Mit der Schönheitsindustrie steht Susanne Krauss eindeutig auf Kriegsfuß. Botox, Hyaluron, Operationen: All das mache die Menschen nicht besser, sagt sie. Ganz im Gegenteil. "Die sehen dadurch nicht jünger aus, sondern nur irgendwie anders. Wie KI-generiert." Und Krauss muss es wissen, hatte sie als Fotografin doch schon so einige Prominenz vor der Linse. Künstler, Politiker und CEOs. "Vor allem bei der B-Riege ist es schlimm", erzählt sie bei einer Tasse Tee am Küchentisch - und verzieht das Gesicht.
Auch aus diesem Grund widmet sich die Grafingerin, die seit 1992 als Designerin, Illustratorin und Fotografin arbeitet, viel lieber "echten, einfachen" Menschen und ihren Geschichten. Dem prallen Leben, samt Geburt und Tod, gilt ihr besonderes Augenmerk, sie nennt das selbst "die Poesie des Seins". Gerade das Alter hat es der 56-Jährigen besonders angetan, der Lebensweisheit wegen, die man bei diesen Menschen entdecken könne. "Viel mehr als bei den Schickimicki-Leuten."
Deswegen porträtierte sie beispielsweise in den Straßen Shanghais und den Dörfern der Umgebung Menschen über 90, "die mehr vom Leben gesehen haben, als wir uns je vorstellen können", aber auch der späten Liebe hat sie bereits eine Serie gewidmet. Vor ein paar Jahren dann stellte sie Collagen aus, die ungewöhnlich sportliche alte Damen zeigten: skatend, surfend zum Beispiel. "Und das Feedback darauf war außergewöhnlich gut", erzählt Krauss. Ihr persönlich gefällt damals vor allem die allererste "Batman-Oma" sehr gut - und eine Idee ist geboren: "die legendäre Grannie-Gang".
"Ich habe dann viele Seniorinnen gefragt, ob sie sich als Superheldin inszenieren lassen würden, aber leider lauter Absagen bekommen." Zu alt und hässlich hätten sich die Damen gefühlt, die Idee als lächerlich abgetan. Also musste die Fotografin auf den Computer ausweichen, kreierte mittels KI einige Porträts von älteren Frauen als Superheldinnen in Strickkostümen, die so das Klischee der männlichen Superhelden-Stereotypen persiflierten. Ein künstlerisches Experiment, dem Krauss auf ihrem "bislang ziemlich langweiligen" Instagram-Account eine Bühne gab. Sie habe die Collagen, samt ironischer Beiträge mit erfundenen Geschichten zur jeweiligen Superheldin, "dort jedoch zunächst nur zum Spaß eingestellt". Denn eigentlich erträumte sich die Fotografin, reale Frauen mit echten Biografien auf diese Weise inszenieren zu dürfen.
Und der Traum wurde war: Der Account ging dank der Super-Omas durch die Decke, "innerhalb einer Woche hatte ich plötzlich 10 000 Follower", erzählt Krauss, ihre Augen leuchten. Ein breites Publikum und überwältigendes Feedback also, das der Fotografin im Juli den Mut gab, einen Aufruf zu starten. Mit durchschlagendem Erfolg. Zahlreiche Seniorinnen meldeten sich, in der Hochphase waren es laut Krauss zwei- bis dreihundert Mails pro Tag. Susanne Krauss' Nutzername auf Instagram lautet @the_poetry_of_being_.
Weltweit ging die Sache viral, sogar in den USA. "Manche haben sich gleich selbst als Superheldin fotografiert, andere boten an, Kostüme zu stricken, manche wollten wissen, wie man Mitglied werden könne in dieser Grannie-Gang", erzählt die Grafingerin. Also verschicke sie inzwischen für jedes selbst gemachte Superheldinnen-Bild ein Member-Zertifikat.
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Mittlerweile hat die Gang der Batman-Omas mehr als 80 000 Follower und - was in Krauss' Augen noch viel wichtiger ist - wurde zu einem realen Projekt mit echten Frauen. "Hätte ich einen Mäzen, würde ich mich sofort aufmachen, um Damen auf der ganzen Welt zu fotografieren", sagt die Künstlerin, doch so weit sei es leider noch nicht.
Allerdings habe sie auch Fanpost bekommen von Ulla Wohlgeschaffen, einer Münchner Autorin, die leidenschaftlich künstlerische Zwischennutzungsprojekte organisiere und mitgestalte. Unter anderem die Hofkultur Pasing. Und diesen Ausstellungsort hätten Wohlgeschaffen und sie dann für die Grannie-Gang kurzerhand umgestaltet zu einem Fotostudio.
