Großes SZ-Interview:"Söder ist unberechenbar"

Vollhardt Interview zu CSU Austritt

Zwischen Empörung, Verzweiflung und vager Hoffnung.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Ebersberger Alt-Landrat Hans Vollhardt spricht im SZ-Interview über seinen CSU-Austritt nach 47 Jahren. Was sich aus seiner Sicht in der Zeit zwischen Strauß und Söder verschlimmert hat.

Interview von Wieland Bögel

Der Streit innerhalb der CSU und mit ihrer Schwesterpartei CDU hat viele einstige Anhänger abgeschreckt. Darunter auch Hans Vollhardt, der heute 80-Jährige war 22 Jahre Ebersberger Bürgermeister und weitere acht Jahre Landrat. Mitglied der CSU war er von 1971 bis 2018, denn im Frühjahr ist er aus der Partei ausgetreten. Eine Tatsache, die Vollhardt zunächst gar nicht an die große Glocke hängen wollte, erst als es nach den jüngsten Querelen in der CSU zu einer Austrittswelle verdienter Parteimitglieder kam, wurde auch Vollhardts Austritt publik. Im SZ-Interview spricht der Altlandrat über seine Gründe, der Partei den Rücken zu kehren, über Populismus in Deutschland und Europa sowie die Frage, wie es mit der CSU weitergehen kann.

Sie sind ja schon im April ausgetreten, gewissermaßen in aller Stille. Warum?

Es ging mir nicht darum, eine große Öffentlichkeit herzustellen, weil ich mich mit der Diskrepanz zwischen meinen Idealen und der Politik, die wir von Herrn Söder in Stil und Inhalt erwarten müssen, auseinandersetzen wollte.

Gab es denn da eine rote Linie, in etwa: Wenn Markus Söder Ministerpräsident oder Parteivorsitzender wird, dann verlasse ich die CSU?

Ja!

Schon Franz Josef Strauß war niemand, der besonders zartfühlend mit seinen Gegnern umgegangen ist. Was ist bei Söder anders?

Der Stil, seine Politik unter die Menschen zu bringen, verrät ebenso wie seine Wortwahl und die ständig ausgefahrenen Ellbogen die alles dominierende Absicht, sich in Positur zu setzen. Als noch schlimmer empfinde ich seinen Populismus, der es im Grunde nicht erlaubt, auf nachhaltig verlässliche Entscheidungen vertrauen zu können. Strauß habe ich nicht als Populisten erlebt. Zu seiner Zeit hatte ich zudem als Mandatsträger innerhalb der CSU - wie auch die heutigen Mandatsträger - Beteiligungszugang zur innerparteilichen Meinungsbildung. Das ist ja der Grund dafür, warum viele in der Partei sagen, wir wollen weiter innerhalb der Partei wirken. Diese Möglichkeit steht mir heute nicht mehr zur Verfügung.

Wie könnten Mandatsträger, die eher auf Ihrer Linie sind, Einfluss nehmen?

Etwa bei innerparteilichen Wahlen, wenn der nächste Parteivorsitzende bestimmt wird. Ich nehme an, dass alsbald nach der Landtagswahl die Weichen neu gestellt werden. Die Erregung in der CSU über die unakzeptablen Fehlleistungen unserer maßgeblichen Vertreter in Berlin und in München ist überall spürbar. Fürwahr keine günstige Ausgangsposition für die anstehenden Landtagswahlen. Es ist zu befürchten, dass man nun wieder hastig mit populistischen Ausschlägen reagieren wird. Übrigens haben nach meiner Kenntnis immer wieder herausragende ehemalige Führungspersönlichkeiten der CSU wie Alois Glück, Hans Maier, Barbara Stamm, Theo Waigel oder unsere Christa Stewens versucht, mäßigend einzuwirken.

Wie schätzen Sie die Zukunft Söders ein, wenn die Landtagswahl kein Erfolg für die CSU wird?

Das ist schwer zu sagen, bisher ist er ja immer wie beispielsweise in den früheren Auseinandersetzungen mit Seehofer - Stichwort: Schmutzeleien - wie eine Katze auf die Füße gefallen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er mit der Politik der Ellbogen weiter reüssieren kann. Da ist die Antipathie schon zu weit verbreitet - aber es kann auch anders kommen, er ist unberechenbar.

Wie konnte Söder die Partei überzeugen - und wieso folgt sie ihm nach wie vor, jedenfalls in größten Teilen?

Aufgrund der Attacken, die Söder gegen Seehofer seit Jahren geritten hat, während dessen Popularität abnahm, haben wohl viele gedacht: Söder, das ist der Neue. Wenn wir dem vertrauen, kann die Partei wieder die absolute Mehrheit erzielen. In dieser trügerischen Sicherheit hat er durch seine populistische Art, Politik zu machen, aber überzogen und damit auch in der CSU an Rückhalt verloren. Es gibt halt in dieser aktuellen Situation keine personelle Alternative.

Gibt es ein besonderes Beispiel zum Populismusvorwurf?

