Grafinger Hightech-Unternehmen:Schammach Valley

Grafinger Hightech-Unternehmen: Strahlende Gesichter bei strahlendem Sonnenschein: Cadfem-Geschäftsführer Christoph Müller (rechts) wird mit seiner Firma ins neue Grafinger Gewerbegebiet umziehen. Das freut Bürgermeisterin Angelika Obermayr, Wirtschaftsförderer Tim Grebner und Bauamtsleiter Josef Niedermaier (von links).

Strahlende Gesichter bei strahlendem Sonnenschein: Cadfem-Geschäftsführer Christoph Müller (rechts) wird mit seiner Firma ins neue Grafinger Gewerbegebiet umziehen. Das freut Bürgermeisterin Angelika Obermayr, Wirtschaftsförderer Tim Grebner und Bauamtsleiter Josef Niedermaier (von links).

(Foto: Christian Endt)

Cadfem bleibt der Stadt durch den Umzug in das neue Gewerbegebiet erhalten. Dort sind inzwischen 90 Prozent der Erweiterungsflächen verkauft

Von Thorsten Rienth, Grafing

Sie gelten als technologischer "Hidden Champion", betreiben Standorte in fast der gesamten Welt. Sie sind einer der großen Arbeitgeber der Stadt. Und natürlich rangiert Cadfem auch auf der Liste der Grafinger Gewerbesteuerzahler sehr weit oben. Doch wie lange noch? Die Cadfem-Zentrale am Marktplatz wurde zusehends zu klein. Das Geschäft mit Simulationssoftware boomt. Doch seit diesem Mittwochvormittag ist es offiziell: Cadfem zieht zwar um - aber nur hinüber ins Grafinger Gewerbegebiet.

"Wir haben in den vergangenen zehn Jahren praktisch jedes freie Grafinger Grundstück durchgespielt", blickte Geschäftsführer Christoph Müller zwischen Baggern, Baucontainern und Kies zurück. "Aber das, was wir uns vorgestellt haben, das hat irgendwie gefehlt." Manchmal bringen selbst Kleinigkeiten große Pläne zum Scheitern. Dabei drängte die Zeit. Vor sieben Jahren noch beschäftigte das Unternehmen in Grafing 70 Mitarbeiter. Aktuell sind schon 110. Unternehmensbeteiligungen und weltweite Standorte mit eingerechnet liegt die Zahl sogar bei etwa 600.

Zwischenzeitlich hatte sogar einmal ein Umzug des Familienunternehmens am Autobahn-Kreuz München-Ost zur Debatte gestanden. "Aber dann hat sich hier im Gewerbegebiet die Möglichkeit ergeben", so Müller. Wirklich weg wollte eigentlich niemand. "Wir sind eine durch und durch Grafinger Firma."

Die Sache war allerdings nicht unkompliziert. Die 6000 Quadratmeter, auf denen im Sommer 2021 die neue Cadfem-Zentrale in Betrieb gehen soll, gehörten der Stadt nicht mehr allein. Außerdem reichte ein Teil der Erschließungsstraße nicht nur bis zu dem Areal selbst - sondern bis weit ins Grundstück hinein.

"Also haben wir den Bebauungsplan geändert, und zwar recht schnell", erklärt Bauamtsleiter Josef Niedermaier. Das soll auch heißen: Braucht ein Unternehmer schnelle Lösungen, sind Bauamt und Stadtmarketing zur Stelle. Das freilich geschieht auch aus Eigennutz. Mit insgesamt acht Millionen Euro war die Stadt zum Beispiel für die Erweiterung ihres Gewerbegebiets in Vorleistung gegangen.

Cadfems Handwerkszeug ist ein mathematisches Verfahren, die Finite-Elemente-Methode, kurz: FEM. Mit ihr können Mathematiker komplizierteste Differenzialgleichungen lösen und das physikalische Verhalten von Bauteilen vorausberechnen. Christoph Müllers Vater Günther hatte das Unternehmen Mitte der 1980er Jahre als Ein-Mann-Betrieb gegründet. Heute ist es eine der ersten Adressen, wenn es etwa um die Simulation von Crashtests, Batterien, Erdbeben, Tsunamis oder Explosionen geht.

Ohne gewaltige Expertise wäre der Aufstieg kaum denkbar gewesen - vor allem ein so stetiger. Um Flugzeughersteller oder die Premiummarken unter den Autoherstellern zu seinen Kunden zählen zu können, drehten die Müllers das Rad immer weiter.

Sie ergänzten das Basis-Simulationsprogramm durch selbst entwickelte Softwarelösungen, etwa um das Modul "Virtual Paint Shop". Das Programm simuliert den kompletten Lackierprozess von Fahrzeugkarosserien: das elektrische Feld, das den Lack ans Metall leitet; die Radiatoren, die den Lack bestrahlen; die Luftdüsen, die ihn trocknen und letztendlich sein Verhalten im Trocknungsofen. Für Laien kommt es wie Hexerei daher. Für Programmierer sind es angewandte Naturwissenschaften, allen voran Mathematik.

Für Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) zählt nicht nur, dass Cadfem in Grafing bleibt - und mittlerweile 90 Prozent der "Schammach II"-Erweiterung verkauft sind. "Es geht ums schlüssige Gesamtkonzept, das wir hier haben."

Vor ein paar Wochen erst konnte Grafings Wirtschaftsförderer Tim Grebner vermelden, dass die Aßlinger Kaffeerösterei Martermühle nach Schammach umziehem würde. Deren Jahresproduktion liegt derzeit bei 150 Tonnen im Jahr, bald sollen es 180 Tonnen sein. Den Schritt vom Start-Up zum Mittelständler wollen die Geschäftsführer in Grafing gehen.

Mit dem aus Ebersberg herziehenden Unternehmen Dr. Mach, einem Entwickler von Spezial-Lichttechnik für medizinische Zwecke, spannt die Stadt parallel eine Art Hightech-Achse auf. Mit einem weiteren Unternehmen aus dem Bereich stünden die Verhandlungen kurz vor dem Abschluss, berichtet die Bürgermeisterin. "Das macht uns natürlich auch für weitere Firmen aus diesen Branchen interessant."

Dieser Gedanke hatte auch bei Müllers Entscheidung für den Umzug eine Rolle gespielt. "Das Umfeld ist uns echt wichtig." Gänzlich schönreden will er die Verlagerung dennoch nicht. "Es ist nicht so, dass das unsere allerallererste Wahl war."

Die Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei etwas schwieriger. "Aufs Jahr gerechnet haben wir bestimmt zwei, drei Gäste am Tag", sagt Müller. "Da werden wir uns womöglich was einfallen lassen müssen."

Und die Mitarbeiter? "Ich würde schätzen: 95 Prozent sehen es positiv." Für so manchen sei die Stadtmitte natürlich unschlagbar. Dafür habe er Verständnis. Andererseits würden sich auch für die Mitarbeiter neue Möglichkeiten ergeben, ganz abgesehen vom Geschäftlichen. "Wir haben zum Beispiel eine Laufgruppe, die mittags unterwegs ist." Die sei künftig schon nach ein paar Metern mitten in der Natur.

Auch für die Stadt ist der Cadfem-Umzug nicht ausschließlich positiv. Womöglich würde im Sommer 2021 dann nach der Rotter Straße 8 die nächste große Immobilie im Stadtzentrum leer stehen. "Wir müssen wirklich schauen, dass wir das Haus mit einem Magneten versehen."

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