Mehr als 20 Seniorinnen zwischen 70 und knapp 90 Jahren hat Krauss dort als Batman-Omas inszeniert. Die liebevollen, augenzwinkernden Porträts zeigen die betagten Frauen mit gestrickten Kostümen: Pullis oder Umhänge mit passenden Masken und Hauben. Die meisten tragen die obligatorischen Spitzohren. Bekleidung und Hintergrund sind stets dunkel gehalten, es überwiegen Braun-, Blau- und Grau-Töne. Doch dadurch leuchten die Gesichter umso mehr. Und der einheitlichen Gestaltung steht eine immense Vielfalt an persönlichem Ausdruck gegenüber: Jede Großmutter ist anders. Die Palette reicht von kämpferisch und herausfordernd über ernst, frech, neugierig bis hin zu freundlich und weise.
"Jede für sich strahlt Kraft, Humor und etwas ganz Besonders aus", schwärmt Krauss von den Frauen. Und: "Schönheit leuchtet auf, weil sie von der Persönlichkeit kommt." Natürlich seien die Porträts humorvolle Eyecatcher, aber ihr größter Wunsch sei, "dass der Mensch dahinter in seiner Gesamtheit gesehen wird". Deswegen sei sie mit den Grannies in einen sehr intensiven Austausch gegangen, habe Gespräche geführt über Biografien, Wünsche, Lebenseinstellungen und vor allem: Tschakka-Momente. "Ich wollte rausfinden, wie sie sich fühlen, wer sie gerne wären und welche Heldinnengeschichten sie schon erlebt haben." Was sie dabei festgestellt habe: Die eigene Komfortzone endlich einmal zu verlassen und Durchsetzungsvermögen zu entwickeln, sei für viele Seniorinnen ein Thema.
"Frauen werden so oft in Stereotype gezwängt", sagt Krauss - doch sie als Fotografin habe es bei dem Projekt ganz anders machen wollen. "Die Damen durften ihre Rolle und ihren Ausdruck selbst wählen", sagt sie. "Ich habe jede Entscheidung respektiert." Grimmiger Blick? Mit Hund? Lila anstatt dunkle Haare? Alles kein Problem.
Auch "normale", unverkleidete Porträts hat Krauss von ihren Heldinnen angefertigt, diese Bilder komplettieren das Projekt. Außerdem hat Ulla Wohlgeschaffen Interviews mit den Protagonistinnen geführt und Fragmente ihrer Lebensgeschichten aufgeschrieben. So kommen einem die Mitglieder dieser legendären Gang noch mal ein gutes Stück näher.
Was diese Grannies mit ihrem Publikum machen? "Sie verbreiten vor allem gute Laune", sagt Krauss, "manche Menschen schöpfen auch neuen Lebensmut, trotz Krankheit zum Beispiel". Denn was helfe, wenn man sich klein, traurig und hoffnungslos fühle? Sie habe darauf keine perfekte Antwort, so die Fotografin, aber die Batman-Omas vermittelten eine wichtige Botschaft: "Die einzige Person, die dich von der Geburt bis zum Tod begleiten wird, bist du selbst. Sei deine beste Freundin und damit die Superheldin deines Lebens." Sogar der Lebensabend verliere so seinen Schrecken: "Wenn man diese Frauen sieht, kriegt man richtig Lust drauf, alt zu werden, finde ich." Erst kürzlich ist Krauss selbst Großmutter geworden.
Nun werden die betagten Superheldinnen zum ersten Mal mit einer Ausstellung gewürdigt
Unter den Zuschriften und Anfragen seien übrigens auch zahlreiche Firmen gewesen, sagt sie, oft solche, die sich Seniorenbelangen widmeten. "Bei einem französischen Unternehmen geht es zum Beispiel um Bewegung - da steht gerade die Idee einer Kampagne mit den Grannies während Olympia im Raum", erzählt Krauss begeistert. Ein Verlag allerdings, der aus der legendären Gang ein Buch machen wolle, habe sich allerdings leider noch nicht gemeldet. Doch was nicht ist, kann ja bekanntlich noch werden.
Zumal die Bekanntheit stetig zunimmt: Nun werden die betagten Superheldinnen zum ersten Mal mit einer Ausstellung gewürdigt. Bis 18. November sind die Porträts samt den Lebensgeschichten in der Hofkultur Pasing zu sehen. Außerdem wird das Projekt durch die Stadt München unterstützt, und zwar mit einem Pop-Up-Store am Rindermarkt von 5. bis 18. November.