Aus welchem Stoff ist Kunst? Naja, man benötigt dafür freilich Material, also Leinwand und Pigmente, Holz, Stein, Keramik, Metall oder irgendetwas in dieser Art. Das genügt aber noch nicht. Denn Kunst benötigt auch technisches Vermögen, Inspiration und Ideen, auch Austausch kann wahrscheinlich nicht schaden. Nur dann wird aus dem Material ein Stoff, der Geist und Herz zu beflügeln vermag. Ein Kunststoff, wie ihn die gleichnamige Gruppe versteht, der also rein gar nichts zu tun hat mit Plastik und dessen polierten Oberflächen.
Bereits zum elften Mal bittet die Künstlergemeinschaft Kunststoff aus dem Norden des Landkreises nun in ihre offenen Ateliers. Mit dabei sind dieses Jahr zehn Mitglieder sowie drei Gäste. Gemeinsam laden sie ein zu einer vergnüglichen Tour durch eine abwechslungsreich und kommunikativ gestaltete Kunstlandschaft, die Einblicke gibt in Werkprozesse und natürlich reichlich Gelegenheit zu Gesprächen. Die Ateliers beziehungsweise Ausstellungen liegen in Anzing, Markt Schwaben, Parsdorf und Poing. Geöffnet sind sie am Samstag und Sonntag, 20./21. Mai, jeweils von 14 bis 19 Uhr.
So etwas wie die Keimzelle der ganzen Aktion ist das "Atelier Osterfeld" in Poing, die kreative Heimat von gleich drei Kunststoff-Mitgliedern. Inge Schmidt zum Beispiel lässt sich als Malerin immer wieder inspirieren von den Alben "Das Rilke Projekt". Darin nämlich fände sie Wort für ihre Themen sowie und Rhythmen für den Takt des Pinsels. Und auch als Bildhauerin zeigt Schmidt eine poetische Ader: Ihre Skulpturen sind einer Sterneguckerin oder der Blauen Stunde gewidmet. Cornelia Propstmeier hingegen beschäftigt sich vor allem mit den Strukturen von Landschaft. Dabei ist es der Malerin aber wichtig, nicht unbedingt die konkrete Umgebung abzubilden, sondern mittels Abstraktion dem Betrachter Spielräume für die eigene Phantasie zu lassen.
Für blumige Motive bekannt sind wiederum Rosemarie Hingerl und Kornelia Boy. Erstere erzählt, dass ihre neuesten Werke angeregt wurden durch die Ausstellung "Flowers Forever" der britischen Künstlerin Rebecca Louise Law in der Kunsthalle München. "Ihre raumgreifende Installation aus getrockneten Blumen und besonders der bewusste nachhaltige Umgang mit natürlichen Ressourcen haben mich sehr beeindruckt", so Hingerl. Boy hingegen zog aus der großen Erwartung auf den Frühling "die Motivation für florale Motive und Lust auf Farbe". Zu Gast bei den vier Hausherrinnen ist heuer erneut Bildhauer Stefan Pillokat, dessen Holzarbeiten sich mit den Bildern und Skulpturen der Damen wohl sehr gut ergänzen werden. "Wir werden also wieder eine bunte Mischung erleben können. Da freue ich mich drauf", sagt der Markt Schwabener.
Gleich drei männliche Künstler beherbergt diesmal das Rathaus in Anzing. Auf die schwedische Ostseeinsel Gotland reisen kann man da mit Norbert Haberkorn: Sein Fotoprojekt "Struktur und Natur" erschließt diese Küstenlandschaft mittels fragmentierter Bild-Wirklichkeiten. Das bedeutet: Die Aufnahmen zeigen keine Panoramen, sondern kleine Ausschnitte und damit Details beziehungsweise Strukturen, die ansonsten oftmals übersehen werden. Johannes Mayrhofer wiederum experimentiert mit farbigen Tuschen auf verschiedenen Malgründen. Der "Eigensinn" dieses flüssigen Mediums erzeugt unter der Regie des Malers ästhetisch reizvolle, amorphe Farbwelten, "ein gefundenes Fressen für die Augen und Futter für die Phantasie".
Siegfried Horst, der einst bei Arnold Bode studierte, zeigt heuer im Anzinger Rathaus einen Paravent mit zehn Motiven aus seinem Skizzenbuch des Jahres 2022. Wer nun aber meint, das seien unfertige, wenig überzeugende Arbeiten, der täuscht sich. Horst ist ein Meister des schnellen, aber perfekten Strichs. Es ist, als könnten sie sprechen, die Menschen, die er aufs Papier wirft. So groß ist ihre Präsenz, so sehr rühren sie einen an - selbst ohne die Geschichten zu kennen, die stets in Horsts Werken stecken.
Den Klimawandel in den Fokus zu rücken, das war das Anliegen von Maria Heller, deren Atelier sich in Markt Schwaben befindet. Also entstand die Idee, die Aufmerksamkeit auf eine besonders betroffene Spezies zu richten, erzählt sie. Entstanden ist eine "Hommage an die Pinguine": 70 bis 90 kleine Skulpturen, aus Ton geformt und mit Raku-Technik gebrannt, warten nun im Atelier auf Besucher. " Und jeder der Pinguine hat seine eigene Haltung, seine individuelle Art, die Menschen anzusprechen und vielleicht das eine oder andere Herz zu gewinnen."
Ottilie Gaigl widmet sich in ihrem Atelier "Graga" in Markt Schwaben dem Thema "Ausschnitt". Ein weit gefasster Begriff, denn was wir als Ganzes begreifen, muss ja stets auch Teil von etwas Übergeordnetem sein, nach unserem Verständnis der Dinge, erklärt die Künstlerin. Kern der Ausstellung sind drei verfremdete Aufnahmen eines schachtelhalmartigen, verdorrten Gewächses. Im Frühjahr wird es zwar artgleich, aber doch völlig andersförmig neu wachsen. Erstmals im "Graga" zu Gast ist Natalja Herdt aus Poing. Flügel, Grenzen, Offenheit und das Verbreiten von Hoffnung - das sind ihre Themen. Die Poinger Künstlerin zeigt Bilder, Objekte, Skizzen und Videos aus dem laufenden Projekt "Hoffnungsfalter around the world". Ebenfalls in Markt Schwaben liegt das Atelier von Brigitte Huchler. Diese Malerin arbeitet gern mit erzählerischen Elementen, die den Betrachtenden Hinweise zur Interpretation geben, sie zugleich aber auffordern, das Bild für sich zu lesen.
Im Parsdorfer Atelier kann man wiederum zwei Künstlerinnen begegnen: Ulrike Pfeiffer und als Gast Christine Rath. Schnittstelle ihrer Arbeiten ist eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit einem Ausgangsmaterial, womit sie den Gedanken des Upcycling und die Wiederverwendbarkeit des bereits Vorhandenen verfolgen. Pfeiffer widmet sich "verlorenen Häusern", bei ihren kleinen Tafeln geht es um Träume, ferne Länder und romantische Erinnerungen. Rath zeigt eine Weiterentwicklung von Schaumstoff-Reliefarbeiten: figurative Skulpturen aus demselben Material.
Offene Ateliers der Gruppe Kunststoff , am Samstag und Sonntag, 20./21. Mai, jeweils von 14 bis 19 Uhr. Flyer samt Lageplan gibt es im Internet.