Eisenbahn:Grafinger erreicht mit Beschwerdemail, dass Züge verlängert werden

Meridian in Grafing Bahnhof

Der Meridian ist ein beliebtes Verkehrsmittel bei Pendlern Richtung München. Nach Beschwerden wegen Überfüllung sollen die Züge nun länger werden.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ein Pendler beschwert sich bei der Bayerischen Eisenbahngesellschaft über Platzmangel in der Bahn - und bekommt eine überraschende Antwort.

Von Anja Blum, Grafing

Ein Mann beschwert sich bei der Bahn - und bekommt als Antwort konkrete Verbesserungen zugesagt. Was klingt wie ein sehr, sehr schlechter Witz, ist nun einem Grafinger wirklich widerfahren. Harald Müller hat seinem Pendler-Frust per E-Mail Luft gemacht und damit tatsächlich etwas erreicht: Laut Bayerischer Eisenbahngesellschaft (BEG) werden künftig drei Züge des Meridian zwischen München und Rosenheim länger sein, das heißt, mehr Menschen Platz bieten. "Ich bin wirklich überrascht und natürlich sehr zufrieden", quittiert Müller das Ergebnis.

Der 55-Jährige wohnt in Eisendorf und fährt seit etwa 15 Jahren mit Bus und Bahn zur Arbeit, nach Starnberg. Eineinhalb Stunden einfach ist er täglich mindestens unterwegs. "Grundsätzlich macht mir das aber nichts aus, im Zug kann man arbeiten oder schlafen, außerdem bin ich Bahn-Fan", sagt Müller. Zum Beispiel betreibe er eine Webseite zu speziellen historischen Sicherungsthemen der Eisenbahnen. Deswegen erkläre er auch häufig anderen Fahrgästen die Gründe, weshalb irgendwo etwas nicht funktioniere, und wer daran vermutlich schuld sei und wer nicht. "Den meisten Menschen fehlt ja doch das Verständnis, wie die Eisenbahn funktioniert."

Das bedeutet: Müller ist eigentlich sehr nachsichtig mit der Bahn. Denn er kann unterscheiden zwischen "zufälligen Problemen" aufgrund von technischen Störungen oder kurzfristigen Baustelleneffekten, schwierigen "Infrastruktur-Eigenheiten" wie den kurzen Bahnsteigen zwischen Rosenheim und Grafing und "systematischen Fehlern", die es zu beheben gelte.

Seit zwei Wochen jedoch, seit die S-Bahnlinie zwischen Grafing-Bahnhof und Ebersberg wegen Bauarbeiten gesperrt ist, wird auch die Geduld von Müller überstrapaziert: "Die Zustände auf der Meridian-Linie sind im Berufsverkehr mittlerweile absolut unakzeptabel. Die Überfüllung hat schon zu Fällen geführt, wo Fahrgäste zusammengebrochen sind und das Personal davon überhaupt nichts mitbekam, weil es selbst nicht mehr in der Lage war, sich durch den Zug zu bewegen", sagt er. Eine Bekannte von ihm sei ohnmächtig geworden, und auch er selbst habe einen Schwächeanfall erlitten. "Da war dann eine Grenze überschritten."

Die Eisenbahngesellschaft räumt "nicht akzeptable" Engpässe ein

Also kontaktiert Müller die Eisenbahngesellschaft per E-Mail, schildert die Situation und zählt auf, welche Einschränkungen die Fahrgäste der Linie momentan hinnehmen müssen: die fehlende S-Bahn zwischen Grafing-Bahnhof und Ebersberg, den ersatzlosen Ausfall des Filzenexpress' sowie wegen Bauarbeiten verkürzte Züge. Dies alles führe zu einer Mehrbelastung des Meridian - und sei ein "nicht akzeptables Planungsversagen". Und überhaupt: "Grundlegend scheint mir das Platzangebot auf der Strecke nicht ausreichend zu sein", schreibt Müller: Die Zunahme der Bevölkerung im Landkreis mache eine grundsätzliche Erweiterung des Nahverkehrs nach und von München unabdingbar.

Die aktuelle, dramatische Situation sei ein "unglückliches Zusammentreffen von DB-Netz-Aktivitäten, Streckenproblemen und Rollmaterialausfällen", so Müller, die Bayerische Oberlandbahn (BOB), also der Meridian, sei demnach "nur sehr teilweise schuld". Daher habe er seine Beschwerde auch an die BEG gerichtet, die als ausschreibende und koordinierende Behörde dafür zu sorgen habe, dass "in diesen Zeiten des liberalisierten Bahnbetriebs eben solche Sachen nicht vorkommen oder wenigstens enorm zügig abgestellt werden".

Die BEG erklärt dann auch in ihrer Antwort: "Selbstverständlich erwarten wir, dass die von uns beauftragen Verkehrsunternehmen ihren Fahrgästen ausreichende Sitzplatzkapazitäten zur Verfügung stellen." Daher gebe die BEG in ihren Verträgen Mindestkapazitäten vor und erhebe Strafzahlungen, falls es wegen Zugkürzungen zu Engpässen komme. Und nun sehen die Verantwortlichen offenbar Handlungsbedarf: In ihrem ersten Schreiben an Müller sprechen sie selbst von "nicht akzeptablen Kapazitätsengpässen", zumindest bei jenem Meridian, der um 17.52 am Ostbahnhof Richtung Kufstein abfährt.

Deswegen habe man die BOB aufgefordert, eine Verstärkung dieses Zuges zu prüfen, so die BEG. Die BOB habe daraufhin "kurzfristig ein neues Umlaufkonzept erarbeitet" und zugesagt, dass der 17.52-Meridian nun von Montag bis Donnerstag verlängert werde. Die BOB prüfe außerdem, ob bei weiteren "besonders nachfragekritischen" Zügen, die derzeit vom Dienstleister TRI erbracht würden, eine Verstärkung möglich sei. "Tja, so ist das mit der Liberalisierung", sagt Müller, "die macht Änderungen sehr kompliziert".

Es wird bereits geprüft, ob anderswo ebenfalls Verstärkungen nötig sind

Doch schon ein paar Stunden später legt die BEG noch einmal nach: Die BOB habe "nach intensiver Prüfung" eine Verstärkung weiterer Züge während der Bauphase zugesagt, heißt es in einem zweiten Schreiben. Hierbei handelt es sich um den Meridian, der um 7.19 Uhr in Grafing-Bahnhof Richtung München abfährt, und den, der um 17.11 Uhr am Hauptbahnhof Richtung Kufstein startet. Diese beiden Verbindungen werden laut BEG von kommender Woche an mit einem zusätzlichen Wagen ausgestattet. Eine nochmalige Verstärkung sei aufgrund der kurzen Bahnsteige auf der Strecke leider nicht möglich.

Warum ausgerechnet Müllers Beschwerde so erfolgreich war? "Vielleicht, weil ich die Probleme halbwegs klar darstelle und trotzdem niemanden der Willkür beschuldige?", vermutet der Verfasser. Aber vielleicht habe sein Brief auch einfach irgendwo ein Fass zum Überlaufen gebracht. Erst kürzlich sei ein Herr durch den Zug gegangen und habe gerufen: "Schreibt alle an die BEG!" Bislang, so Müller, sei diese Akteur im Hintergrund gewesen, den sonst kaum jemand gekannt habe. Doch das sei nun vielleicht vorbei. "Ich hab die Welt sicher nicht alleine gerettet", sagt er und lacht.

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