Grafing:Spontandemo gegen braune Parolen

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Neonazis beschmieren zwei Schulen, 1400 Schüler starten sofort einen Protestmarsch durch die Stadt

Thorsten Rienth

GrafingFür etwa 1400 Schüler und 80 Lehrer in Grafing hat der Mittwochmorgen mit einem Schock begonnen: Parolen wie "Tod den Moslems" oder "Sterbt ihr Ausländer" stand an den Wänden rund um den Eingang der Schulgebäude geschrieben. Neben die Nazi-Schmierereien hatten die Täter zahlreiche Hakenkreuze, SS- und SA-Symbole gesprüht. An eine Wand gegenüber der Mittelschule schrieben sie unter anderem "Dem Deutschen Volke - vergast alle Juden" und "Heil dem Führer". Die Gymnasiasten beendeten nach wenigen Minuten den Unterricht, sie entwarfen eilig Transparente und starteten einen Protestmarsch durch die Stadt. Das Kommissariat Staatsschutz der Kripo Erding nahm die Ermittlungen auf. Sie geht derzeit von mehreren Tätern aus. Für Autofahrer, die am Mittwochmorgen den Grafinger Marktplatz passieren wollten, gab es knapp eine halbe Stunde lang kaum ein Durchkommen. Polizeiautos fuhren vor, die Beamten sperrten Zufahrtsstraßen ab, lotsten zusammen mit den Lehrern die Schüler von der Schule zum Marktplatz und wieder zurück. "Ich habe kaum jemanden gesehen, weder Schüler noch Lehrer, der nicht mitgegangen ist", sagte Grischa Eder, der 15-jährige Schülersprecher des Gymnasiums. "Aber zählen konnte ich sie nicht." Kein Wunder: Mehr als 200 Meter lang war der Protestzug durch die Stadt. Gestartet hatte die spontane Demonstration mit dem Beginn der Pause um kurz nach 10 Uhr. Hinter den Kulissen war sie schon vorher losgegangen: In der ersten Schulstunde hatten Vertreter der Schülermitverwaltung nach einem kurzen Gespräch mit der Schulleitung per Lautsprecherdurchsage dazu aufgefordert, umgehend Plakate und Transparente zu entwerfen. "Engagieren statt Beschmieren", schrieben die Schüler, "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" oder "Rechtsabbieger fahren falsch!" Wenig später bei der Kundgebung im Pausenhof war Schulleiter Harald Parigger sichtlich stolz auf seine Schüler: "Großartig, wie eindrucksvoll ihr zeigt, dass ihr euch mit diesem Dreck nicht identifiziert", rief er. "Die, die das geschrieben haben, verdienen nicht nur unsere Strafe, sondern auch unser Mitleid!" Der Rest der kurzen Ansprache ging im tosenden Beifall unter. Auch Schülersprecher Eder war begeistert von der Reaktion. "Ich bin stolz, an einer Schule zu sein, die mit so einem Dreck nichts zu tun hat", brüllte er mit heiserer Stimme. An der Grafinger Mittelschule wurden die Schmierereien sofort Unterrichtsthema. "Die Schüler haben die ersten Stunden dafür genutzt, um ihre Gefühle auf Plakaten auszudrücken", erzählte die Rektorin Susanne Böhm. Daraus wolle man nun eine Ausstellung konzipieren. Betroffen reagierte auch Rudolf Heiler: "Mir fehlen die Worte", sagte der Grafinger Bürgermeister, der sich in den Demonstrationszug einreihte und zum Gymnasium mitging. Die Kundgebung fand er "absolut beeindruckend"; sie zeige, "dass solche menschenverachtenden Parolen in unserer Stadt nicht auf fruchtbaren Boden fallen". Ähnliche Worte wählte Marij Krill, die Vorsitzende des Elternbeirats am Gymnasium. Einerseits sei sie "unfassbar entsetzt", andererseits "unfassbar froh, wie sich die Schule sofort mit denen solidarisiert hat, die hier angegriffen worden sind." Die überaus schnelle Reaktion der Grafinger Schüler ist wohl auch in einer Aktion begründet, die unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten steht: Seit zehn Jahren trägt das Gymnasium den Titel "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage". Bundesweit wird er lediglich solchen Schulen verliehen, die besonders aktiv gegen Diskriminierung und Rassismus vorgehen. "Etwa 25 Schüler sind im Arbeitskreis ,Schule ohne Rassismus' regelmäßig aktiv", berichtet Englischlehrerin Theresa Hogrefe, die den Kreis leitet. "Sie organisieren Veranstaltungen, unterstützen Sozialprojekte oder leisten an der Schule Aufklärungsarbeit." Noch am Vormittag erstatteten Gymnasium und Stadt Anzeige gegen Unbekannt. Wie die Polizei die Lage einschätzt, zeigt ihre Reaktion: Bereits am Mittag übernahm das Kommissariat Staatsschutz der Kriminalpolizei Erding die Ermittlungen. Die mit unterschiedlichen Schriften und Farben geschriebenen Parolen ließen derzeit darauf schließen, dass es sich um mehrere Täter handele, erklärte ein Sprecher der Kripo. An der Wand gegenüber der Mittelschule machten sich sofort Maler ans Werk. Am Gymnasium reagierten Schüler auf ihre eigene Weise: Sie überklebten die Parolen einfach mit ihren Transparenten.

Nach den Nazi-Schmierereien am Grafinger Gymnasium überkleben die Schüler die rechtsradikalen Parolen mit ihren eigenen Transparenten. (Foto: EBE)
© SZ vom 24.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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