„Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut.“ Auf diese Floskel, die der vorletzte Habsburger-Kaiser Franz-Joseph bei manch einer Gelegenheit benutzt haben soll, könnten sich wohl auch Christian Bauer und Thomas Warg einigen. Ansonsten gibt es nicht mehr viele Gemeinsamkeiten zwischen dem Grafinger Bürgermeister und dem Stadtführer – beziehungsweise Ex-Stadtführer, denn nach sieben Jahren hat man im Rathaus beschlossen, den Vertrag zu kündigen. Die offizielle Begründung: zu teuer.
Seit 2017, so rechnet es Bauer vor, habe Grafing „über 100 000 Euro für die Führungen ausgegeben und circa 15 000 Euro eingenommen“. Dass die Streichung angesichts eines Haushaltsvolumens von heuer 47,9 Millionen Euro „keine entscheidende Einsparung“ ist, räumt der Bürgermeister indes auch ein. Dass man im Rathaus trotzdem die Reißleine gezogen hat, liegt wohl eher am Preis-Leistungs-Verhältnis – zumindest am gefühlten. So berichten es Personen, die mit der Stadtpolitik gut vertraut sind. In den Gremien sei es in den vergangenen Jahren gar nicht so sehr um die Gesamtsumme für die Stadtführungen gegangen, dafür aber darum, welcher Stundenlohn sich aus dieser Summe ergeben habe.
Dass „wir immer wieder Kritik aus dem Stadtrat bekommen haben“, berichtet auch der Bürgermeister, „weswegen wir die Ausgaben in Zukunft geringer halten wollten“. Auch Bauer beklagt indirekt ein nicht optimales Preis-Leistungs-Verhältnis: So sei 2017 – von Bauers Vorgängerin Angelika Obermayr – ein Honorar von 1000 Euro im Monat vereinbart worden, darin inbegriffen die Führungen, aber auch „die Erarbeitung, Konzeption und Organisation“ derselben. Mittlerweile seien aber zumindest zwei dieser drei Punkte hinfällig: „Damals waren die gleichen Führungen im Angebot wie heute.“
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In Grafing werden gerade die Themen für die Touren erstellt, die im April beginnen sollen
Bei Thomas Warg klingt das doch deutlich anders: „Damit es sich nicht totläuft, muss es immer was Neues und Originelles geben.“ Tatsächlich zeigt ein Blick in den Veranstaltungskalender der Stadt Grafing, dass es durchaus Führungen gibt, die öfter stattfinden, aber auch solche, die es heuer lediglich einmal gibt, und die unter einem speziellen Motto stehen. Zudem könne man als Gruppe auch individuelle Stadtführungen bestellen: „Die Leute rufen an, und sagen, was sie interessiert.“ Darauf wiederum könnte man im Rathaus gerne verzichten: „Die privaten Führungen auf Wunsch von zum Beispiel Firmen, die er speziell anbietet, sind eigentlich nicht Aufgabe der Stadt“, sagt Bauer über Warg.
Darüber, was eine Stadtführung sein soll, gehen die Meinungen auseinander
Eine Meinung, die dieser selbstverständlich nicht teilt – die ihm in Grafing indes in anderem Zusammenhang schon aufgefallen ist. Im Vergleich zu Ebersberg, wo man die 2015 gestarteten Führungen auch als Wirtschaftsförderung verstehe – „eine gute Führung endet beim Wirt“ – interpretiere man das Angebot in der Bärenstadt rein touristisch. „Aber die Stadt hat nichts davon, wenn die Leute mit dem Reisebus kommen, eine Stunde durch Grafing laufen und wieder weiterfahren.“
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Seit sechs Jahren kann man sich die Kreisstadt von Leuten zeigen lassen, die sich damit auskennen. Vor fünf Jahren ist auch Grafing dazugekommen. Und das Angebot soll weiter wachsen.
Besonders aber ärgert Warg, dass man ihm quasi kommentarlos den Stuhl vor die Tür gestellt habe: Mit Verweis auf die dreimonatige Kündigungsfrist habe er im Sommer per E-Mail aus dem Rathaus die Kündigung erhalten – effektiv zu Ende Oktober. Ein klärendes Gespräch oder wenigstens einen Anruf habe es seitens des Bürgermeisters nicht gegeben, sagt Warg. Habe es wohl, behauptet wiederum der Bürgermeister: Nämlich im Jahr 2022, damals habe Warg „keinerlei Einsicht gezeigt für eine Verringerung des Honorars“.
Warum nun aber zwei Jahre verstrichen sind, zwischen dem Scheitern der Honorarverhandlungen und der Kündigung des Vertrages, erklärt das auch nicht. Aber vielleicht etwas anderes: So gab es vor der Sommerpause erneut eine Anfrage im Stadtrat, warum das Stundenhonorar des Stadtführers so hoch sei – kurz darauf ging die Mail an Thomas Warg auf den Weg.
Dazu, was Bürgermeister und Stadtführer besprochen haben, gibt es zwei Varianten
Dass anschließend darüber geredet wurde, wie es weitergehen kann, bestätigen Stadtführer und Bürgermeister – über den Inhalt gehen die Meinungen auseinander. Laut Warg hätte er „quasi ehrenamtlich“ weitermachen sollen. Bauer wiederum erklärt: „Wir hätten für die Hälfte des Betrages weitergemacht. Aber dazu ist es leider nicht gekommen.“ Ein Kenner der Grafinger Stadtpolitik, der anonym bleiben möchte, hält es für möglich, dass die verfehlte Einigung „wohl auch mit dem nicht optimalen Verhandlungsgeschick unseres Bürgermeisters zu tun hat“.
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Statt wie bisher gedacht seit 1616, wird in Grafing bereits mindestens seit 1060 Bier gebraut. Nur an zwei anderen Orten in Bayern war man noch früher dran.
Wie es mit den Stadtführungen in Grafing nun weitergeht, ist offen. Warg sagt, er werde seine Veranstaltungen als Kreisheimatpfleger, etwa für die Schulen, natürlich weiter machen. Das gelte auch, wenn das Stadtmuseum bei ihm anfragt – „aber wenn das Rathaus anruft, wird man sehen, ob ich hingehe“. Dort ist man ohnehin überzeugt, die Sache auch ohne den bisherigen Stadtführer stemmen zu können. Dazu soll es demnächst einen runden Tisch geben und „die Unterlagen für die erarbeiteten Führungen gehören der Stadt“, so Bauer. Es hätten sich auch bereits Personen gemeldet, die Führungen anbieten wollten.
In Ebersberg haben manche ebenfalls Probleme mit den Kosten für die dortigen Stadtführungen
Unterdessen hat die Grafinger Stadtführungskontroverse auch die Nachbarn erreicht: In der jüngsten Sitzung des Finanzausschusses stellte Josef Peis (Pro Ebersberg) die Anfrage, ob die Höhe des Honorars – 2000 Euro im Monat sind es in der Kreisstadt bei deutlich größerem Angebot als in Grafing – angesichts knapper Kassen gerechtfertigt sei.
Bürgermeister Ulrich Proske (Parteilos) erinnerte an die Aufstellung des aktuellen Haushaltes, als die Führungen zunächst auf der Streichliste gelandet waren. Nach großen Protesten aus dem Stadtrat, auch von Pro Ebersberg, wurde dies zurückgenommen. Dass man im kommenden Haushalt bei den Stadtführungen spart, hält der Bürgermeister auf Nachfrage für unwahrscheinlich: Zum einen wegen des Widerstandes der meisten Stadtratsmitglieder, zum anderen habe man erst heuer den Vertrag bis 2026 verlängert.