Grafinger Bürgerwindrad:Hier kommt der Windrad-Widerstand

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In der Nähe von Nettelkofen bei Grafing soll ein Bürgerwindrad entstehen. Es wäre das Zweite in der Region, neben jenem in Hamberg bei Bruck. (Foto: Christian Endt)

Bislang beschränkte sich Kritik am geplanten Grafinger Bürgerwindrad auf eine Gegenstimme im Stadtrat. Bei einer Info-Veranstaltung der Bayernpartei liegen die Sympathien klar anders.

Von Thorsten Rienth, Grafing

Grafings Bayernpartei-Stadtrat Walter Schmidtke ist keine drei Sekunden mit der Begrüßung fertig, da kommt schon die erste Wortmeldung. Der Forstinninger Gemeinderat Joachim Wimmer steht auf, dreht sich in den Heckerbräu-Saal und steckt den Frontverlauf ab. „Mir geht’s darum, dass wir die Windräder im Ebersberger Forst verhindern“, ruft er.

Allein: Um den Ebersberger Forst geht’s an diesem Donnerstagabend gar nicht. Genauso wenig um mehrere Windräder. Sondern um das Einzige, das Grafing gerade im Westen der Stadt plant, und zwar in dem Viereck zwischen Pötting, Reitgesing, Nettelkofen und Seeschneider Kreisel. Aktuell läuft das Planungs- und Genehmigungsprozedere.

Als Hauptredner des Abends hat die Bayernpartei Thomas Schürmann vom Verein für Landschaftspflege, Artenschutz und Biodiversität e.V. (VLAB) eingeladen. Der Verband tritt bayernweit als Gegner von Windkraftanlagen im Wald an. Schürmann gilt in der Szene als der Macher des Baustopps der Anlagen im Höhenkirchner Forst. Erst einige Tage ist das her.

Energiewende im Landkreis
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Vom ursprünglichen Plan, das Grafinger Windrad in Eigenregie zu betreiben, rückt die Stadt nun auch formell ab. In seiner jüngsten Sitzung hat der Stadtrat den Beschluss zur Gründung einer Projektgesellschaft gefällt. Mit ihr will sich Grafing an zwei bekannte Partner andocken.

Von Thorsten Rienth

„Windräder gehören nicht in Wälder und auch nicht nach Südbayern“, startet er in seinen Vortrag. „Diese Auswüchse der Energiewende müssen wir stoppen.“ Dann redet er über indische und indonesische Energiepolitik, Überbevölkerung, das Pariser Klimaabkommen und dass Klima- und Umweltschutz nicht vermengt werden dürften. Und darüber, dass Grüne Hautausschlag bekämen, wenn ihnen jemand sage, dass der Energieverbrauch weltweit nach wie vor steige.

Eine gute halbe Stunde braucht es, bis Schürmann in der mit fast 50 Besuchern stark besuchten Veranstaltung in Richtung Grafing abbiegt. Zusammengefasst lautet seine Kritik so: Seit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) gilt für erneuerbaren Energien ein „überragendes öffentliches Interesse“. Mit dem Passus hätte die Politik Natur- und Artenschutz ausgehebelt. Jetzt drohe hochwertigem Mischwald, Seegraswiesen und wechselfeuchten Standorten im Grafinger Westen ein Windrad, dessen Rentabilität aufgrund der südbayrischen Windverhältnisse in den Sternen stehe.

Die Bebilderung hinter ihm zeigt ein Foto von drei Habichtskauzküken. Im Zuge eines Wiederansiedlungsprojekts hatte den VLAB vor wenigen Wochen den ersten Freiland-Nachwuchs der Eulenvögel in Deutschland außerhalb des Bayerischen Walds seit Jahrzehnten vermeldet. Laut Experten eine Sensation. Allerdings spielt die Geschichte im Steinwald in der Oberpfalz, Luftlinie gut 200 Kilometer Nordöstlich des möglichen Grafinger Standorts.

Bayernpartei-Stadtrat Walter Schmidtke, hier bei einer Wahlkampfveranstaltung im Jahr 2020, stimmte im Gremium gelegentlich gegen das geplante Grafinger Windrad. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die meisten Entscheidungen rund um das Windrad waren im Stadtrat mit großer Mehrheit gefallen. Lediglich Bayernpartei-Stadtrat Schmidtke votierte bisweilen dagegen. „Ich habe Bauchschmerzen mit dem Standort und der Frage, ob wir öffentliche Gelder in ein Projekt stecken sollen, wenn die Rentabilität derart unklar ist“, sagte Schmidtke am Rande der Veranstaltung.

Das Grafinger Rathaus setzt einen recht willkürlichen Stromverkaufspreis fest

Das die Rentabilität so großes Thema ist, rührt auch von einer recht hemdsärmlichen Rechnerei im Grafinger Rathaus her. Dessen unlängst vorgestellte Musterkalkulation legt einen durchschnittlichen Stromertrag von 10 887 Megawattstunden (MWh) im Jahr zugrunde. Zusammen mit einem recht willkürlich gesetzten Stromverkaufspreis von 10,5 Cent pro Kilowattstunde (erste 20 Jahre) sowie fünf Cent (letzte fünf Jahre) kommt die Verwaltung bis zum Ende der Projektlaufzeit (nach 25 Jahren) auf ein Plus von knapp 2,1 Millionen Euro.

Doch alldem liegt ein P50-Wert zugrunde. Der stammt aus der Wahrscheinlichkeitstheorie und besagt, dass die 10 887 MWh mit einer Wahrscheinlichkeit von lediglich 50 Prozent erreicht oder gar überschritten werden. Schon mit einem etwas konservativeren P75-Wert, also jener Stromausbeute, die man mit einer 75-prozentigen Wahrscheinlichkeit erreicht, kippt die Rentabilität ins Rote. Für diesen Fall prognostiziert die Stadtverwaltung einen jährlichen Stromertrag von nurmehr 9 746 MWh. Ihn in die städtischen Musterkalkulation eingefügt errechnet die Excel-Datei nach 25 Jahren ein Minus von rund 518 000 Euro.

Richtig ist allerdings auch: Längst nicht alle, die bei Bürgerkraftwerken Anteile zeichnen, sind auf große Gewinne aus. Oft zählt auch einfach die Sympathie für Energiegewinnung aus nicht-fossilen Trägern. Aber wenn auch öffentliches Geld in Projekte fließt, dann schaut die Öffentlichkeit inzwischen genauer hin.

Es gehe Bayernpartei mit der Veranstaltung nicht darum, das Windrad schlechtzureden, versichert Schmidtke. „Aber wir finden, dass vor einem Ratsentscheid die Pros und Contras transparent auf den Tisch gehören.“ Im Herbst folge daher eine ähnliche Info-Veranstaltung mit einem Vertreter aus der Windkraftbranche.

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