Süddeutsche Zeitung

Große Pläne:Poing könnte Bayerns erste "Gemeinde mit Courage gegen Rassismus" werden

Der Gemeinderat ist schonmal dafür. Um das offizielle Siegel aus Berlin zu erhalten, braucht es aber noch viel Arbeit.

Von Korbinian Eisenberger, Poing

Braucht es für Werte wie Toleranz, Vielfalt und Offenheit ein Etikett? Ein Gemeinderats-Gremium aus dem Landkreis Ebersberg hat diese Frage für sich mit Ja beantwortet. Demnach soll der Ort Poing künftig als "Gemeinde mit Courage - Gemeinde gegen Religionshass, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus" gesehen werden. Poings Gemeinderat kam per Beschluss zu einem einstimmigen Ergebnis. Bis es soweit war, wurde jedoch rege diskutiert. Ob Poing den Titel auch offiziell tragen darf, ist ungewiss. Diesen Beschluss trifft nämlich nicht der Poinger Gemeinderat.

Inspiration für den SPD-Antrag gab die europaweite Aktion "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" mit Sitz in Berlin, bei der bereits zwei Poinger Schulen mitmachen. Um den Titel zu erhalten, müssen mindestens 70 Prozent aller Schüler und Lehrer per Unterschrift ihr Einverständnis geben. Diese Voraussetzung haben die Seerosenschule und die Dominik-Brunner-Realschule erfüllt, die Anni-Pickert-Schule ist auf dem Weg dorthin. Was die Frage aufwirft, inwieweit sich der Titel überhaupt auf einen Ort übertragen lässt.

In der Poinger Gemeinderatssitzung war es Wolfgang Spieth von der FDP, der generelle Zweifel an dem Antrag vorbrachte. Die im Antrag genannten Werte sollten eine Selbstverständlichkeit sein, so Spieth: "Welche Gemeinde würde schon sagen, wir stehen für Ausgrenzung, Diktatur und Einfalt?" Zudem sei ihm der Antrag zu unkonkret formuliert, so Spieth, es werde darin nicht klar, wo und in welcher Form sich in Poing Fremdenfeindlichkeit oder ähnliches äußere. Dem widersprachen Bürgermeister Albert Hingerl (SPD) und sein Parteifreund, Gemeinderat Omid Atai, der den Antrag mit verfasste. Er könne "vielerlei Probleme nennen", so Hingerl, etwa wenn es um die Asylbetreuung gehe. Erinnert sei an eine Hakenkreuzschmiererei an der Turnhalle der Seerosenschule und Aufkleber mit rechtsextremen Inhalten, die immer wieder in Poing zu finden sind.

Dass es in Poing Auffälligkeiten aus der rechtsextremen Szene gibt, ist seit Längerem bekannt. Weniger klar ist, wie man sich hier als Kommune verhält. Der Weg, den Poings Gemeinderat nun wählt, ist im Landkreis Ebersberg bisher einzigartig, allerdings fehlt der Gemeinde anders als den beiden Schulen im Landkreis ein Siegel. Tatsächlich vergibt der Berliner Verein "Aktion Courage" den Titel nicht nur an Schulen, sondern auch an Kommunen. Bundesweit gebe es derzeit acht Träger, heißt es aus Berlin: Ellwangen in Baden-Württemberg, Bitterfeld und Quedlinburg in Sachsen-Anhalt, Speyer (Rheinland-Pfalz), Bremen, und Hagen, Holzwickede und Unna (NRW). Demnach wäre Poing die erste Kommune Bayerns, die diesen Titel trägt.

Wie kann eine Kommune aktiv Mut für Vielfalt zeigen? Anruf am Montagnachmittag bei der Stadt Unna, unweit von Dortmund, wo Fremdenfeindlichkeit ein lokales Thema ist. Unna, laut Organisation eines der aktivsten Mitglieder, trägt das Siegel seit November 2014. Wie kam es dazu? Details erklärt Oliver Böer, Sprecher des Unnaer Bürgermeisters. Die Initiative kam hier von Schülern, so Böer, "sie kamen auf den Stadtrat zu".

Ehe das Gremium zustimmte, kam dortmehr als zwei Jahre lang eine Arbeitsgruppe zusammen und erstellte ein Konzept - das dann sowohl der Stadtrat als auch der Berliner Verein absegneten. Daraus entstand das Kernprojekt: ein "Runder Tisch", an dem ein breiter Teil der Gesellschaft zusammen kommt, Bürger, Vereine, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Schulen, die Gemeindeverwaltung, Polizei, Arbeiterwohlfahrt, Volkshochschule. Es gibt Lesungen in Unnas Gemeinderat, Projektarbeiten und Musikaufführungen im Rathaus. Zudem reagiere der runde Tisch auf aktuelle Entwicklungen, erklärt Rathaussprecher Böer, das Gremium organisiert etwa Gegenkundgebungen zu Demonstrationen von Rechtsextremisten oder Veranstaltungen der AfD.

Wie realistisch ist so etwas in Poing? Im SPD-Antrag steht: "Für die konzeptionelle Ausarbeitung und Umsetzung wird empfohlen, eine Arbeitsgruppe einzusetzen aus Mitgliedern des Gemeinderates, der Gemeindeverwaltung, der örtlichen Schulen, der Mobilen Beratung Süd und der Bürgerschaft." Der Wille ist im Antrag also formuliert, für ernsthaftere Ambitionen müsse sich aber "erst einmal eine aktive Gruppe bilden", erklärt Matthias Schwerendt, Vorstandsmitglied von Aktion Courage, am Montag. "Im jetzigen Stadium gibt es keinen Grund, in Poing irgendwelche Lorbeeren zu verteilen."

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SZ vom 30.10.2018
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