Ein Paradebeispiel ist seine Rolle bei der Ablehnung/Genehmigung/Ablehnung (in dieser Reihenfolge) einer Skischaukel am Riedberger Horn im Allgäu. Der geplante umfängliche Eingriff in die dortige, geschützte Natur widersprach sowohl den fachlichen als auch den naturschutzrechtlichen Bestimmungen und musste deshalb abgelehnt werden. Der örtlichen Kommunalpolitik gelang es jedoch durch Einschaltung des damaligen Heimatministers Söder eine mit Auflagen versehene Genehmigung in Aussicht gestellt zu bekommen, die auch wesentliche Ziele des mit den Nachbarländern abgesprochenen "Alpenplans" missachtete. Offensichtlich hat der empörte Protest der Naturschutzverbände und des staatlichen Naturschutzes dazu geführt, dass der inzwischen zum Ministerpräsidenten gewählte ehemalige Heimatminister erkannt hat, dass die stärkeren Bataillone wohl auf der Seite des Naturschutzes stehen. Die in Aussicht gestellte Genehmigung wurde zurückgenommen. Kostenpunkt: 20 Millionen Euro zur Beruhigung der enttäuschten Gemüter im Allgäu; offiziell zum Aufbau einer Infrastruktur für sanften Tourismus. Als wie glaubhaft und verlässlich wird eine derartige Schaukelpolitik wohl von den Wählern empfunden?

Für Wankelmütigkeit ist ja auch Horst Seehofer bekannt. Haben Sie in seiner Amtszeit schon angefangen, an Ihrer Partei zu zweifeln?

Mit der Zeit haben sich schon Zweifel aufgeworfen. Natürlich steht die Asylpolitik mit allen Nebenkriegsschauplätzen in Inhalt und Stil im Zentrum auch meiner Kritik. Nehmen Sie als weiteres Beispiel Seehofers Energiepolitik. Unter seiner Führung stimmt auch die CSU für Bayern den unverzichtbaren Berliner Energiewendebeschlüssen zu. Um nun aber kritische Bürger ("keine Windräder vor meiner Haustür") zu befrieden, verfügt er mit Geltung nur für Bayern, dass ein Windrad das Zehnfache seiner Höhe als Abstand zur nächsten Wohnbebauung einhalten muss. Im Landkreis bedeutet dies: Nur wenige Windräder - wenn überhaupt - sind möglich. Mit dieser Art populistischer Politik kann in Bayern der unverzichtbare Beitrag der Windenergie zur Energiewende nicht erreicht werden. Der Klimawandel lässt grüßen!

Wieso kommen nicht mehr Leute zu dem Schluss, den Sie gezogen haben, warum gibt es keinen Widerstand in der Partei?

Haben Sie nicht eine leichtere Frage? Vermutlich gibt es zur Zeit keinen, der es in dieser labilen Situation anstatt Söder machen würde, es fehlt ein Herausforderer. Niemand will vor der Landtagswahl den Königsmord proben und fände in der kurzen Zeit wohl auch nicht den nötigen Rückhalt in der Partei. Im Übrigen rumort es in der CSU landauf, landab unüberhörbar. Wenn Herr Söder plötzlich erklärt, er werde das Unwort "Asyltourismus" nicht mehr verwenden, dann ist diese seine Volte auch eine Reaktion auf massive Kritik aus der CSU. Ich hoffe, dass sich damit nicht nur die Artikulation verändert hat, sondern auch seine zugrunde liegende Haltung gegenüber Asylsuchenden.

Was müsste passieren in der CSU, dass Sie sagen, es geht in die richtige Richtung, und vielleicht wieder eintreten?

Zum einen dürfte diese Art, Politik zu machen, dieser ebenso peinliche wie schädliche Populismus, nicht mehr Stil und Inhalt bestimmen. Über die notwendige Tagespolitik hinaus sollten die Parteien in einer Welt des rasenden Wandels Visionen entwickeln, die den Menschen Ängste vor den über sie hereinbrechenden weltweiten Entwicklungen nehmen könnten, die scheinbar nur noch von der Jagd nach dem materiellen Mehrwert geprägt sind. Für uns sollte dabei ein humanes, christlich geprägtes Europa Ziel aller Bemühungen sein. Ich erwarte dazu sowohl die deutliche Distanzierung unserer Politik von despotischen, rechtsgerichteten Regierungen als auch nach innen entschiedenen Widerstand durch positiv gestaltete Politik gegen rechtslastige Verwerfungen in unserer Gesellschaft, insbesondere den Parteien. Slogan: Orban geht gar nicht! Beugen wir gemeinsam und rechtzeitig Entwicklungen wie in der Weimarer Republik vor.

Was hilft dagegen? Was entzieht den Populisten den Boden?

Eine gradlinige, nachhaltige und überzeugende Politik der Mitte, vertreten von glaubhaft agierenden demokratisch gewählten Mitbürgern, ist die Alternative zu rechts- oder linkslastigem Populismus. Man kann an Angela Merkel kritisieren, dass sie zu wenig fassbar ist in der Innenpolitik - in der großen Politik ist sie unentbehrlich. Innenpolitisch hat sie sich eine Position der Moderation zugelegt, in der die Wähler nicht mehr erkennen, dass sie ein starker politischer Wille trägt, zumal ihr dieser unsägliche Herr Dobrindt immer wieder den Konsens verweigert. Ich hoffe sehr, dass die CSU nach einem als Niederlage empfundenen Landtagswahlergebnis und unter neuer demütiger Führung wieder ein vertrauenswürdiger Partner in Berlin wird.

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