Zum Welttag des Buches:Mit dem Können kommt die Lust

Zum Welttag des Buches: An der Grafinger Comenius Schule hat Lehrerin Christine Hahn die "Lesekonferenz" etabliert.

An der Grafinger Comenius Schule hat Lehrerin Christine Hahn die "Lesekonferenz" etabliert.

(Foto: Christian Endt)

Passende Methoden und die richtige Lektüre können die Lesekompetenz von Kindern stärken und auch schwachen Lesern die Welt der Bücher schmackhaft machen.

Von Michaela Pelz, Grafing

Montagmorgen, kurz nach halb zehn. Die Kinder, die nach der Pause zurück in die 3b der Johann-Comenius-Schule Grafing stürmen, schauen sich verwundert um: Ihre Tische sind ganz anders angeordnet als sonst. Warum, das erklärt ihnen gleich Christine Hahn, die an zwei Tagen pro Woche Klassenlehrer Manuel Iglesias Lopez - "der netteste Lehrer, den es gibt!" - in Deutsch unterstützt. "Heute gibt es Gruppenarbeit. Wir machen eine Lesekonferenz!"

Wenn an diesem 23. April in zahlreichen Ländern der Erde der 1995 von der UNESCO eingeführte "Welttag des Buches" begangen wird, rücken nicht nur Krimis und Liebesromane, Lyrik und Sachbücher sowie deren Autorinnen und Autoren in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Es geht auch um den Zugang zum Lesen, zu jener elementaren Kulturtechnik, die man in allen Lebenslagen benötigt, um am Alltag teilzunehmen. Doch um gerne lesen zu wollen, muss man es erst einmal flüssig können.

Zum Welttag des Buches: Lehrerin Carolin Ungewiß kennt viele Methoden der Leseförderung.

Lehrerin Carolin Ungewiß kennt viele Methoden der Leseförderung.

(Foto: privat/oH)

Wie hier der Einstieg zu schaffen ist, weiß Carolin Ungewiß. Auch sie lehrt im Grafinger Förderzentrum, allerdings ist sie vor allem für die Klassen eins und zwei zuständig. "Am Anfang steht die phonologische Bewusstheit im Vordergrund - man muss, etwa mit Reimen, das Gehör trainieren", sagt sie. Auch motorische Übungen seien gut, um das silbische Prinzip der Sprache zu verstehen. "Das lässt sich auch daheim gut in den Alltag einbauen: Silben kann man klatschen, schwingen, hüpfen oder man geht im Takt wie ein Roboter."

Über dieses Stadium sind die Mädchen und Buben der 3b natürlich längst hinaus. Sie bringen jetzt erstmal die fünf Schritte der Lesekonferenz in die richtige logische Reihenfolge. "Lies leise den Text - Lest reihum den Text vor - Ziehe eine Frage. Lies sie vor und antworte - Sage, um was es in dem Text geht - Alle sagen, wie der Text weitergehen könnte" Dann setzen sie sich, jeweils angeführt von einem "Chef" aus der Schülerschaft, in Gruppen um die Tische.

Zum Welttag des Buches: Fünf Schritte hat die Lesekonferenz: Alleine lesen - gemeinsam lesen - Fragen beantworten - Inhalt zusammenfassen - Fortsetzung erfinden.

Fünf Schritte hat die Lesekonferenz: Alleine lesen - gemeinsam lesen - Fragen beantworten - Inhalt zusammenfassen - Fortsetzung erfinden.

(Foto: Christian Endt)

Der große Vorteil dieser Lesekonferenz sei, dass dadurch viel mehr Kinder gleichzeitig beteiligt seien, als würde man sie einzeln nacheinander vorlesen lassen, erläutert Hahn. Die Schülerinnen und Schüler regulierten und organisierten sich selbst, die Lehrkraft werde zum Lernbegleiter, der die Kinder nur bei Bedarf an die Hand nehme. Zudem sei der Stress in der Kleingruppe deutlich geringer. Und man könne durch Texte von unterschiedlichem Niveau gut differenzieren.

Erfolgserlebnis für alle

Was sie meint, wird beim Blick auf die Leseblätter schnell klar: In der einen Gruppe ist die Geschichte zwei Seiten lang, in der anderen nur eine. Zudem gibt es eine dritte Version mit einer Kennzeichnung der Silben in unterschiedlichen Farben. So haben alle beim Lesen ein Erfolgserlebnis - egal, ob sie nun in ihrer Freizeit wie Leonie "Harry Potter" verschlingen, zu "Bibi & Tina" greifen, sich wie Lenni von Fantasy verzaubern lassen oder doch lieber einen Comic wählen. "Wichtig ist es, Kinder selbst Sachen aussuchen und das lesen zu lassen, was sie interessiert", sagt Carolin Ungewiß, die schon nach dem ersten halben Schuljahr regelmäßige Besuche in die Bücherei unternimmt. Von dort entliehene Titel oder eigene Bücher dürfen sich die Zweitklässler dann gegenseitig vorstellen. Das steigere die Lesemotivation ungemein.

Trotzdem sei gerade am Anfang Übung durch Wiederholung ein ganz wichtiges Element. Um ihren Schülerinnen und Schülern zu zeigen, dass sie mit dem dreimaligen Lesen desselben Textes nicht etwa gequält werden sollen, sondern sich auf diese Weise eine positive Wirkung einstellt, lasse sie eine Uhr mitlaufen. So ließe sich der Anstieg des Lesetempos beim dritten Durchgang messbar darstellen. Und: "Kinder, die gut lesen können, schreiben auch gut." Sie prägten sich bestimmte Wortbilder ein, müssten dann nicht mehr die große Konzentration für den Leseprozess aufwenden und könnten sich eher auf Inhalte konzentrieren.

