Der Schreibtisch von Bernhard Schäfer ist gut gefüllt. Neben einem Duden liegen Zeitungen, Papiere, Sterbeanzeigen und selbst getippte Beschreibungen für zukünftige Ausstellungen. Ganz neu auf seinem Arbeitsplatz: Ein dickes rotes Fotoalbum, mit alten Schwarz-Weiß-Fotos. Das sei von einer Grafingerin, sagt Schäfer, als Leihgabe für Recherche. Wenn Bernhard Schäfer spricht, dann fallen viele Jahreszahlen, ob es nun um vergilbte Fotos geht oder sein eigenes Leben. Das ist wohl zwangsläufig so als Historiker, auch wenn er selbst sagt, dass er weit davon entfernt sei, alle Zahlen präsent zu haben. Man habe aber bestimmte Orientierungshilfen, mit denen sich schnell geschichtliche Einordnungen treffen lassen, erklärt er. "Am schlimmsten ist es, wenn man merkt, dass man etwas vergessen hat, über das man schon mal selbst geschrieben hat."
Doch es sind nicht ein paar wenige vergesse Zahlen für die Bernhard Schäfer in und um Ebersberg bekannt ist - ganz im Gegenteil. Der studierte Historiker und Politikwissenschaftler ist Vorsitzender des Historischen Vereins Ebersberg, Kreisarchivar, Vorsitzender des Heimatvereins Frauenneuharting und Mitglied im Vorstand des Verbands Bayerischer Geschichtsvereine. Sein eigentlicher Job: Museumsleiter und Archivar Grafings. Wer von ihm noch nicht in der Zeitung gelesen hat, der hat ihn vielleicht beim eigens eingeführten Archivstammtisch getroffen oder einen von vielen Vorträgen gehört. Er nickt nach der Aufzählung. Verständnis zur Liebe zur Geschichte gebe es in seiner Familie durchaus. "Über die Jahre kommt das Privatleben aber zu kurz."
Seinem Heimatort ist Schäfer immer treu geblieben
Der gebürtige Wasserburger - "weil ich ein so schwerer Brocken war, wusste man wohl nicht, ob es vielleicht sogar zwei werden, und man hat meinen Eltern geraten, in die neue Klinik nach Wasserburg zu fahren" - ist zunächst im Lehrerhaus in Frauenneuharting im Süden des Landkreises aufgewachsen. "Da war es zu fünft dann aber recht eng", so Schäfer, und die Familie habe in Jakobneuharting gebaut. Dort lebt der 54-Jährige - "ich teile mir meinen Geburtstag mit Söder, Höhnes und Adenauer" - auch heute noch mit Frau und Katze, sogar auf einem Grundstück neben dem seiner Eltern. Bis auf drei Jahre, die er in Steinhöring verbracht hat, "der Liebe wegen". Sogar für das Studium ist Schäfer über Grafing nach München gependelt. "Ich hab' damals schon gesagt: Das schönste an München ist der Ostbahnhof mit dem durchgehenden Zug nach draußen." Er lacht und erklärt: Erkenntnis sei ortsunabhängig.
Dass Schäfer sich für Geschichte interessiert, wurde ihm durch Erzählungen seines Vaters - den Lehrer in Frauenneuharting und späteren Schulrat von Rosenheim und Ebersberg - in die Wiege gelegt. Besonders wichtig waren für den Jungen Burgen und Festungen. Und so kam es, dass er sich trotz der Überlegung, nach Ende der zehnten Klasse am Grafinger Gymnasium eine Bankausbildung zu beginnen und einer kurzen Bandkarriere als Rhythmusgitarrist, letztendlich für ein Studium der Geschichte und Politikwissenschaft entschied. "Da bin ich meinen Neigungen erlegen", erzählt er, auch wenn seine Mitschüler damals seine Fächerwahl - er sehe es noch lebhaft vor sich - kopfschüttelnd als brotlos bezeichneten. Und die Musikerkarriere? Er habe seine Grenzen als Musiker gesehen, so Schäfer. Die Band "Screaming Nightmare" gibt es, wenn auch nicht in Originalbesetzung, übrigens heute noch.
Politiker wollte er nie werden
Auch die Politik machte bis auf das Studium und drei Jahre im Gemeinderat von Frauenneuharting nicht den größten Anteil in Schäfers Leben aus. "Eine Politiklaufbahn habe ich nie angestrebt", so der Historiker. Mit zunehmender Lebenserfahrung und Wahrnehmung habe er größere Distanz gewonnen, sagt er. Wenn man sehe, wie alt Politik gemacht werde, sei man schnell desillusioniert. "Bevor ich mich verbiege um in das System zu passen, bleibe ich lieber nur Wähler." Deshalb habe er nach seinem zeitweiligen Umzug nach Steinhöring auch abgelehnt, als er dort von den Freien Wählern gefragt wurde, als Bürgermeister zu kandidieren. "Was nicht bedeutet, dass ich unpolitisch bin."
