Literatur nicht nur für Kinder:Vom sprechenden Baum zum Zauberlehrling

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Die Natur ist dem dreifachen Vater wichtig. Und er hat ein großes Faible für den Wald. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Erst packte Gregor Wolf die Rollenspielleidenschaft, dann wurde er Archäologe. Nun hat der Vaterstettener sein zweites Fantasy-Kinderbuch veröffentlicht, es heißt "Etzel Zauderkern".

Von Michaela Pelz, Vaterstetten

Was haben Goethes Zauberlehrling und der Protagonist aus Gregor Wolfs Neuerscheinung "Etzel Zauderkern und die Macht der Wünsche" gemeinsam? Erstens den Beruf, zweitens die Verwendung gereimter Sprüche und drittens, dass das Endergebnis des geplanten Zaubers oft ein ganz anderes ist als erwartet oder erhofft.

Womit man auch schon mittendrin wäre im zweiten Fantasyroman für Kinder ab zehn Jahren des Vaterstetteners, der allerdings die Bezeichnung "Abenteuermärchen" vorzieht. Auf 280 fesselnden Seiten geht es dort um einen jungen Magier in Ausbildung, dem nicht nur sein Mantel noch ein bisschen zu groß ist. Auch die Aufgabe, in der er sich völlig unerwartet wiederfindet, ist eigentlich nichts für einen Anfänger, weswegen Etzel von einer Kalamität in die nächste stolpert.

Ganz anders sein Schöpfer Gregor Wolf. Dessen fantastisch-poetischer Erstling " Die abenteuerliche Reise des Leopold Morsch", erschienen 2019, war ob seiner literarischen und handwerklichen Qualität nicht nur bei Lesenden allen Alters sowie Kritikern ein voller Erfolg, sondern bescherte dem (noch) nebenberuflichen Schriftsteller weitere Verlagsverträge - aktuell schreibt er an Buch Nummer drei.

Beste Autorenschule: Das Pen-and-Paper-Rollenspiel

Inspiration fand und findet der studierte Archäologe vor allem durch ein seit Schülertagen und bis heute betriebenes Hobby, dem Pen-and-Paper-Rollenspiel. Dessen wesentlichstes Element: Das Geschehen der Heiler und Halunken, Ritter, Retter und Räuber, Könige und Klosterbrüder entwickelt sich allein durch verbale Beschreibungen. Mit leisem Lachen meint Wolf dazu: "Diese leichte Verklärung des Mittelalters macht einfach Spaß. Man kann viel klarer einen schwarz-weißen Rahmen bauen und gleichzeitig Grautöne herausarbeiten."

Denn die gibt es natürlich zu Hauf, wenn Etzel ganz allein in die weit entfernte Hauptstadt reist, um der todkranken Königin eine Medizin zu überbringen. Weder ist er den Umgang mit dem Volk außerhalb der Burgmauern gewohnt, noch weiß er etwas von politischem Ränkespiel. Dass sich außerdem drei Mordbuben an seine Fersen geheftet haben, macht die Sache nicht einfacher.

Zweite Protagonistin ist eine angehende "Knappin"

Zum Glück erhält der sympathische, aber weltfremde Jüngling bald Unterstützung. Von einem Mädchen, einer (wie unschwer am Topfschnitt erkennbar) "Knappin". Zumindest wäre Gisa von Sturm gern erst das und später Ritterin. "Sie will ihr Recht wahrnehmen, das zu tun, was auch Männer tun", erläutert der Autor die Motivation dieser Heldin. Das jedoch ist für Frauen nicht vorgesehen und sogar strafbar. Dadurch bekommt der Roman eine zweite Spannungsebene, vor allem aber eine starke Identifikationsfigur, die all das beherrscht, was Etzel nicht wirklich kann: reiten, schwimmen, kämpfen, sich anschleichen, das Wetter lesen.

Gisa kennt sich auch mit der Topographie des Landes aus, was höchst hilfreich ist auf der Reise. "Sowohl im ersten, als auch im zweiten Buch stecken viele reale Landschaften und Orte drin, die ich mal gesehen oder besucht habe; von Schottland bis Nordafrika, von Sagres bis Krakau", erklärt der Autor die Detailtreue seiner Beschreibungen, die dazu führt, dass man den "kleinen, gurgelnden Bach, der in der Sonne goldbraun glitzerte", für den der River Findhorn zwischen Inverness und Aberdeen Pate stand, förmlich vor sich sieht und hört. Nicht anders verhält es sich mit dem Wald, dessen dichtes Blätterdach die Reisenden vor dem Regen schützt.

Nachdem in "Morsch" ein sprechender Baum sogar eine der Hauptfiguren war, spielt also auch hier der Wald mit all seinen Gefahren, aber auch all seiner Schönheit eine nicht unerhebliche Rolle. Wolf, ein gebürtiger Münchner, der es zwar durchaus mag, in Cafés zu sitzen und sich durch die Stadt treiben zu lassen, beschreibt den Grund für seine Faszination so: "Der nicht angelegte, echte Wald mit seinem wunderbaren Grün spiegelt übers Jahr das ganze Leben wider und bietet ein Motiv, bei dem man ganz viel mit Geräuschen und Gerüchen spielen kann."

