Ja, dieser neue Laden kann sich wirklich sehen lassen. Schon von außen ist dank eines Schriftzuges gut zu erkennen, was sich hinter der breiten Glasfront verbirgt: die Grafinger Tafel. Gleich nach dem Eintreten steht man vor einer langen Theke mit einer Arbeitsplatte aus gesprenkeltem Stein, daneben stapeln sich Getränkekästen und Körbe voller Backwaren. In dem großen Raum hinter dem Tresen wuseln Helferinnen in orangen Schürzen zwischen Regalen, Kühlschränken und blank polierten Arbeitsflächen hin und her.
Von Kundinnen und Kunden aber, die hier Lebensmittel und andere Produkte des täglichen Bedarfs abholen würden, ist in diesem Moment keine Spur. „Ja, den ersten Trubel haben wir für heute schon hinter uns“, sagt Tafel-Chefin Ursula Rieder und lacht. „Ich weiß nicht, warum, aber unsere Klienten stehen immer sehr pünktlich um neun vor der Tür.“ Außerdem gehe die Ausgabe am neuen Standort in der Vazaninistraße um einiges schneller über die Bühne, weil hier mehr Platz zur Verfügung stehe. Auch deswegen sei nun, um halb elf, schon etwas Ruhe eingekehrt.

Zwei Ausgabetage hat die Tafel in Grafing, Dienstagnachmittag und Mittwochvormittag, denn für einen einzigen Termin pro Woche sind es viel zu viele Kundinnen und Kunden. Doch das heißt nicht, dass die 38 Ehrenamtlichen an den übrigen Tagen nichts zu tun hätten. „Am Samstag zum Beispiel steht die Abholung bei dem einen Supermarkt an, am Montag nimmt der andere unsere Bestellung entgegen“, erklärt Rieder, die die Geschicke der Grafinger Tafel seit dem Tod ihres Gründers Hans Rombeck im Jahr 2022 leitet. Zudem müsse das Team ja nicht nur herumfahren, um Waren zu beschaffen, sondern diese dann auch sortieren und einräumen.
Das gemeinsame Bestreben ist, Gutes zu tun, gerade den Ärmsten. Nicht alle Menschen haben ihr täglich Brot – obwohl es Lebensmittel im Überfluss gibt. Die Tafeln in Deutschland bemühen sich hier um einen Ausgleich. Ziel ist es, qualitativ einwandfreie Nahrungsmittel, die im Wirtschaftsprozess nicht mehr verwendet werden, an Mitbürger mit schmalem Geldbeutel weiterzugeben.

Und in Grafing hat dieses soziale Projekt nun eine neue Heimat mitten im Ort gefunden. Glücklicherweise, sagt Rieder, denn der alte Laden in der Griesstraße sei schon lange nicht mehr optimal gewesen: „baufällig und unpraktisch“. Vor allem der Zuschnitt aus vielen kleinen Räumen und ein Lager im ersten Stock – inklusiver steiler Treppe – hätten dem Team zu schaffen gemacht. „Egal, wie man sich gedreht hat, irgendwem ist man dort immer im Weg gestanden“, erinnert sich Rieder.
Der jetzige Standort sei zwar nicht größer, aber die Fläche viel besser unterteilt: Es gibt einen großen Raum im Zentrum und drei kleinere als Lager, Büro und Küche. Und alles liegt ebenerdig. Sogar ein kleiner Garten gehört dazu – in dem das Team sehr gerne ein Holzhäuschen als zusätzliches Lager aufstellen würde. „Aber dafür brauchen wir erst eine Genehmigung“, sagt Rieder.

Die neuen Räumlichkeiten, in denen zuvor mit mediterraner Feinkost gehandelt wurde, sind in Privatbesitz, als Mieter fungiert nun die Stadt Grafing. Das sei auch der Grund, warum diese zum Jahreswechsel die Trägerschaft der Tafel von der Caritas übernehmen werde, erklärt Rieder. Viel Aufwand sei damit aber ohnehin nicht verbunden, es gehe da eigentlich nur um die Berechtigungen, die Lebensmittelausgabe nutzen zu dürfen: „Ich checke die Unterlagen der potenziellen Kunden, der Träger führt eine Liste und stellt die Ausweise aus.“ Außerdem führe dieser ein Spendenkonto für die Tafel.
Apropos Spenden: Egal ob Lebensmittel oder Geld – jede Form der Zuwendung sei höchst willkommen, sagt Rieder. Denn die kostenlosen Waren seitens der Supermärkte würden zunehmend weniger. „Man merkt deutlich, dass die jetzt anders kalkulieren“, sagt die Tafel-Chefin mit Blick auf „Retter-Tüten“ und andere Rabattaktionen, mit denen die Unternehmen nicht mehr ganz frische Lebensmittel mittlerweile selbst offerieren. Das bedeute wiederum, dass die Tafeln mehr zukaufen müssten, sagt Rieder, gerade bei Obst und Gemüse sei dies oft der Fall.

An diesem Vormittag sind die Regale außergewöhnlich gut gefüllt, weil das Team gerade erst eine große Spendensammlung vor den Supermärkten veranstaltet hat. Die Kunden bekommen hier jede Woche Basisprodukte wie Milch, Eier, Nudeln oder Reis, dazu gibt es – je nach Bedarf und Möglichkeit – Joghurt, Käse, Wurst, Brot sowie frisches Obst und Gemüse. Auch Duschgel oder Waschmittel gibt die Tafel aus, wenn es ihre Bestände zulassen. Außerdem steht gleich neben der Theke ein kleineres Regal für ganz besondere Wünsche, da kann man zum Beispiel Haarfärbemittel, Hustenbonbons oder Geschenkpapier finden.
So bunt wie ihr Angebot ist auch der Kundenstamm der Grafinger Tafel. Da gehe es „querbeet“, sagt Rieder. „Die Meisten haben mal eine bessere Zeit gehabt – es gibt viele Schicksale.“ Manche Klienten seien auch schon so alt beziehungsweise gesundheitlich schlecht beieinander, dass man sie zu Hause beliefere. Etwa hundert Haushalte beziehungsweise 220 Bedürftige versorgt die Grafinger Ausgabe momentan. Das ist viel – aber es seien auch schon mal mehr gewesen, sagt Helfer Wolfgang Rückl. „Viele Ukrainer und auch Asylbewerber haben mittlerweile Arbeit gefunden“, erzählt er, merklich stolz auf die Erfolge der ehemaligen Kunden.

Letztendlich aber funktioniert die Grafinger Tafel wahrscheinlich nur deshalb so gut, weil so viele Menschen und Institutionen der Stadt in dieses Projekt eingebunden sind. Es gebe viele regelmäßige private Spender von Naturalien, sagen die Helferinnen, an diesem Vormittag werden zum Beispiel viele Gläser Honig und ein großer Sack Walnüsse vorbeigebracht. Die beiden Pfarreien sind mit großzügiger Förderung beteiligt, das Gymnasium hat gerade wieder eine Sammelaktion gestartet. Aber auch zahlreiche örtliche Unternehmer unterstützen die Tafel. Vom Bäcker über die Brauerei bis hin zu einem Küchenzentrum, das bei der Einrichtung der neuen Räumlichkeiten behilflich war. Oder einem Malermeister, der regelmäßig alle übrig gebliebenen Kartons zum Wertstoffhof bringt. Ja, Gutes tun – das kann man hier, in der Vazaninistraße, auf ganz verschiedene Weise. Die Freude aber, die ist immer riesig.