Süddeutsche Zeitung

Grippewelle im Landkreis:"So schlimm wie in diesem Winter war es noch nie"

Die Grippewelle hat den Landkreis Ebersberg voll im Griff. In Behörden, Firmen, Kitas und im Kreiskrankenhaus arbeiten die Verbliebenen am Limit. Die Ärzte schieben Sonderschichten.

Von Viktoria Spinrad, Ebersberg

Schlagartig pocht der Kopf, schmerzen die Glieder, quält einen ein trockener Husten im Hals, fühlt man sich erschöpft: Mit den Symptomen der Grippe schlagen sich in Deutschland derzeit wieder besonders viele Menschen herum. Und wie: Denn nun hat die bundesweite Grippewelle auch im Landkreis Ebersberg einen erneuten Höhepunkt erreicht. Nachdem die Zahl der gemeldeten Influenza-Fälle hier zuletzt wieder etwas gesunken war, nahm das Virus in diesen Tagen wieder Fahrt auf. Alleine in der vergangenen Woche wurden dem Ebersberger Gesundheitsamt knapp 50 Fälle gemeldet, drei Mal so viele wie im vergangenen Jahr; insgesamt waren es heuer doppelt so viele.

Mit allen Konsequenzen für Menschen und Institutionen im Landkreis - allen voran die Ebersberger Kreisklinik, die nun am Rande ihrer Kapazitäten arbeitet. "Wir sind voll und müssen uns jeden zweiten Tag von der Leitstelle abmelden", berichtet Thomas Bernatik, Chefarzt für innere Medizin. Auch wegen zahlreicher Lungenentzündungen sei man sogar über die Kapazitätsgrenzen hinaus belegt. Dazu kommt, dass viele Mitarbeiter selber erkrankt seien.

"Wir sehnen den Umbau herbei, um solchen Winteranstürmen überhaupt gerecht werden zu können", so Bernatik. Am Limit sehen sich auch viele Arztpraxen im Landkreis. "Die vielen Hausbesuche bringen das hier fast zum Kippen", sagt der Vaterstettener Hausarzt Max-Emanuel Kemmerich. Alleine in der vergangenen Woche habe er 20 Fälle der sogenannten "echten Grippe" diagnostiziert; und überhaupt habe er in den zehn Jahren in seiner Praxis noch nie so viele nachgewiesene Grippefälle erlebt wie in diesem Winter.

Einen Ansturm erlebt auch der Ebersberger Hausarzt Malte Dohmen. Kürzlich seien an einem einzigen Tag 142 Patienten in seine Praxis gekommen, "das muss man sich mal vorstellen". Ob sich auch Mitarbeiter angesteckt hätten? "Das ist zur Zeit keine Option", so der Hausarzt. Ein Rekordjahr im negativen Sinne erlebt auch Franz Schug: "So schlimm wie in diesem Winter war es noch nie", sagt der Steinhöringer Hausarzt - und verortet die Grippewelle an ihrem Höhepunkt.

"Alles rotzt und hustet"

Das sieht auch, wer einen Blick auf die Influenza-Karte und Zahlen des Robert-Koch-Instituts wirft: In den vergangenen drei Wochen verfärbt sich die Deutschlandkarte in Bayern in weitflächiges Rot. Alleine seit Jahresbeginn hat sich die Zahl der Erkrankten in Bayern mehr als verdoppelt; die bundesweit größte Gruppe gemeldeter Fälle bilden Kinder bis zu vier Jahren.

Ein Trend, den auch die Kindergärten im Landkreis spüren. "Alles rotzt und hustet", sagt Barbara Bechthold, die Leiterin des Awo-Hauses in Baldham. Auch eine Betreuerin sei an der Influenza erkrankt. Kämpferisch zeigt man sich im St.-Benedikt-Kindergarten in Ebersberg. "Jeder Betreuer gibt bis aufs letzte Tröpfchen, was er kann", schildert eine Mitarbeiterin. Die Wellen, in denen sich Betreuer oftmals bei den bereits erkrankten Kindern anstecken, versucht man sich in den zwölf Kitas des Kinderland-Trägers logistisch gleich zunutze zu machen: Wo Betreuer wegen Krankheit fehlen, springen Betreuer aus den Einrichtungen ein, in denen wiederum viele Kinder krank zuhause bleiben. "Bisher mussten wir zum Glück noch keine Kita dichtmachen", sagt Simone Klein von der Kinderland Plus GmbH.

Eine ausgeklügelte Logistik benötigen auch die Schulen im Landkreis, in denen laut der Schulamtsleiterin vor allem grippale Infekte Lehrer und Schüler plagen. "Die mobile Reserve reicht nicht mehr aus", schildert Angela Sauter. Also müssten neben den Vertretungslehrern auch reguläre Lehrer die Stunden ihrer kranken Kollegen auffüllen. "Es ist noch nicht dramatisch, aber sehr unangenehm", sagt die Schulamtsleiterin.

Auch in den Firmen ist die Grippewelle angekommen. "Bei uns stapeln sich die Krankschreibungen", heißt es bei OCE in Poing. Gefühlt seien es doppelt so viele wie sonst zu dieser Jahreszeit; auch Fortbildungsveranstaltungen mussten schon abgesagt werden. Im Ebersberger Autohaus ist von einem Krankenstand von etwa zehn Prozent die Rede. "So schlimm wie in diesem Jahr war es lange nicht mehr", sagt Rainer Ebenwaldner, Personal- und Finanzleiter im Autohaus. Auch im Landratsamt ist mit 47 von 540 Mitarbeitern zur Zeit knapp zehn Projekt der Belegschaft erkrankt.

Zur Zeit fegt zusätzlich zur Grippewelle noch eine Kältewelle über die Region; bis zum Mittwoch sind bis zu minus 14 Grad vorhergesagt. Das trifft vor allem die, die berufsbedingt draußen arbeiten. Um gar nicht zu riskieren, dass jemand erkrankt, will man sich auf dem Kirchseeoner Bauhof nur auf die nötigsten Arbeiten unter freiem Himmel beschränken. Und auch in Grafing will man aufpassen, dass zu den zwei Arbeitern, die mit der Grippe flachliegen, nicht noch weitere hinzukommen. "Sonst müssen wir eine Urlaubssperre verhängen", sagt Bauhof-Chef Marinus Greithanner.

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SZ vom 27.02.2018/koei
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