Wenn Gregor Wolf bei Lesungen seine sonore Stimme ertönen lässt, zieht er damit Zuhörer allen Alters sofort in den Bann. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wie gekonnt die so entstandenen Bilder, die man riechen, fühlen, schmecken und hören kann, die Zuhörenden in den Bann ziehen, weiß jeder, der schon einmal eine Schullesung des 45-Jährigen erlebt hat. Im Handumdrehen fesselt seine einschmeichelnde Stimme, mit der er jeder Figur eine eigene Persönlichkeit verleiht, selbst den gelangweiltesten Siebtklässler. Souverän bindet Wolf die Kinder ein und kommt mit ihnen ins Gespräch. Ob er diesen gekonnten Umgang mit dem Publikum jahrelangem Rollenspiel oder doch seiner Erfahrung als dreifacher Vater verdankt? Man weiß es nicht.

Was jedoch unmittelbare Folge eines naturgemäß turbulenten Alltags ist, in dem zwei Erwachsene Job und Familie unter einen Hut bringen müssen: Wolfs Fähigkeit, immer und überall schreiben zu können. Ob im Zug, am Küchentisch, auf der Couch, "notfalls sogar, wenn nebenher der Fernseher läuft".

Die im Buch erwähnten Heilkräuter gibt es alle wirklich

In dessen Programm bedient er sich aber natürlich nicht, wenn es darum geht, Bezeichnungen für Personen und Orte zu finden. "Erst kommt die Inspiration: Mir sind Laute sehr wichtig, der Klang muss beim Vorlesen funktionieren. Auch mag ich sprechende Namen wie Herzog Helm, Etzel Zauderkern, die Stadt Nahfern." Zuweilen baut Wolf auch Worte aus ost- und nordeuropäischen Sprachen um. Oder er sieht die Szene vor seinem geistigen Auge und die passenden Namen - etwa "Fildisbert" für eine dösige Wache - drängen sich quasi von selbst auf, denn so hätte im Mittelalter durchaus jemand heißen können.

Was der promovierte Ägyptologe sich nicht ausgedacht hat, sind die im Buch vorkommenden Heilpflanzen. "Die gibt es alle wirklich, aber ich habe die alten Namen genommen, weil sie besser klingen." Alfblut entspricht Johanniskraut, ist unter anderem gut gegen Schwellungen, Prellungen, Reizung und unterstützt die Wundheilung. Allerdings würde der Autor nicht so weit gehen, zu behaupten, die Rezepturen der Geschichte basierten auf Wissen in Naturheilkunde. "Ich habe Sachen vermengt, die gut klingen und einen magische Charakter haben."

Eine gewisse Affinität zum Thema hat Wolf allerdings doch: Hauptberuflich arbeitet er im Bereich der medizinischen Wissensvermittlung. Genau dieser Brotberuf bietet Wolf auch die Chance, in seinem eigenen Tempo zu arbeiten, seine Texte reifen zu lassen. Was für ihn etwa bedeutet, die eigene Rohfassung dreimal überarbeitet zu haben, bevor das Manuskript an den Verlag geht. "Ich will erst abgeben, wenn ich den Moment erreicht habe, an dem ich es nur noch verändern, nicht aber verbessern könnte."

Das gilt auch für die Reime, die Etzel für seine Zaubersprüche benutzt. Nicht immer fällt es der Buchfigur leicht, etwas Passendes zu finden - wie erging es dem Autor beim Schreiben? "Ganz genau so", gibt er zu Protokoll. "Man sitzt manchmal da und verzweifelt. Das Ganze muss ja auch einen Rhythmus haben; erst wenn man es singen oder rappen kann, ist es ein wirklicher Reim." Dass es letztendlich doch überall klappte, schreibt der Hobbymusiker seinem Rhythmusgefühl zu. Seit er ein Teenager ist, spielt Wolf Gitarre, schreibt eigene Songs.

Eine weitere Karriereoption stellt das aber wohl nicht dar, sitzt Gregor Wolf derzeit ja schon an einem neuen Fantasy-Roman. Darin kommen wieder ein Wald sowie ein Junge und ein Mädchen vor, mehr will der Autor nicht verraten. Ein Folgeband von "Etzel Zauderkern" ist es auf jeden Fall nicht - obwohl dessen Ende offen bleibt. Denkt der Autor an eine Fortsetzung? "Ich schon. Ob der Verlag es tut, weiß ich nicht", sagt Wolf und lacht.

Gregor Wolf: "Etzel Zauderkern". Ueberreuter HC, Berlin 2022. 280 Seiten, 16 Euro.

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