Grafing:Wegweiser in die Zukunft

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Das Voyager-Quartett spielt im Rathaussaal Grafing auch das erste der späten Beethoven-Quartette. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Erweitertes Voyager-Quartett spielt in Grafing famoses Konzert

Von Peter Kees, Grafing

Manchmal würde man zu gerne wissen, wie sich ein Komponist weiterentwickelt hätte, wäre er nicht gestorben. Das ist im Falle Beethovens so, vor allem wenn man sein Streichquartett-Œuvre im Blick hat. Während die frühen Quartette noch an den Vorbildern orientiert sind, sich die Quartette der mittleren Phase freier gestalten, erklingt beim Spätwerk gewissermaßen ein Blick in die Zukunft. Was wäre da noch gekommen? Beethoven komponierte das Erste der späten Quartette 1824 - in diesem Jahrist er bereits seit fünf Jahren völlig taub. Drei Jahre später stirbt er.

Das Münchner Voyager Quartett mit Stefan Arzberger und Maria Krebs, Violinen, Andreas Höricht, Viola, und Klaus Kämper, Violoncello, spielte beim Grafinger Rathauskonzert vergangenen Sonntag jenes erste der späten Beethoven-Streichquartette Nr. 12, in Es-Dur. Fragil kommt es daher, mitunter bruchstückhaft - es ist ein großartiges Werk, das weit in die Zukunft weist, eine Revolution. Adorno schreibt über Beethovens Spätstil: "Sie (die Werke) sind gemeinhin nicht rund, sondern durchfurcht, gar zerrissen; sie pflegen der Süße zu entraten und weigern sich herb, stachlig dem bloßen Schmecken; es fehlt ihnen all jene Harmonie, welche die klassizistische Ästhetik vom Kunstwerk zu fordern gewohnt ist." Eben dieses Zerrissene war im Rathaussaal deutlich herauszuhören. Nicht nur, weil es so in Beethovens Noten steht, sondern dank der großartigen Interpretation des Münchner Quartetts.

Das 2014 gegründete Ensemble spielte unmissverständlich strukturiert, mit feiner, sensibler Tongebung, großem dynamischem Vermögen und intensiver Musikalität. Das forderte eine Zugabe. Und da endete der Abend, wo er begonnen hatte: bei Schubert. Der Bratscher des Quartetts, Andreas Höricht, hat Schuberts Liederzyklus "Die Winterreise" für Streichquartett bearbeitet. Während als Zugabe "Der Wegweiser" (das Lied Nr. 20 aus dem Zyklus) zu hören war, erklangen zu Beginn des Abends "Gute Nacht", "Irrlicht" und "Frühlingstraum" (Nr. 1, 9 und 11). Natürlich hörte man den für Schubert typischen Streichquartettklang auch in diesen Liedbearbeitungen, wenngleich die Lieder in ihrer Struktur völlig anders aufgebaut sind als ein Sonatensatz - die Sanglichkeit freilich findet sich hier wie dort. Mit einer derartigen Bearbeitung aufs Podium zu gehen, ist allerdings ein Wagnis. Ein Wagnis deshalb, weil spätestens seit Hans Zenders komponierter Interpretation von Schuberts Winterreise klar ist, dass dieses Werk aufgrund seiner inflationären Aufführungsgeschichte einer Kommentierung bedarf.

Jenes "Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus. . . " als Fremd-Sein in der Welt verstanden, ist nicht allein romantisches Selbstverständnis, sondern darf auch als politische Haltung begriffen werden. Die jahrelang in den Konzertsälen aufgetragene Patina verdeckt das allzu gerne. Allein dafür taugt es, das Werk einmal atypisch zu hören - freilich fehlt in der instrumentalen Fassung der Müller'sche Text. Schade auch, dass man in Grafing den Zyklus nicht ganz zu hören bekam.

Vor der Pause erweiterten die vier ihr Ensemble um Bratsche (Charlotte Walterspiel) und Cello (Michael Weiss) und spielten eines der berührendsten Werke für Streichsextett: die "Verklärte Nacht" von Arnold Schönberg aus dem Jahre 1899. Bei keinem der Komponisten weiß man, wie es nach dem Tod weitergegangen wäre, Entwicklungen lassen sich aber schon zu Lebzeiten ablesen: Schönberg zum Beispiel beschäftigte sich seit den 1920er Jahren mit der Zwölftontechnik.

© SZ vom 24.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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