Literarisch-musikalische Lokalgeschichte:Kleine Welt ganz groß

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Sie kennen sich seit ihrer Kindheit, sind aber noch nie zusammen auf einer Bühne gestanden: Autor Werner Kafka und Musiker Rudi Baumann (rechts). Nun gibt es also eine Premiere zu erleben. (Foto: Veranstalter)

Zwei Grafinger Künstler haben sich erstmals zu einem Programm zusammengetan: Werner Kafka liest, Rudi Baumann singt – über die Sturm-und-Drang-Zeit in den frühen 70er-Jahren.

Von Thorsten Rienth, Grafing

Dass Rudi Baumann und Werner Kafka, beide Grafinger und Jahrgang 1955, doch noch lebenslange Freunde wurden, hängt, wie so vieles im Leben, mit einem Zufall zusammen. Nach der Grundschule verlieren sich die Klassenkameraden zunächst aus den Augen. „Aber irgendwann haben wir uns während unseren Ausbildungen getroffen, und zwar herumlümmelnd am Münchner Ostbahnhof“, erzählt Baumann. Kafka, der damals, Anfang der 1970er-Jahre, noch Leidl heißt, hat in seinem Kinderzimmer unterm Dach eine Gitarre stehen. Baumann weiß, wie das Instrument zu spielen ist. „Wenn wir nicht irgendwo draußen unterwegs waren, haben wir unter dieser Dachschräge einen guten Teil unserer Freizeit verbracht.“

Unter dem Titel „Die Welt ist ein Dorf, das Dorf ist die Welt“ lassen die beiden diese Zeit nun in einem ersten gemeinsamen Bühnenprogramm wieder lebendig werden. Kafka als Literat, Baumann als Musiker. Diese „Old Vagabonds“, der eine geboren in Grafing, der andere in Öxing, blicken zurück auf jene Menschen, Geschichten und Songs, die ihre Generation geprägt haben. Zu erleben am Donnerstagabend, 21. November, auf der Bühne der Grafinger Stadtbücherei. „Liebevoll und doch distanziert genug, um über den eigenen Tellerrand zu blicken, nähern sie sich dem Kosmos dieser Kleinstadt und entdecken dabei, wie viel davon eigentlich in ihnen steckt.“

Es soll auch um Ereignisse gehen, „die man gerne vergessen würde“

Jungen Leuten von einem „Früher-war-alles-besser“-Damals zu erzählen, ist dabei aber nicht die Absicht. Dazu sind Kafkas Geschichten viel zu hintergründig. Und Rudi Baumanns Lieder viel zu ehrlich. Ihnen gehe es vielmehr um die reine Lust und Freude an guten Geschichten, schreiben sie in der Einladung. „An Geschichten von oft schon vergessenen Menschen – oder von Ereignissen, die man gerne vergessen würde.“

Geschichten, wie sie Kafka in den vergangenen Jahren in seinen Büchern „Öxing – Die nicht ganz fiktive Chronik eines Dorfes“ und „Wie der Leidl-Mausi in den Bach gefallen“ aufgeschrieben hat. Zugunsten des Plots ist die Wahrheit hier zwar ein bisschen angepasst, „aber so, dass es immer noch glaubwürdig ist“, sagte Kafka einmal bei einer seiner Buchvorstellungen. „Oder ob beides vermengt wieder eine neue Geschichte ergibt, die so nicht passiert ist, aber ebenso hätte passieren können, oder gar müssen. Es macht mir Freude, wenn der Leser sich nie sicher sein kann, ob jetzt Wahres oder Erfundenes geschildert wird.“

So manche frühere Schulkameraden oder Nachbarskinder dürften sich wiedererkennen

So entstand zum Beispiel die Geschichte über eine alte Hebamme, die unzählige Öxinger Kinder auf die Welt gebracht hat – dann aber einsam und allein im Sterbebett liegt. Oder jene über die kleinen Jungs, die sich gegenseitig zum Nacktschnecken-Essen anstiften. Oder über eine Nacht am Lagerfeuer und den jungen Kafka, der im Rausch ins nächste Zelt krabbelt und sich unbeholfen an die Klassenkameradin kuschelt – die längst eingeschlafen ist. Herrlich skurrile Geschichten über die Hells Angels von Grafing, einsame Boxer oder die ruhelose Frau im gelben Mantel.

Die zusammengewürfelten Protagonisten sind alles Menschen mit kleinen und größeren Sorgen, verbunden durch die allgegenwärtigen Existenzängste der späteren Nachkriegsjahre – und auch durch Neid und Eifersüchteleien. So manche frühere Schulkameraden oder Nachbarskinder dürften sich bei Kafkas Lesung womöglich wiedererkennen.

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Zwischen den Geschichten wird Baumann mit der Gitarre vor dem Mikrofon sitzen. „Ich spiele Songs dazu, die entweder einen direkten Bezug zu Grafing haben oder den Zeitgeist der Aufbruchstimmung der 70er-Jahre widerspiegeln“, kündigt der Musiker an. „Das kann manchmal ein wenig sentimental werden, ist aber sicher immer höchst vergnüglich.“ Etwa 30 Stücke, grundehrliche Rock- und Folksongs, habe er auf der Liste. Eigene Kompositionen und solche von Schariwari, dazu allerlei Coverversionen, etwa von Paul Simons „Boxer“ oder Uriah Heeps „Lady in Black“. „So 13 Lieder werden wir wohl unterbringen“, haben Baumann und Kafka ausgerechnet.

Viele der Stücke stammen aus der Zeit ihrer beider „musikalischer Sozialisierung“, wie Baumann die späten 60er und frühen 70er nennt. Aber eben nicht nur, verspricht er. Gesetzt sein dürfte daher auch Baumanns Version eines bekannten Hits der späten 80er, von dem selbst viele Grafinger wahrscheinlich nicht wissen, dass er aus lokaler Feder stammt: „Here I Am“. Robert Papst hat diesen Song vor bald 40 Jahren für seine Band Dominoe geschrieben – dank eines Werbespot eines französischen Autoherstellers ging der Sound aus Grafing dann um die Welt.

„Die Welt ist ein Dorf, das Dorf ist die Welt“: eine literarisch-musikalische Lokalgeschichte mit Werner Kafka und Rudi Baumann. Am Donnerstag, 21. November, um 19.30 Uhr in der Grafinger Stadtbücherei. Der Eintritt ist frei, Spenden sind aber gerne gesehen.

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