Süddeutsche Zeitung

Sonderkonzerte zum Jubiläum:Swingende Saat

Vor nunmehr 15 Jahren starteten ein paar Musiker regelmäßige Jam-Sessions in ihrer Heimatstadt - "Jazz Grafing" war geboren. Dank dieser Initiative hat der Landkreis heute eine lebendige Szene samt überregional anerkanntem Festival.

Von Anja Blum, Grafing

Haufenweise Mehlsäcke liegen hinter jener unscheinbaren Metalltür, die hinein führt ins Refugium von Jazz Grafing. Und die Zentrale ist, wie könnte es anders sein, kein Büro, sondern ein Proberaum, denn in erster Linie sind die Macher dieses Vereins ja selbst Musiker. Ein Drumset, Kongas, E-Piano, Gitarre, Plakate an der Wand, schalldämmende Teppiche: Alles da. Und mittlerweile proben hier, über der Backstube am Haidlinger VHS-Turm, nicht nur die Jazzer, sondern gleich mehrere Bands. Kein Wunder bei einer Initiative, die sich ganz der Förderung von Livemusik verschrieben hat.

15 Jahre ist es nun schon her, da kamen ein paar Grafinger Jazzliebhaber zusammen, um zu überlegen, auch in ihrer Stadt eine regelmäßige Jam-Session ins Leben zu rufen, wie sie etwa im Wasserburger Stechlkeller bereits stattfand. Man beschnupperte sich also, menschlich wie musikalisch. Und bereits einen Monat später, im April 2008, trafen sich die Beteiligten, damals noch ein lockerer Verbund Gleichgesinnter, im Untergeschoss des Kastenwirts, zu dieser Zeit genannt "Beckers Erlebniskeller", zu einer allerersten Session. Die Saat war ausgebracht.

Bald kamen selbst die Stars aus der Landeshauptstadt raus aufs Land

Denn was damals noch niemand ahnen konnte: Dieses Gewölbe sollte zur Wiege werden für etwas richtig Großes, tatsächlich Nachhaltiges. "Die ersten Abende haben wir ausschließlich selbst bestritten", erzählt Frank Haschler, Chef des heutigen Vereins, bevor er in der anschließenden Probe zu den Sticks greifen wird. Erst nach und nach seien immer mehr Musiker von außerhalb ins Bühnengeschehen eingestiegen. "Da war doch dieser Hotelgast, ein fülliger Südafrikaner", erinnert sich Joachim Jann, Saxofonist und Kassier. Der habe sich ganz plötzlich ans Klavier gesetzt und mitgespielt. Zuhörer Michael Liese wiederum, heute ebenfalls Mitglied im Vorstand, bekam eines Abends von Jazz-Urgestein Josef Ametsbichler einfach den Bass in die Hand gedrückt.

Doch schnell sprach es sich dann herum, dass der Jazz - nachdem er in München immer öfter der Tür verwiesen worden war - in Grafing ein neues, liebevolles Zuhause gefunden hatte. Also kamen bald auch die Profis und Stars aus der Landeshauptstadt raus aufs Land, um endlich mal wieder spielen zu können und andere Jazzer zu treffen. Tuscher, Koch, Raible, die Liste ließe sich wohl fast unendlich fortsetzen. Vor allem der Kirchseeoner Martin Zenker, international als Jazzbotschafter unterwegs, habe immer wieder tolle Leute angeschleppt, aus Südkorea, der Mongolei oder sonst woher. "Manchmal waren mehr Musiker da als Zuhörer", sagt Haschler und lacht angesichts der besonderen Herausforderung, lauter geschulte Ohren im Parkett zu wissen.

Die Grafinger Jam-Sessions fanden jedenfalls derart großen Anklang, bei Musikern wie beim Publikum, dass die Organisatoren bereits zwei, drei Jahre später ein neues Konzept ersannen. Seitdem sind die Abende stets zweitgeteilt: Zunächst spielt ein eigens engagiertes Ensemble ein Eröffnungsset, danach ist, unter der Regie der Opening-Band, die Bühne frei für Einsteiger aller Art. Der Eintritt war und ist immer kostenlos geblieben, für die Musiker wird nebst Applaus allerdings ein gut gefüllter Hut erwartet.

