Süddeutsche Zeitung

Veranstaltungsort:Grafinger Stadthalle: Mehr Pragmatismus als Leidenschaft

Beim ersten öffentlichen Rundgang durch das Gebäude erläutert der Architekt die Probleme, die in einer Sanierung oder einem Neubau liegen würden.

Von Thorsten Rienth, Grafing

In der Grafinger Lokalpolitik ist die Zukunft der Stadthalle eines der zentralen Themen, wenn nicht gar der Dreh- und Angelpunkt, des Kommunalwahlkampfs schlechthin. Bei der ersten öffentlichen Besichtigung des in die Jahre gekommenen Gebäudes hat sich am Samstagvormittag jedoch gezeigt: Die Grafinger selbst - etwa 50 von ihnen waren gekommen - betrachten das Thema weit weniger emotional als die parteipolitischen "Player" der Stadt. Laut war am Samstag vor allem der Ruf nach einer realistischen Einschätzung der Lage. Doch genau die wird mit letzter Sicherheit vor allem bei einer Sanierung niemand geben können.

Eine Besucherin fragte gleich zum Anfang der auf einen Vorschlag des "Bündnis für Grafing" zurückgehenden Architektenführung durch die Stadthalle nach einem zentralen Punkt: "Angenommen, wir fangen mit einer Sanierung an, und dann findet man hinter den Mauern noch zig Sachen, von denen man jetzt noch gar nichts ahnt?" Damit traf die Frau genau den Kern des Problems, um den sich bei der Entscheidung über die Zukunft des mit Abstand größten Grafinger Veranstaltungsorts so ziemlich alles dreht: Ist eine Minimalsanierung für aktuell geschätzte 1,6 Millionen Euro mit einem vertretbaren Risiko machbar? Oder muss die Stadt die andere Kröte schlucken, nämlich die gesamte Halle abreißen und neu bauen? Diese schätzt das Planerteam um Melchior Kiesewetter und Klaus Beslmüller auf mehr als das Doppelte, nämlich mindestens 3,5 Millionen Euro.

Nicht mehr für alle Teile der Halle gibt es noch exakte Pläne

Auf die Frage der Besucherin jedenfalls zog Architekt Kiesewetter eine ehrliche, aber für Grafinger Ohren nicht gerade wohlklingende Antwort vor: "Das Risiko von bösen Überraschungen an Stellen, in die sie jetzt noch gar nicht schauen können, lässt sich gerade bei einer Sanierung nie ausschließen." Dass liege auch daran, dass nicht mehr für alle Teile der im Jahr 1986 eröffneten Halle exakte Pläne existierten.

Allerdings betonte Kiesewetter ebenso: Vor kostentreibenden Überraschungen sei die Stadt auch bei einem Neubau nicht gefeit. "Nur eben ist die Wahrscheinlichkeit geringer." In beiden Kostenschätzungen sei aber ein für das jeweilige Vorhaben realistischer Kostenaufschlag bereits eingepreist.

Eine andere Besucherin thematisierte den im Hallendachstuhl praktisch als Rohbau existierenden zweiten Veranstaltungsraum. Er bietet Platz für etwa 200 Personen. Bis vor kurzem hatten allerdings nur die wenigsten in Grafing überhaupt von seiner Existenz gewusst. "Den kann man doch nicht einfach ungenutzt hier herumliegen lassen. Der ruft doch geradezu nach einer Nutzung", forderte sie. Mehrere andere Besucher äußerten ähnliche Gedanken.

Deren Sinnhaftigkeit zweifelten weder Kiesewetter noch Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) an. Sie verwiesen allerdings darauf, dass die Ertüchtigung dieser Räumlichkeiten bei einer Minimalsanierung noch gar nicht eingepreist sei. Letztere würde lediglich - zum Beispiel in Form von Brandschutzertüchtigungen - darauf abzielen, dass das Ebersberger Landratsamt der Stadt nicht die Betriebsgenehmigung für die Halle entziehe.

Als Kiesewetter gerade eine Planskizze des Untergeschosses zeigte, sprach ein Besucher eine weitere Skurrilität der Halle an. "Es gibt hier doch neben den Turmstuben noch allerlei andere Räumlichkeiten - warum können sich nicht einfach auch kleinere Gruppen irgendwo anmelden, um sich dort zu treffen oder etwas Kleines zu veranstalten?" Die Nutzung der kleineren Räume oder gar der Turmstuben behindere ja zum Beispiel keine große Veranstaltung im Hauptsaal.

Die Rettungswege machen zeitgleiche Veranstaltungen unmöglich

Der Architekt musste ihn enttäuschen, das funktioniere leider alles nicht so einfach. In vielen Fällen lasse sich immer nur ein Saal oder ein Raum wirklich bespielen. Sonst kämen sich die Rettungswege in die Quere. "Es gibt Fälle, da würde der Fluchtweg für die eine Veranstaltung durch den Veranstaltungsraum der anderen führen." Das sei heutzutage einfach nicht mehr genehmigungsfähig.

Wieder ein anderer Besucher äußerte die Sorge, dass, um Kosten zu sparen, eine womöglich neu gebaute Stadthalle deutlich kleiner als die bestehende ausfallen könnte. "Das liegt ja auf der Hand, wenn es möglichst günstig werden soll."

Kiesewetters Widerspruch war für zahlreiche Besucher augenscheinlich überraschend. Ihm zufolge lasse sich dieser Zusammenhang so einfach nicht aufstellen. "Normalerweise stehen bei einem Gebäude dieser Art etwa zwei Drittel der Gesamtfläche auch als Nutzfläche zur Verfügung - in Ihrer Stadthalle ist es nur gut ein Drittel." Das hieße also: Ein neues und kleineres Gebäude würde nicht zwangsläufig weniger Nutzfläche bedeuten.

Auffallend an der gut zweistündigen Frage-Antwort-Führung: Von der zuletzt im Stadtrat immer wieder vermuteten besonderen emotionalen Bindung der Grafinger an ihre Stadthalle war zumindest aus der Besucherschaft am Samstag nichts zu hören. Wenn so etwas wie Emotionen aufkamen, dann bezüglich der alten Halle - um die herum in den 1980er Jahren die jetzige Stadthalle gesetzt worden war.

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Quelle:
SZ vom 20.01.2020/aju
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