Porträt:Chefin der Cheflosen

Porträt: Stabile Leitplanke: Helen Hamburger wird erneut zur Vorsitzenden der Grafinger Jugendinitiative gewählt.

Stabile Leitplanke: Helen Hamburger wird erneut zur Vorsitzenden der Grafinger Jugendinitiative gewählt.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Unter Helen Hamburgers Vorsitz bekommt die Jugendinitiative Grafing (Jig) ein kritischeres, sozialpolitischeres Profil. Am Donnerstagabend heißt es dort: "Fußball - Ja! Ausbeutung - Nein!"

Von Thorsten Rienth, Grafing

Wenngleich meist ebenerdig, können aus Türschwellen von Jugendtreffs bisweilen doch hohe Hürden werden. "Wenn du zum ersten Mal davorsteht, weißt du nicht so genau, was dahinter kommt", sagt Helen Hamburger. "Dann reinzugehen, obwohl du dort vielleicht noch gar niemanden kennst, da braucht's schon ein bisschen Mut." Was die Türschwelle der Jugendinitiative Grafing (Jig) angeht, so spricht die 23-Jährige auch aus eigener Erfahrung. Da stand sie vor gut fünf Jahren nämlich selbst davor - und machte den ersten Schritt. Jetzt ist Hamburger einmal mehr zur Vorsitzenden des Treffs gewählt worden.

Und was liegt heute hinter dessen Türschwelle? "Für mich? Zuhause, Wohlfühlort, Wohnzimmer, Save Space", sagt Helen Hamburger. Jeder, der regelmäßig im Erdgeschoss der Rotter Straße 8 ein- und ausgehe, verbinde mit den Räumlichkeiten etwas. Das Schlagzeug oder die Gitarren, die zurzeit auf der Bühne herumstehen und bespielt werden wollen. Die Theke und den Esstisch daneben. Oder den ganzen Freundeskreis.

"Ein Platz für Leute, die sich in traditionellen Vereinen vielleicht nicht so wohlfühlen"

Als "ständige und vorurteilsfreie Begegnungsstätte aller Jugendlichen" umreißt die Satzung des im Jahr 1986 gegründeten Vereins dessen Zweck. "Mitglieder sollen selbstständig und eigenschöpferisch arbeiten, in den regelmäßig stattfindenden Gruppenveranstaltungen die Angebote im sozialen, politischen, kulturellen und musikalischen Bereich nutzen, sowie durch Übernahme von Verantwortung im Jugendtreff an der Gestaltung und Arbeit mitwirken", folgt dann etwas sperrig die Erläuterung. Hamburger kann es prägnanter: Das Jig sei "ein Platz für Leute, die sich in traditionellen Vereinen vielleicht nicht so wohlfühlen."

Picobello ist dort nicht so wichtig. Stattdessen eine gewisse antiautoritäre Grundhaltung mit größtmöglichem persönlichen Freiheitsgrad, ohne eben denselben des Nächsten irgendwie einzuschränken. Und dazu basisdemokratische Entscheidungsstrukturen. Wenn man so will, ist Hamburger, die in München Pädagogik und Bildungswissenschaften sowie die Nebenfachkombination Kunst, Musik, Theater studiert, die Chefin von eigentlich überzeugten Cheflosen. Jeden ersten Donnerstag im Monat trifft sich der Verein zum offenen Plenum.

Den Betrieb des Treffs schmeißen nicht nur die Chefs, sondern alle Aktiven zusammen

Das Grundprinzip erklärt Hamburger so: "Jedes Mitglied und jeder Vorstand, der bei den Abstimmungen da ist, hat eine Stimme." So geht das von der Entscheidung über Thekendienste, diese oder jene Party, dieses oder jenes Konzert, diese oder jene Veranstaltung. Allenfalls übernähmen die Vorstände - sechs sind es neben Hamburger, darunter der Grafinger Grünen-Stadtrat Keno Maierhofer - eine Art Leitplankenfunktion. Geschmissen werde das Jig von allen Aktiven zusammen.

Überhaupt, die Veranstaltungen. Die haben unter Hamburgers Ägide einen deutlich sozialpolitischeren Anstrich bekommen. Soli-Partys etwa, deren Erlös zum Beispiel an die Sea-Eye geht, eine deutsche Hilfsorganisation zur Rettung von in Seenot geratenen, meist geflüchteten Menschen im Mittelmeer, gehören schon fast zum guten Ton. Und im "Kino für alle" lief jüngst der Dokumentarfilm "Route 4", der die Wege Geflüchteter aus Afrika nach Europa nachzeichnet.

Doch es geht im Jig beileibe nicht nur um Migration, aktuell steht zum Beispiel die Lage der Menschenrechte in Katar auf dem Programm: Am Donnerstagabend, 1. Dezember, um 19 Uhr, lädt Hamburgers Treff zu einer Diskussionsveranstaltung mit Ingrid Rausch-Grill ein, einem ehemaligen Mitglied des Bundesvorstands von Amnesty International, und zwar unter dem Titel: "Fußball - Ja! Ausbeutung - Nein!" Wie die Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Grafing dabei ihre Prioritäten setzen, wird beim Blick auf den WM-Spielplan klar: Zeitgleich bestreitet die deutsche Fußballnationalmannschaft ihr drittes Gruppenspiel. Das mag einiges heißen in einem Jugendtreff, dessen Theke so manche Pokale von Hobbyfußballturnieren zieren.

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