Gab es nun einen Schuss oder einen Schrei? Ein Opfer? Zwei? Oder war doch alles ganz anders? Was Gendarm Sepp (Bernhard Hoiss) von der Riege aufgeregt durcheinander sprechender Damen wissen will, die wie die Orgelpfeifen vor seinem improvisierten Vernehmungstisch im „Wirtshaus zum Faßl“ stehen, interessiert auch alle, die an diesem Sonntagmittag auf den beiden Stuhlreihen direkt vor der Bühne der Grafinger Stadthalle Platz genommen haben.
Gezeigt wird eine Kostprobe von „Ein Montag auf dem Lande“, dem neuen, selbst geschriebenen Stück des Seniorentheaters Kaleidoskop, das seine Premiere am Dienstag, 19. November, in der Grafinger Stadtbücherei feiert. Die Leiterin des Ensembles, die promovierte Theaterwissenschaftlerin, Regisseurin und Dramaturgin Gabi Sabo, steht auch dem Verein „Mehr Kultur!“ vor, der zusammen mit dem Förderwerk des Seniorenhauses Grafing zu den Unterstützern der Theatergruppe gehört und ebenfalls bei der gerade stattfindenden Grafinger Vereinsmesse vertreten ist.

Der Andrang in der Stadthalle ist groß, der Geräuschpegel hoch, wovon sich die Akteurinnen allerdings nicht beirren lassen – und der einzige Mann in ihrer Mitte gleich gar nicht. Mit stets sonorer Stimme, aber erkennbar unterschiedlicher Körperhaltung wird der 76-Jährige der Herausforderung seiner beiden Rollen gerecht – neben dem energischen Polizisten nämlich gibt Hoiss den etwas einfach gestrickten Franz, der auch irgendwie in die gar nicht so triviale Handlung verwickelt ist.
In dieser geht es um das ominöse Verschwinden eines Bäcker-Ehepaars, zu dem viele der Beteiligten ihre ganz eigene Verbindung haben – von der frommen Mesnerin Vroni (Monika Springer-Lampe, die sich später in ihr 20 Jahre jüngeres Ich verwandeln darf), über die Bankangestellte Anna (Birgid Baumann, die „mit Zahlen gar nichts am Hut hat“) und die gestrenge Lehrerin Lotte (Gabi Sabo) bis hin zur resoluten Marie (Renate Müller), Mutter von Mizzi. Letztere tritt zwar nie in Erscheinung, spielt aber dennoch eine wesentliche Rolle.

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Wie ungemein das Theaterspielen ihr Leben bereichert, berichten die betagten Mitglieder der Grafinger Gruppe "Kaleidoskop". Ihr neuestes Projekt ist die Filmproduktion "Oldywood". Ein Besuch am Set.
Vor sparsamen, aber effektvollen Kulissen vollzieht das spielfreudige Ensemble zahlreiche Zeit- und Ortswechsel, um die vertrackte Geschichte zu erzählen. Das Stück ist aber auch voller komischer Momente, etwa, wenn sich eine zu allem entschlossene Truppe mit Haarnadel, Kreditkarte und Buttermesser bewaffnet, um den verwaisten Bäckerladen zu öffnen, während der pedantische Polizist erst noch das Ausfüllen eines passenden Formulars anmahnt.
Selbst für versierte Spürnasen ist es gar nicht so leicht, den Tathergang zu entschlüsseln. „Jeder weiß etwas, was er nicht sagen will – und am Ende war es vielleicht ganz anders, als alle denken“, fasst Sabo die Essenz des von ihr – mit Input aus der Gruppe – erdachten Werks zusammen. Nach dem heiteren Episodenstück des Vorjahres handle es sich diesmal um einen durchaus komplexen Krimi, mit stärker ausformulierten Rollen – und mehr Text.

