Coronvirus:Grafinger Jugendorchester im Krisenmodus: Musik von Dahoam

Video

Ein Screenshot aus dem ersten Stay-at-home-Video des Grafinger Jugendorchesters.

(Foto: Privat)

Wegen Corona mussten zwei Ensembles im Kreis Ebersberg sämtliche Konzerte absagen oder verschieben. Musiziert wird trotzdem, auf dem Balkon, im Bad - oder Bett.

Von Korbinian Eisenberger, Grafing/Zorneding

Ein junger Mann liegt oberkörperfrei mit einem Saxofon im Bett. Gut zu sehen, dass er weiß, welch zärtliche Berührungen es braucht, um dem Instrument Töne zu entlocken. Das Video von Florian Hackers horizontaler Interpretation des Supertramp -Stücks "Dreamer" ist bereits für die Nachwelt gesichert und soll demnächst auf Youtube zu sehen sein. Florian Hackers Schlafzimmer-Beitrag wird eines von vielen Videos sein, die in den kommenden Tagen zu einem digitalen Gesamtkunstwerk zusammengefügt werden. Ein Saxofonist, von seinem Orchester umrahmt und eingebettet.

Kreativität sagte man dem Grafinger Jugendorchester schon nach, als mit Corona noch ausschließlich ein Bierhersteller gemeint war. In diesen Zeiten der viralen Krise steigt nun das Level aber in Sphären, die sich selbst Supertramp nicht erdreamen hätten können. Wie musiziert ein Orchester, wenn Kontaktsperre und Ausgangsbeschränkungen die Zusammenkunft im Proberaum verbieten?

Erst einmal gar nicht. Die Coronakrise betrifft auch die Musikerszene massiv, und je größer die Gruppe, desto spürbarer wird es. Im Landkreis Ebersberg besonders betroffen: das Grafinger Jugendorchester mit knapp 100 Musikanten - und das Symphonieorchester des Kulturvereins Zorneding-Baldham mit etwa 50. Beide Ensembles haben sämtliche für Frühjahr und Sommer geplanten Konzerte verschoben oder abgesagt.

Zum ersten Mal seit Jahren wird das Grafinger Jugendorchester heuer keine Sommerkonzerte spielen. Die für Juni geplanten vier Auftritte im Alten Speicher in Ebersberg hat Orchesterleiterin Hedwig Gruber auf Mai 2021 verschoben. "Wir hatten schon die Flyer und Plakate gedruckt", erzählt sie. Immerhin: Der für Ende April geplante Comboabend im Alten Kino soll noch dieses Jahr nachgeholt werden, am 10. Oktober, und zwar vor größerem Publikum im Alten Speicher.

Sehr ähnlich sieht es in Zorneding aus. Der Kulturverein hatte für 15. März ein Klavierkonzert und zwei Wochen später zwei Frühjahrskonzerte gemeinsam mit dem Orchester des Kirchseeoner Gymnasiums geplant - doch alle Termine mussten ausfallen. "Wir sind deswegen immer noch ziemlich unter Schock", sagt Astrid Albrink, die Sprecherin des Ensembles. Auch das Konzert im zugehörigen Kammermusikzyklus am 19. April wird nicht wie geplant stattfinden. "Hier bemühen wir uns um einen Ersatztermin", heißt es von der Leitung. Ob der Saisonabschluss der Reihe am 17. Mai aufgeführt werden kann, ist derzeit noch offen.

Erich Beschorner, der Cutter in der Not

Ausmusiziert im Kreis Ebersberg? Teilweise ja, aber nicht ganz. Aus Grafing waren auch in den vergangen Wochen Töne zu vernehmen. Die Mitglieder des Jugendorchesters folgten dem landesweiten Aufruf und fertigten daheim Videos von sich beim Musizieren an. Auf dem Balkon, am Fenster, im Bad - oder im Bett. Das erste Video aus verschiedenen Locations ist bereits auf Youtube zu sehen. Gespielt wurde Beethovens "Ode an die Freude" - wobei der Zusammenschnitt des Materials eher eine Ode an die Mühsamkeit war.

Hauptfigur ist hier Erich Beschorner, der seit Jahren für den Filmschnitt des Orchesters zuständig ist - und zwei Tage Arbeit in den Clip investierte. Das Problem bei der Produktion des Stay-at-Home-Videos: "Keiner hört von den anderen, wie schnell sie sind", erzählt der 52-Jährige. Hinzu kommt: Die 17 Videos wurden allesamt mit dem Handy gefilmt, weshalb die Qualität von Bild und Ton höchst unterschiedlich ausfällt. "Es gibt aber ein paar Tricks, um es so anzupassen, dass es zumindest zeitlich irgendwie synchron ist", sagt Beschorner. Beim Ton, den die oft schwachen Einbaumikros von Handys aufnehmen, sei er aber ziemlich machtlos.

Bei den kommenden Videoprojekten soll das anders werden. Jeder Musiker bekommt einen Orientierungstrack, der das Tempo vorgibt. Und da "Dreamer" von Supertramp bereits Teil der GJO-Sommerkonzerte war und als Audiofile vorliegt, wird das nächste Video eine Playback-Show. Florian Hacker wird zwar tatsächlich im Bett liegen und sein Saxofon zum Säuseln bringen, im fertigen Video soll dann aber der Track vom damaligen Livekonzert zu hören sein.

So versuchen sie beim GJO, die Laune zumindest ein wenig hochzuhalten. Sowohl aus Grafing, als auch in Zorneding wird jedoch deutlich, dass es auch für Musiker schwere Zeiten sind. "Wir waren mit den Vorbereitungen zu den Frühjahrskonzerten auf der Zielgeraden", erklärt Astrid Albrink. Sie und ihre 50 Kollegen vom Zornedinger Symphonieorchester hatten bereits eine Solosängerin engagiert, "ein Profi", sagt sie. Ob die für Ende Juli geplanten Sommerserenaden stattfinden können? "Ich kann im Moment überhaupt nicht sagen, wie es weiter geht."

Auch in Grafing schwingt bei all der Kreativität Unsicherheit mit. Ausgerechnet jetzt, wo die Grafinger über ein Casting 15 neue Musiker gewinnen konnten, grätscht die Viruskrise dazwischen. Orchesterleiterin Hedwig Gruber berichtet, wie kompliziert es gewesen sei, die wöchentlichen Proben terminlich so hinzubekommen, dass es für möglichst viele der knapp 100 Orchestermitglieder passt. "Das war meine Hauptarbeit - und nun ist alles über den Haufen geworfen", sagt Gruber. Der Sparkassensaal, ihr Proberaum, ist jetzt eine Corona-Teststation. Und solange das so ist, muss eben das Bett herhalten.

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