Zum Welttag des Buches: Susanne Ospelkaus aus Zorneding: Ergotherapeutin und Autorin

Susanne Ospelkaus aus Zorneding: Ergotherapeutin und Autorin

(Foto: privat/oH)

Eine, die sich ebenfalls mit Lesen und Schreiben auskennt, ist Susanne Ospelkaus. Denn die Zornedingerin ist nicht nur Autorin, sondern arbeitet in ihrem Erstberuf "Ergotherapeutin Pädiatrie" ausschließlich mit Kindern - sowohl in der eigenen Praxis als auch an Münchner Brennpunktschulen, wo sie mit Kindern liest und Sprechtraining macht. Die dabei gewonnenen Erfahrungen haben sie nun zu der Geschichte "Wieder einmal" inspiriert. Es ist nicht nur ein Plädoyer für die Langsamkeit, sondern auch für eine Begegnung auf Augenhöhe mit (kleinen) Menschen, die eine andere Sicht- und Lebensweise haben. Es ist ein Text von großer Wärme und Tiefe, der ganz ohne komplizierte Satzkonstruktionen auskommt und sich auch jenen erschließt, die kein Faible für Bandwurmsätze haben.

Vorlesen tut allen gut

Denn auch diesen Leserinnen und Lesern könne man die Welt der Bücher schmackhaft machen, davon ist Ospelkaus überzeugt. Umso mehr, wenn sie noch jung sind. Vorlesen eigne sich dazu wunderbar - übrigens, da sind sich Experten einig, bis hinein ins jugendliche Alter. "Das Buch muss nicht mit anderen Medien konkurrieren. Kinder lieben die Nähe und ungeteilte Aufmerksamkeit der Eltern", sagt Ospelkaus. Dabei müsse es nicht immer ein Roman sein - auch ein Lexikon könne man gemeinsam studieren, ein Rezept lesen und umsetzen, einen Songtext ausdrucken und mitsingen. Es gebe Storys zu Computerspielen und kindgerecht aufbereitete Biografien für die, die sich fürs "echte Leben" interessieren. Man könne Comics oder Witze aus Zeitungen ausschneiden und einkleben. Sich in jüngeren Geschwistern, den Großeltern oder Kuscheltieren ein Publikum zum selbst Vorlesen suchen. "Man kann auch neben den Alltagsbüchern, bei denen es nicht schlimm ist, wenn die Ecken geknickt oder Flecken drauf sind, Bücher oder Hefte für "besondere Anlässe" haben." Zum Einsatz etwa, wenn das Kind krank sei oder man auf Reisen gehe. So könnten schöne Rituale entstehen.

Für Christine Hahn ist eines der schönsten Rituale im Zusammenhang mit dem "Welttag des Buches" der Gang in die Buchhandlung. Als Türöffner. "Wir wollen den Kindern etwas von der Welt zeigen, Lust machen auf neue Bücher, helfen, Schwellenängste zu überwinden." Dazu trägt möglicherweise auch das Buchgeschenk bei, das Kinder im Rahmen des Welttags erhalten. Herausgeber sind die Stiftung Lesen, Penguin Random House Verlagsgruppe, Deutsche Post und das ZDF, gekauft werden die Titel von den Buchhandlungen, die sie dann gegen Gutschein an die Schülerinnen und Schüler weitergeben.

Zum Welttag des Buches: Der Titel zum Welttag des Buches ist ein Geschenk von Projektpartnern und Buchhandel.

Der Titel zum Welttag des Buches ist ein Geschenk von Projektpartnern und Buchhandel.

(Foto: Verlag/oH)

Der diesjährige Band von "Ich schenk dir eine Geschichte" heißt "Iva, Samo und der geheime Hexensee" und wurde nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip realisiert, also aus komplett recycelbaren Materialien. Das passt auch zum Inhalt des witzigen und ereignisreichen Comicromans von Bettina Obrecht mit Illustrationen von Timo Grubing. Denn da geht es um pfiffige Wasserhexen, Umweltschutz, nervige Influencer, Immobilienspekulanten und unerwartete, neue Freundschaften. Außerdem um jede Menge Action.

Lesen macht schlau

Die haben Leonhard und Vitus aus der 3b in ihrer Geschichte über den Traum von einer Reise zum Mond zwar ein bisschen vermisst, doch sie haben selbst tolle Ideen für eine spannende Fortsetzung. Warum etwas wie die heutige Lesekonferenz so wichtig ist, können die Schüler ebenfalls sofort beantworten: "Es hilft, Informationen zu haben." "Man weiß, was in der Zeitung steht." "Man ist viel schlauer, wenn man lesen kann."

Insgesamt ist die Zustimmung zu dieser Unterrichtsform sehr hoch. Gemeinsam zu lesen sei schöner, weil nicht so langweilig. Auch die Konferenzchefs erhalten viel Lob - sie hätten ihre Rolle ernst genommen, sagt die Lehrerin, bevor sie die Teilnehmenden auffordert, sich mit ihren positiven Äußerungen ganz direkt an die zu wenden, denen sie gelten.

So bringt diese Lesekonferenz am Ende neben der Erarbeitung einer Lektüre auch eine Lektion in Lernen mit Spaß und partnerschaftlichem Umgang mit sich. Welch besseres Plädoyer könnte es geben für das Lesen in Gemeinschaft?!

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