Grafinger Stadtgeschichte:Was Straßen verraten

In Grafing werden weitere Zusatzschilder mit historischen Erläuterungen angebracht

Von Anja Blum, Grafing

Marienstraße, Goethering oder Blumenweg bedürfen wohl eher keiner Erläuterung. Doch viele Straßen in Grafing sind weit weniger selbsterklärend, weswegen Archiv- und Museumsleiter Bernhard Schäfer immer wieder zusätzliche Tafeln anbringt, die die Herkunft der Straßennamen erläutern. Im vergangenen Jahr war es 175 Jahre her, dass der Elkofener Schlossherr Joseph von Hazzi verstarb; und außerdem 100 Jahre, dass die Schriftstellerin Lena Christ aus dem Leben schied. Das hat die Stadt nun zum Anlass genommen, für jene Straßen, die an die beiden Persönlichkeiten erinnern, Zusatzschilder mit erläuternden Texten anfertigen zu lassen. Ergänzt wurden die Tafeln durch eine weitere, die an der Pfarrer-Aigner-Straße angebracht wurde.

Joseph Ritter von Hazzi war Jurist, Staatsbeamter und Agrarreformer. 1768 in Abensberg geboren, schickte ihn der Vater als Internatszögling nach München, später studierte er Rechtswissenschaft in Ingolstadt. Maßgeblich beeinflusst war sein Denken und Handeln von der Physiokratie - einer im Zeitalter der Aufklärung begründete ökonomische Schule, nach welcher allein die Natur Werte hervorbringt und somit der Grund und Boden der einzige Ursprung des Reichtums eines Landes ist. Somit könnten nur die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft, der Bergbau und die Fischerei einen Überschuss erzielen, während das Gewerbe lediglich Vorprodukte umforme. Seine Dienstreisen nutze Hazzi, um gewissenhaft seine Beobachtungen aufzuzeichnen. Diese Notizen sind teilweise statistischer Natur, beinhalten Schilderungen von Land und Leuten, ihren Lebensbedingungen und Sitten, aber auch ihrer Ernährung und ihren Trachten. Als Chef des landwirtschaftlichen Vereins in Bayern verfasste Hazzi zudem etliche Denk- und Streitschriften. Schloss und Gut Elkofen bei Grafing kaufte er 1827 von seinem Schwiegervater, dem Landesappellationsgerichtspräsidenten Aloys Basselet von La Rosée. Als Verfechter einer durchgreifenden Umgestaltung der Landwirtschaft in Bayern wandelte Hazzi das Gut binnen weniger Jahre in einen Musterbetrieb um. Zusammen mit seiner Frau Josephine förderte er die schulische Ausbildung in Grafing. 1845 kinderlos verstorben, wurde er auf dem Friedhof Oberelkofen beigesetzt. Eine Gedenktafel an der Ostseite der Kirche erinnert an Joseph von Hazzi und seine Frau, die ebenfalls hier bestattet ist.

Die Schriftstellerin Lena Christ stammt nicht direkt aus Grafing, aber aus Glonn. 1881 wurde sie dort geboren als außereheliches Kind von Magdalena Pichler, damals Köchin auf Zinneberg, später Wirtin in München. Die ersten sieben Lebensjahre verbrachte Lena Christ auf dem Hof der Großeltern. Später erinnerte sie sich an diese Zeit als ihre glücklichste, zur Mutter hatte sie kaum Kontakt. In der Schule zeigte sich die "Hansschusterleni" talentiert und aufgeweckt. Lena Christ hing sehr an ihrem Großvater, den sie zeitlebens verehrte und dem sie später einen Roman widmete. In der elterlichen Gaststätte in München allerdings erlebte Christ harte Jahre. Sie musste Schwerstarbeit verrichten, und das Verhältnis zur Mutter war von seelischen und körperlichen Misshandlungen geprägt. Der Tod ihres Großvaters im Jahre 1894 führte bei Lena Christ zu einem Suizidversuch - und es sollte nicht der letzte bleiben. Es folgten eine unglückliche Ehe, Fehlgeburten, Armut, Prostitution. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, erledigte Christ auch Schreibarbeiten, unter anderem für einen Schriftsteller - der sie ermutigt, ihre Erlebnisse niederzuschreiben. Von da an entstanden gesellschaftskritische Werke, die tiefe Einblicke in das Leben der Land- und Stadtbevölkerung Oberbayerns zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewähren. Zu ihren bedeutendsten Veröffentlichungen zählen: "Erinnerungen einer Überflüssigen", "Die Rumplhanni" und "Mathias Bichler". Doch Depressionen und erneute finanzielle Schwierigkeiten setzten Christ sehr zu: 1920 nahm sie sich in München das Leben.

Nicht weniger eindrücklich ist die Biografie von Korbinian Aigner, Priester, Pomologe und KZ-Häftling. Der "Apfelpfarrer" hat es auf ein Straßenschild geschafft, weil er von 1916 bis 1921 als Koadjutor und Pfarrvikar in Grafing tätig war. Aigner wurde 1885 in Hohenpolding im Landkreis Erding geboren. Er war Hoferbe, wollte aber Priester werden. Nach dem Abitur in München studierte er in Freising Theologie. Außerdem interessierte er sich schon früh für den Obstanbau und gründete in seiner Heimat einen entsprechenden Verein. 1930 wurde Aigner zum Präsidenten des Obst- und Gartenbauvereins Oberbayern gewählt. Doch auch an Politik war er sehr interessiert: 1916 trat er der Zentrumspartei bei, 1923 besuchte er eine Veranstaltung der NSDAP, hörte dort eine Rede von Adolf Hitler - und begann, den Nationalsozialismus zu bekämpfen. Gerade in seinen Predigten bezog er eindeutig Stellung. 1939 wurde Aigner verhaftet. Im KZ Dachau pflanzte er zwischen zwei Baracken Apfelbäume, wobei ihm sogar die Züchtung neuer Sorten gelang. 1945 musste Aigner zusammen mit Tausenden anderen Häftlingen einen Marsch nach Südtirol antreten, doch am Starnberger See konnte er fliehen und sich in einem Kloster verstecken. Später kehrte er in seine Gemeinde Hohenbercha zurück, wo er sich wieder seinen Schäfchen und dem Obstanbau widmete. 1966 starb Korbinian Aigner an einer Lungenentzündung.

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