Grafing:Plädoyer für Toleranz

Anzinger Professor beim Grafinger Ökumene-Abend

Von Thorsten Rienth, Grafing

Es war eine selbstkritische These, mit der Alois Baumgartner begann: "Wir müssen uns viel stärker bewusst sein, dass wir eine Bringschuld gegenüber der Gesellschaft haben." Beim Grafinger Ökumene-Abend forderte der emeritierte Professor aus Anzing, bis vor einigen Jahren Inhaber des Lehrstuhls für christliche Sozialethik an der katholisch-theologischen Fakultät der Münchner LMU, eine aktivere Rolle der Gesellschaft. Und zwar vor allem bei der Begegnung mit Andersgläubigen und Atheisten.

"Der christliche Glaube in pluraler Gesellschaft" hatte Organisator Adalbert Mischlewski die Veranstaltung am Mittwochabend in der Stadtbücherei betitelt. Weil der Glaube eben nicht mehr die eine große Leitlinie des gesellschaftlichen Zusammenlebens sei, wie der Grafinger Ehrenbürger erklärte. "Sondern weil er sich zu messen hat mit vielen anderen Sinnangeboten und Hoffnungen." Das müsse ja nicht gleich negativ konjungiert sein, sagte Mischlewski. Denn es schärfe den Blick dafür, dass der Mensch nicht für Glaube und Kirche existiere, sondern andersherum.

Am gesellschaftlichen Bedeutungsverlust des christlichen Glaubens zweifelte auch Referent Baumgartner nicht. "Religiöse Überzeugungen sind marginalisiert worden, indem sie durch ständige Reize und Erlebnisse kompensiert wurden", analysierte er. So schwanke der moderne Mensch zwischen egoistischer Zielbefriedigung und altruistischer, aber eben doch passiver Betroffenheit. In der Folge sei die Kirche in ein Spannungsfeld gerutscht, das sich zwischen der Nivellierung der tiefen Überzeugungen und einer absolutistischen Glaubensinterpretation auftue, die mindestens ins Sektenhafte, wenn nicht gar ins Fundamentale abdrifte.

Als Gegenpol schlägt Baumgartner eine umso tiefere Prinzipientreue vor. "Eine, die über zufälligen Wechsel von Situationen und Stimmungen klar hinausgeht." Aber die sich dennoch von allem gläubig-fundamentalistischen klar abgrenzt. Interessanterweise ist diese Prinzipientreue bei Baumgartner keine aus der kirchlich-dogmatischen Schublade: "Gerade die Toleranz gegenüber Andersgläubigen und Nichtgläubigen müsste die Rolle der Christen in einer pluralen Gesellschaft viel deutlicher prägen." Mehr noch: Sie habe auf einer Ebene mit der Nächsten- und Feindesliebe stehen. "Überall dort, wo sich der Staat oder Teile der Gesellschaft gegen die religiöse Freiheit wenden, müssen sich die Christen dagegen auflehnen."

Soll also ausgerechnet die Kirche mit ihrem "Es-gibt-keinen-anderen-Gott-neben-mir"-Offenbarungsansatz Toleranz predigt? "Ja, was denn sonst?" Toleranz verwehre ja nicht das missionarische Moment. Die Frage sei doch: "Haben wir da was für die Erlösung übrig oder verlassen wir uns auf die säkularisierte Selbsterlösungshoffnung?"

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