Grafing:Nachbarn verhindern Flüchtlingsunterkunft

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"Nicht bei dieser Feindseligkeit": Der Unternehmer Martin Rothmoser wollte ein Asylbewerberheim in Grafing bauen, zieht dann aber seine Pläne zurück.

Von Thorsten Rienth

40 Asylbewerber hätten in einer neuen Flüchtlingsunterkunft in der Grafinger Mühlenstraße unterkommen sollen, am Dienstagabend sollte der Bauausschuss darüber beraten. Doch abgestimmt wurde nicht: Der örtliche Energieversorger Rothmoser hatte den Antrag kurz zuvor zurückgezogen. "Uns ist derart massiver Widerstand aus der Nachbarschaft entgegengeschlagen - so machen wir nicht weiter." Nicht minder scharf gingen Nachbarn nach dem Tagesordnungspunkt die Grafinger Stadträte an.

Die Zuschauer wähnten sich unbeobachtet, doch das waren sie nicht. Der Erste nannte den SPD-Stadtrat Franz Frey einen "christlichen Volldeppen". Ein anderer bescheinigte dem Stadtrat: "Die bräuchten alle von vorne bis hinten eine Fotz'n!" Weitere echauffierten sich mit Schimpfwörtern, die ähnlich weit unter die Gürtellinie gingen.

"Haben wir nicht zugehört, was der Papst auf Lampedusa gesagt hat?"

Zu hören waren die Sätze im Vorraum des Sitzungssaals im Grafinger Rathaus. Die 15 bis 20 Personen - offensichtlich Nachbarn aus der Gegend um die Mühlenstraße - machten sich nach dem Tagesordnungspunkt gerade wieder auf den Heimweg.

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Im Mittelpunkt der Beschimpfungen standen Grafings Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) und Stadtrat Frey. Die Bürgermeisterin hatte in ihrer Rede zuvor an das im Grundgesetz verbriefte Recht auf Asyl erinnert, Frey an die "mitmenschliche Kultur des christlichen Abendlandes" appelliert. "Haben wir denn nicht zugehört, was der Papst da vor einiger Zeit auf Lampedusa gesagt hat?", fragte er. " Wenn ich die Bilder von Frauen und Kindern am Maschendrahtzaun sehe: Wir haben es nicht!"

In jedem Fall hatten die Nachbarn ihr Ziel erreicht. "Der Bauantrag ist wieder zurückgezogen worden", berichtete Bürgermeisterin Obermayr. Martin Rothmoser bestätigte dies wenig später. "Die Anwohner haben aufs Schärfste dagegen protestiert", erklärte er. Sein Unternehmen sei in erster Linie Energieversorger und nicht Investor. Bestehe öffentlicher Konsens über das Vorhaben, sei die Firma gerne bereit, damit ihren Teil zu Verbesserung der Lage beizutragen. "Aber nicht, wenn so etwas passiert."

Schon kurz zuvor hatte eine Besucherin in Richtung Stadträte gewettert

Pikant daran ist: Auf dem Gelände besteht Baurecht und das geplante Gebäude befindet sich innerhalb der Festsetzungen. Niemand könnte Martin Rothmoser deshalb die Baugenehmigung verwehren.

Am Rande der Sitzung hatte es noch geheißen, der Bauantrag sei nur zurückgezogen worden, um ihn etwas abgespeckt später wieder einzureichen. "Das stimmt nicht, das steht nicht zur Diskussion", widersprach Rothmoser. Ob er eine Chance für einen neuerlichen Anlauf sieht? "Nicht bei dieser Feindseligkeit. Wenn es keine Zeichen gibt, dass in Grafing wieder der christliche Glaube gelebt wird, dann nicht."

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Schon im Tagesordnungspunkt zuvor, als es um die geplante Flüchtlingsunterkunft neben dem neuen Bauhof ging, hatte die Sitzung kurz vor der Eskalation gestanden. Eine Besucherin stand auf und wetterte in Richtung Stadträte. "Sie tun hier so, als ob nichts wäre. Ich muss mir das täglich anschauen - hier ist man nicht mehr sicher!", rief sie. Obermayr verwies sie des Saales.

Man müsse jetzt aufklären, fordert eine SPD-Stadträtin

Nachdem der Bauantrag für die Mühlenstraße bereits zurückgezogen war, fiel die Beratung im Ausschuss kurz aus. Bezirksrätin Susanne Linhart (CSU) sprach sich für eine "für alle sozialverträgliche" Unterbringung aus. SPD-Stadträtin Regina Offenwanger äußerte Verständnis für die Nachbarn: "Ich verstehe, dass die Anwohner erst einmal erschreckt sind." Es sei Aufgabe des Stadtrats, "jetzt aufzuklären".

Mahnende Worte kamen dagegen von Marlene Ottinger (Bündnis für Grafing): "Allen denen, die hier Druck gegen die Pläne in der Mühlenstraße ausüben, muss klar sein, dass sie damit den Druck auf andere Planungen steigern", sagte sie. "Vielleicht kann dieser Aufschrei hier ein Wachrütteln sein, dass wir alle ein bisschen mehr Platz machen müssen."

Bei den anwesenden Anwohnern verhallte der Appell ganz offensichtlich. Ottingers Wortmeldung war die letzte zu dem Tagesordnungspunkt - direkt danach begannen auf der anderen Seite der Tür die Beschimpfungen.

© SZ vom 28.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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