Grafing:Ökologische Umkehr

Mattias Kiefer vom Ordinariat analysiert beim Grafinger Ökumeneabend die Enzyklika "Laudato si'"

Von Thorsten Rienth, Grafing

Man müsse sich das wirklich auf der Zunge zergehen lassen: "Da schreibt ein Papst eine Enzyklika und begründet am Anfang, warum er auch - ich betone: auch - theologisch argumentiert." Damit hat Mattias Kiefer, der als Umweltbeauftragter des Münchner Ordinariats die Enzyklika "Laudato si'" beim Grafinger Ökumeneabend vorgestellt hat, eigentlich schon in seiner Einführung die Antwort auf die Frage des Abends gegeben: Ob mit der jüngsten Enzyklika ein neues Denken in die Kirche Einzug halte? Eine Enzyklika, nicht nur für Katholiken geschrieben, sondern für die ganze Welt - das sei eine beachtenswerte neue Herangehensweise, argumentierte Kiefer in der Grafinger Stadtbücherei.

Der Theologe startete seine Argumentation mit der ersten Messe von Papst Franziskus als Oberhaupt der Katholischen Kirche. "Schon dort hat er den Heiligen Josef als Hüter der Familie thematisiert, aber dabei den Bogen noch viel weiter gespannt: Das Kümmern, das Sorge tragen bezog er ganz klar auf alle nichtmenschlichen Geschöpfe." Immer wieder habe Franziskus diesen Gedanken formuliert. Er gipfelt in der Enzyklika, wie treffend, im Frühsommer 2015, etwa ein halbes Jahr vor dem Klimakonferenz in Paris. Natürlich ist der Zeitpunkt kein Zufall. Eine ökologische Umkehr sei nötig, fordere "Laudato si'", eine universale Geschwisterlichkeit, eine Kultur der gegenseitigen Achtsamkeit.

"Sehen, Urteilen, Handeln" sind die drei Gedankenschritte, die Kiefer aus der Enzyklika herausliest. Damit entspricht sie der traditionellen Struktur der katholischen Soziallehre. Franziskus sieht Umweltverschmutzung, Klimawandel und zur Neige gehendes sauberes Trinkwasser. In seinem Urteil macht er den Menschen als Wurzel einer ökologischen Krise aus. Schließlich habe dieser mit seinem Verbund aus Technik, Macht und Markt ein "technokratisches Paradigma" aufgespannt, das die Erde an den Rand eines ökologischen Kollapses gebracht habe.

Die Handlungsanweisung dahinter interpretiert Kiefer als Aufforderung zu einem neuen Lebensstil. Papst Franziskus nenne ihn eine neue "ökologische Spiritualität". Die Verantwortung dafür liege bei den Menschen selbst. Aber noch viel mehr bei den politischen Akteuren, und zwar von der untersten lokalen Ebene bis hinauf zur internationalen Staatengemeinschaft. Sie seien es schließlich, die dank ihrer Leitlinienkompetenz die Verschränkung der Armuts-, Gerechtigkeits- und Umweltfragen vom Negativen ins Positive wenden könnten.

Auch die Methodik stehe für ein neues Denken in der Kirche. "Er argumentiert absolut auf der Höhe der Zeit: sehr differenziert, sehr genau." Mit zwei Schaubildern aus der Enzyklika trat Kiefer den Beweis an. Das erste Schema zeigt Belastungsgrenzen, also Werte, die das ökologisch gerade noch Verträgliche definieren. Das zweite veranschaulicht die Korrelation zwischen ökologischen und sozialen Zwängen. Eines der Bilder stammt aus der Forschungsarbeit von Professor Johan Rockström, der im Herbst den Deutschen Umweltpreis erhielt. Das andere von einem internationalen und unabhängigen Verbund verschiedener Hilfs- und Entwicklungsorganisationen namens Oxfam. "Das ist noch nicht einmal Mainstream-Denken, aber der Papst hat das aufgegriffen und zur Grundlage seiner Analyse gemacht", kommentierte Kiefer. "Auffällig, wie ernst die Enzyklika die Wirklichkeit nimmt, anstatt ein vorgegebenes Raster über die Realität zu stülpen." Und mit das Beste sei: "Sie brauchen kein Dogmatiker sein, um diese Enzyklika zu verstehen, weil sie relativ allgemein verständlich formuliert ist."

Er frage sich, meldete sich ein Zuhörer zu Wort, warum er seit ihrer Veröffentlichung nicht eine einzige Predigt zum Thema Ökologie in der Kirche gehört habe. Ist die Enzyklika also doch nur ein weiterer theoretischer Essay von Papst und Kurie? Das bleibt wohl auch nach diesem Abend Ansichtssache.

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