Nach einigen Jahren als Freiberufler nach seinem Studium hat Schäfer in Grafing nun sein ganz eigenes System als Leiter von Stadtmuseum und Archiv. Wie viele Archivalien es insgesamt sind, lässt sich gar nicht so genau sagen, wurden die meisten der Schriften aus dem Altbestand des Marktarchivs und der später eingemeindeten Kommunen noch nicht digitalisiert. Dafür fehle entweder Geld für einen Dienstleister oder Zeit, alles selbst einzuscannen, so Schäfer. Stattdessen lassen sich die Rollregale messen, die in dem auf etwa 18 Grad temperierten Raum stehen. 747 und einen halben Meter sind das. Die Bibliotheks- und Sammlungsbestände umfassen ein bisschen mehr als 73 Meter in weiteren Schränken. Das älteste Stück im Archiv: Eine Marktrechtsurkunde aus 1376, die vom Herzog für eine Bestätigung der bereits bestehenden Marktrechte Grafings ausgestellt wurde.
Frost und Hitze: Beides nicht gut für alte Dokumente
Lange Zeit saß Schäfer mit den alten Briefprotokollen, handschriftlichen Quittungen und schwungvoll verzierten Urkunden im selben Raum - einem Zimmer im zweiten Stock der Stadtkämmerei. "Entweder friert man oder dreht die Heizung hoch", sagt er. Das sei aber nicht gut für die Papiere. Später dann wurde das Archiv um weitere Räume erweitert. Nicht ganz einfach dieses Thema: Bei ihm gehe es weniger um die Unterzeichnung von weitergereichtem Schriftgut aus der Verwaltung, so Schäfer, aber mehr um eigene Forschung und Darstellung. Deshalb habe er den Archivstammtisch gegründet: "Wie sollen die Leute sonst verstehen, dass es diese Aufgaben gibt? Warum ein Archiv wichtig ist?" Doch das ist nicht nur seine Sorge allein: "Man ist in Archivkreisen ein Stück weit besorgt, denn oft fehlt das Verständnis dafür, dass viele elektronische Daten von heute aus dem Amt nach bestimmten Fristen ins Archiv müssen", erklärt Schäfer. "Denn auch die Gegenwart wird mal zur Vergangenheit."
Nun gibt es also das Archiv mit den vielen Regalen, ein weiteres Zimmer mit Bibliotheksbeständen, sein Büro und das Besprechungszimmer. Hier empfängt Schäfer Studenten, Geschichtsbegeisterte oder Familienforscher. Zu letzteren gehört er selbst nicht. "Ich bin kein Genealoge", sagt er. "Vielleicht irgendwann, wenn ich mal viel Zeit habe". Doch bis es soweit ist, wird es wohl noch dauern. "Wo man hingreift, ist Arbeit", sagt er.
Für manche Projekte fehlt Schäfer die nötige Zeit
Neben Geschichte, die um Grafing und Ebersberg, also "meinem unmittelbaren Lebensumfeld spielt, da bin ich zunächst leidenschaftslos und nehme gerne alles" - ist der Nationalsozialismus ein Thema, das Schäfer sehr interessiert. Schon seine Abschlussarbeit für das Studium drehte sich um die Architektur des Münchner Königplatzes im Dritten Reich. Sein aktuelles Projekt: Ein Stadtrundgang, der die jüdische Geschichte in Grafing nachvollziehbar macht. Er zählt Namen von Personen auf, die damals gezwungen waren oder wurden, die Stadt zu verlassen und nie wiederkehrten - hierfür kommt auch das geliehene Fotoalbum auf seinem Schreibtisch zum Einsatz. Außerdem nach wie vor in Arbeit: Ein Buch über den Nationalsozialismus im Landkreis Ebersberg. Seit mehr als zehn Jahren sitzt Schäfer daran, doch auch hier gibt es sein wiederkehrendes Problem: Die fehlende Zeit. "Ich versuche eher Ämter abzugeben", sagt der 54-Jährige. Doch so leicht ist es nicht mit der Suche nach Nachfolgern. "Das merke ich an der Mitgliederstruktur des Historischen Vereins. Tatsächlich ist es schon so, dass bei jüngeren Generationen Interesse für Geschichte da ist. Aber erst wenn mit Karriere und Nachwuchs alles in trockenen Tüchern ist." Das sei aber ein normales menschliches Phänomen, so Schäfer. "Zunächst schaut man nach der Familie, dann nach der Familiengeschichte."
Am liebsten hat es Bernhard Schäfer ja, wenn sich die Arbeit, die Geschichte also und Vergnügen verbinden lassen. So erinnert er sich gerne zurück an die Recherchen für ein Buch zum Kloster Ebersberg, in deren Zuge er ein Weingut in Krems ausfindig gemacht hat, das mit der Geschichte des Klosters verstrickt ist. Nicht nur er hat sich damals mit Freunden spontan in den dortigen Weinkeller "verschleppen" lassen, auch Bürger aus der Kreisstadt werden seitdem bei hohen runden Geburtstagen mit dieser Weinsorte vom Bürgermeister überrascht. "So etwas macht Spaß."