Dass es allerdings sogar ganz ohne geht, beweist Nana Helfrich. Als Kaleidoskop-Mitglied fast der ersten Stunde hat die 79-Jährige einerseits jede Menge Erfahrung – kommt aber aufgrund des Alters und eines schweren Rückenleidens zunehmend an ihre Grenzen. Kurzerhand hat Sabo sie also zum Nummerngirl Kathi gemacht, das mit brillantem Einsatz von Mimik und Gestik bezaubert und erheitert.
Auch für Ingrid Jendryssek als Bäckerin Theres ist die Textmenge überschaubar, was die 84-Jährige gar nicht so sehr bedauert. Sie liebe die Theaterarbeit, gern in Verbindung mit anspruchsvollen, klassischen Stoffen, sagt sie Was ihr jedoch gar nicht liege, seien „Bandwurmsätze“. Der ständige rasche Wechsel bei den Dialogen ist das, was Jutta Träger alias Ratschkatl Sophie zur aktuellen Produktion gleich einfällt. Durchgängig hellwach müsse man sein, um den Einsatz nicht zu verpassen, berichtet die Ostermünchnerin. Doch gerade das, ebenso wie die Herausforderung, sich die Texte einzuprägen, begrüßt die 70-Jährige durchaus. „Das Lernen niemals aufzugeben, ist gut und wichtig.“

Doch nicht nur durch Gehirnjogging wirkt sich die Theaterarbeit positiv auf die Mitwirkenden aus. Das Spiel auf der Bühne stärkt sie etwa dabei, aus sich herauszugehen. Wie bei Birgid Baumann, die von der Regisseurin immer wieder ermuntert wird, das Brave abzulegen – „wo ich doch eigentlich dazu erzogen wurde, leise und bescheiden zu sein“.
Es ist dieser Aspekt, der das Seniorentheater Kaleidoskop von anderen Freizeitgestaltungen unterscheidet: die Möglichkeit, in einer geschützten, fröhlichen Gemeinschaft zu wachsen. Dass Sabo die Rollen stets mit Blick auf die einzelnen Akteure entwickelt und bei Bedarf anpasst, ist sicherlich hilfreich. Entscheidend für den Erfolg ist aber vor allem, wie die, übrigens ehrenamtlich tätige Theaterexpertin mit pädagogischem Geschick und erkennbarer Wertschätzung ihre „Oldies“ durch Probenarbeit und Bühnengeschehen navigiert.
Trotz des starken Zusammenhalts ist das „tolle Team“, wie Renate Müller das Ensemble nennt, stets bereit, sich für Neuzugänge zu öffnen. Der jüngste: Barbara Körner. Als Erzählerin „aus der Stadt“ ist die gebürtige Schlesierin, seit 60 Jahren in Bayern daheim, perfekt besetzt.

Dass die schlanke Dame mit dem flotten weißen Hütchen, kunstvoll selbst gemacht von Helfrich, mehr als 90 Lenze zählen soll, mag man gar nicht glauben. „Ich bin so glücklich, dass ich diese Gruppe gefunden habe – wenn auch leider viel zu spät“, sagt die frühere Gymnasiallehrerin für Englisch und Sport. „Schon beim ersten Schnupperttermin wurde ich so nett aufgenommen und war sofort zu Hause; die Atmosphäre ist wunderbar. Und nun habe ich etwas, wo ich jede Woche hingehe.“
Hingehen zum Auftritt in der Stadtbücherei Grafing sollte auf jeden Fall, wer wissen möchte, ob nun bei „Ein Montag auf dem Lande“ geschossen oder geschrien wird – oder beides oder keines. Was auf jeden Fall feststeht: Das Publikum erwartet köstliche Unterhaltung mit Herz, präsentiert von insgesamt 685 Jahren geballter Bühnenpower.
„Ein Montag auf dem Lande – Eine Krimi-Komödie“, am Dienstag, 19. November, in der Stadtbücherei Grafing. Eintritt: acht Euro, ermäßigt fünf Euro. Beginn ist um 18 Uhr, Einlass und Theaterkasse 30 Minuten eher. Ab Januar Sondervorstellungen in Seniorenheimen oder anderen Einrichtungen auf Anfrage per Mail an g.sabo@t-online.de möglich. Weitere Mitstreiter sind stets willkommen.