Grafing:Muttergottes aus der Wasserburger Straße

Lesezeit: 3 min

Nach dem Krieg hat die Bildhauerin Johanna Schmidt-Grohe eine Krippe nach Grafinger Bürgern geschaffen.

Rita Baedeker und Thorsten Rienth

Grafing Das ist ja eine feine Krippe! Das Jesuskind? Baby eines amerikanischen Besatzungssoldaten. Die Jungfrau Maria? Zweifache Mutter. Der Verkündigungsengel? So dünn, dass man sich fragt, woher er die Kraft zum Fliegen nimmt. Und der Stall zu Bethlehem wird unter anderem bevölkert von dem Sargmacher Pickl, der niemals ohne sein Werkzeug und ohne seinen Hund, "Rehli" genannt, aus dem Haus ging und stets mit dem Zeigefinger der rechten Hand in Richtung Hölle zeigte. Nur Josef - der hieß auch im wirklichen Leben Josef und war Holzbildhauer.

Die nach lebenden Vorbildern aus Lindenholz geschnitzte Grafinger Weihnachtskrippe in der Ägidius-Kirche ist ein einzigartiges Zeitdokument: Es sind alles Grafinger Bürger, Nachbarn, Freunde, die der Bildhauerin Johanna Schmidt-Grohe in den Jahren zwischen 1945 und 1947 Modell gestanden haben. Von den Personen, die hier verewigt wurden, leben noch zwei; eine davon ist schon von Amts wegen unsterblich: Es ist der Verkündigungsengel, dem Eleonore Eham-Töttermann, Tochter des Kirchenmusikers Hans Eham, Gesicht und Gestalt gab, weil sie, wie Schmidt-Grohe damals erklärte, eine echte Cranach-Figur und rotblonde Locken besaß. Klar, dass sie beim Casting für höhere Wesen die besten Chancen hatte. Der ätherische Himmelsbote zeigt mit dem sehr dünnen rechten Arm auf das Kind in der Krippe, die Haare wie vom Sturmwind bewegt.

Johanna Schmidt-Grohe, die 2009 starb, hatte an der Meisterschule für Holzbildhauer in München studiert und war in den letzten Kriegsjahren von München nach Grafing gezogen. 1945 bekam sie vom damaligen Grafinger Pfarrer und späteren Generalvikar Johannes Fuchs den Auftrag zu einer Krippe. In der Werkstatt des Zimmermeisters Balthasar Gar in der Wasserburger Straße machte sie sich an die Arbeit. Ihre Modelle fand sie in nächster Nähe. Den Stall baute Ernst Bauer aus der alten Hohenlindener Hindenburgeiche. 33 Figuren entstanden im Laufe der Zeit. Es sollte auch noch das Gefolge der Könige hinzukommen, doch die Währungsreform 1948 ließ das Vorhaben scheitern. Überhaupt waren die Zeiten schlecht. Es herrschten Hunger und Not, was sich in den realistischen, von Armut gezeichneten Gesichtern und in der häufig demütig und resigniert wirkenden Haltung der Figuren, die in bayerischer Tracht dargestellt sind, deutlich spiegelt.

51 Jahre nach Beginn der ersten Schnitzarbeiten durch Schmidt-Grohe begann die an Heimatkunde interessierte Grafingerin Anna Schmid, nach denjenigen Personen zu suchen, die für die Krippe Modell gestanden hatten. Ihre Nachforschungen begannen rechtzeitig. "In wenigen Jahren wären auch diese in Vergessenheit geraten", schrieb sie kurz vor der Jahrtausendwende in Heft 12 der von der Grafinger Arbeitsgemeinschaft für Heimatkunde herausgegebenen Schriften. Bis auf zwei Mädchen gelang es ihr, alle Personen zu identifizieren.

Dass das Kind in der Krippe nicht aus Grafing war, könne man, so Schmid, deutlich sehen: "So wohlgenährt waren deutsche Neugeborene damals selten." Deshalb habe die Künstlerin ein Baby von der Säuglingsstation der Universitäts-Frauenklinik gewählt. "Es war das Kind eines amerikanischen Besatzungssoldaten", merkt Anna Schmid an.

Anders als sonst üblich, wurde auch die Figur der Gottesmutter gestaltet. Hier entschied Schmidt-Grohe sich für Theresia Gar, die Frau des Zimmermanns, in dessen Werkstatt sie arbeitete. "Sie duldete traurig, was ihr auferlegt war", erklärte die Bildhauerin damals. Nicht viel anders erging es ja der biblischen Maria. Theresia Gar habe die Angewohnheit gehabt, sich hinzusetzen, die Hände zu falten und nachdenklich zu Boden zu schauen. Kein Wunder, dass diese Theresia als Schmerzensmutter nachgebildet wurde, als eine von schwerer Arbeit gezeichnete ältere Frau und nicht als strahlende Mariengestalt. Dem Josef wiederum verlieh der Holzbildhauer Josef Koch Antlitz und Gestalt. Und zwei der Hirten, der eine mit Lamm im Arm, gleichen aufs Haar zwei Grafinger Originalen - dem Faktotum und Metzger Michael Scheidhammer und dem Drechslermeister Egid Irthaler. In dem Hirten mit Stab hat Schmidt-Grohe ihren Stiefvater verewigt, der Bauer mit Hut in Händen und Pferd wurde nach dem Bauer Sebastian Bartl und dessen geliebtem Ross geschaffen. Weiter versammeln sich an der Krippe "Marias" Schwiegermutter, ein Maler und Zeichenlehrer sowie Phantasiegestalten wie zum Beispiel der Elefant der Könige, der in die Luft trompetet. "Die Figuren sind in ziemlich schlechtem Zustand", sagt Anna Schmid. "Im Elefanten ist der Wurm drin, Finger sind zum Teil abgebrochen. Um die Figuren zu erhalten, müssen sie nächstes Jahr unbedingt restauriert werden."

Ein besonders anziehendes, ja liebevolles Porträt hat Johanna Schmidt-Grohe bei der Figur des Mädchens mit Halstuch geschaffen. Die dargestellte Person, Antonie Danner, geborene Roth, war damals gerade 17 Jahre alt und trug die Zöpfe zu einer bäuerlichen Gretelfrisur hochgesteckt. Mit ihrem Lächeln, so beseligt, als habe der Engel sie gerade sanft berührt, ist sie nun im Grafinger Bethlehem verewigt - für immer jung.

© SZ vom 24.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: