?", möchte er wissen. Es leuchte ihm ein, dass alle Parteien vertreten sein sollten, aber mit dieser Aussage habe sich Bergmüller unmöglich gemacht.

Simon Kirnberger erklärt, dass das CAP niemanden abweisen darf: "Wir laden lediglich alle Fraktionen ein, das ist so vorgeschrieben. Sie entscheiden dann, wen sie schicken." Auch wenn die Schüler nicht direkt Fragen stellen dürfen, nutzen sie doch die Gelegenheit, um den AfD-Abgeordneten in der Fragerunde aufs Korn zu nehmen: Wie seine Haltung zur Aufnahme von Ukraine-Flüchtlingen sei? Er habe selbst gespendet, so die Antwort. Auf die Frage, wie er sich zum rechten Flügel der AfD verhalte, weicht Bergmüller aus. Er verweigert, sich endgültig selbst einzuordnen, lehnt es aber ab, von der Moderatorin dem rechten Flügel zugeordnet zu werden.

"Politiker brauchen für sowas manchmal drei Jahre, wir kriegen sechs Stunden"

Die restlichen Fragen an die Abgeordneten, von denen Thomas Huber, Doris Rauscher und Martin Hagen aus dem Landkreis Ebersberg kommen, sind da zahmer. Nach ein paar Einstiegsfragen - "Wie sieht der Alltag eines Abgeordneten aus?" - kommt das Thema Jugendschutz auf.

Entgegen des kurz vorher verabschiedeten Simulations-Gesetzes, sehen die echte Abgeordneten keinen Anlass für eine Verschärfung. Unisono heißt es, man wolle "kein Spielverderber sein". Thomas Huber findet, es komme auf den richtigen Umgang mit dem Rauschmittel an. Ein paar der Fraktionsvertreter nutzen dabei gleich die Gelegenheit, ihre Haltung zu Cannabis beizusteuern. Keine große Überraschung: Gründe und FDP sind für eine Legalisierung, CSU und AfD dagegen.

Weitere Themen, zu denen Fragen gestellt werden, sind Lobbyismus - Florian Siekmann lobt hier das neue Lobbyregistergesetz; die Zukunft des Verkehrs - Martin Hagen findet, man bräuchte "dringend einen besseren ÖPNV", solle diesen aber nicht gegen das Auto ausspielen; sowie Ansätze zur Lösung des Lehrer- und Fachkräftemangels - Doris Rauscher betont, dass es nicht nur um mehr Geld, sondern auch um bessere Arbeitsbedingungen geht.

Nach gut einer Stunde ist die Fragerunde - und damit das gesamte Planspiel - auch schon wieder beendet. In der Feedbackrunde bedauern mehrere Schüler, dass sie so wenig Zeit hatten. "Politiker brauchen für sowas manchmal drei Jahre, wir kriegen sechs Stunden", bemängelt der Fraktionsvorsitzende der Konservativen. Es gibt ein zustimmendes Raunen. Mehr Auseinandersetzung mit Politik ist kein Wunsch, den man meist mit Jugendlichen in Zusammenhang bringt. Womöglich entscheidet sich ja aber der ein oder andere, aus dem Planspiel irgendwann Ernst zu machen.

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