Trotz der unkalkulierbaren Gage erhielt Jazz Grafing so viele Angebote von Bands, die bei den Sessions auftreten wollten, dass man irgendwann nicht mehr wusste, wohin damit. "Also ist die Idee eines kleinen Festivals entstanden", berichtet Bernhard Ladstetter, Schriftführer und Gitarrist. "Klein im Sinne von: ein Wochenende". Doch daraus wurde nichts. Kaum war der Gedanke in der Welt, wuchs er - zu ungeahnter Größe: Mit mehr als 25 Veranstaltungen samt einigen Weltstars wie Ron Carter oder Chris Potter ging es bei "EBE-Jazz 15" gleich richtig zur Sache.

Dabei, muss man sagen, war bei diesem ersten Festival neben Begeisterung und Improvisationstalent durchaus auch etwas Naivität im Spiel: "Wir hatten mit einem Budget von 8000 Euro gerechnet - am Ende war es acht Mal so viel", sagt Jann und grinst. Denn irgendwie sei dann doch, dank vieler Fördergelder und Sponsoren, alles gedeckelt gewesen. "Und schon bevor das Festival vorbei war, war klar, dass es eine Wiederholung geben musste", sagt Ladstetter. "Man sieht also: Das war alles nicht von langer Hand geplant, sondern ist organisch gewachsen", ergänzt Haschler.

Zwar hatten die Grafinger Jazzer bereits für ihr erstes Festival im Verein Altes Kino und der Ebersberger Musikschule höchst professionelle, verlässliche Partner gefunden, doch aufgrund des immensen Aufwands entschieden sich die ehrenamtlichen Organisatoren dann doch für einen zweijährigen Turnus. Heuer findet also die inzwischen fünfte Ausgabe statt.

Bereits 2016 wurde die "Interessengemeinschaft IG EBE-Jazz" mit dem Tassilo-Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung ausgezeichnet, 2019 die Veranstaltungsreihe als Landes-Jazzfestival Bayerns prämiert. Außerdem hat sich die Musiker-Initiative inzwischen zu einem gemeinnützigen Verein entwickelt, der Spenden quittieren kann und bestens vernetzt ist mit anderen Organisationen der Jazzszene.

Viele Erfolge also - aber es gab auch Rückschläge. 2015 verloren die Jazzer ihre Wiege im Kastenwirtkeller. Doch dank eines engagierten Grafinger Kulturmanagers fanden sie rasch eine andere geeignete Bleibe: Die Sessions zogen um in die neu eröffnete Turmstube der Stadthalle. Und auch dort ging es munter weiter, ein musikalisches Highlight jagte das nächste. Allerdings währte auch der "Jazz im Turm" nicht all zu lange: Einerseits kam Corona, außerdem mussten die Jazzer erneut weichen, weil eine dringende Sanierung des Hauses anstand. Erst 2022 konnte es weiter gehen, und zwar nun in Ebersberg, wo man im Café Mala eine neue Spielstätte fand.

Dieses Gastspiel in der Nachbarstadt als Übergangslösung anzusehen, wäre jedoch verkehrt: Obwohl die Grafinger Stadthalle nun wieder geöffnet ist, werden die Sessions erst einmal weiterhin im Klosterbauhof stattfinden. "Dort fühlen sich alle, Zuhörer wie Musiker, nämlich sauwohl", sagt Liese. Das Café sei stets "rammelvoll", mit Jazzliebhabern, aber auch mit Menschen, die vor allem das gute Essen und die Gesellschaft bei Livemusik zu schätzen wüssten. "Und das wiederum ist ein Mix, der uns sehr gut gefällt", so Jann. "Außerdem merkst Du es natürlich auch am Inhalt des Hutes, ob 100 Leute da waren oder nur 60 wie in der Turmstube", ergänzt Ladstetter.

Ganz vernachlässigen wollen die Jazzer ihre Heimatstadt indes nicht: Das ein oder andere Sonderkonzert sei dort auf jeden Fall geplant, versichert Haschler. Zum Beispiel ein Treffen mehrerer Bigbands unter der bewährten Leitung Ametsbichlers. Apropos Planung: Wie beliebt die Jam-Sessions sind, zeigt schon allein das Booking. Bis einschließlich Januar 2024 sind laut Haschler bereits alle Termine an Bands vergeben.

Kein bisschen weniger erfolgreich ist das Festival EBE-Jazz. "Inzwischen melden sich die Weltagenturen bei uns", sagt Haschler nicht ohne Stolz. Das aber bedeute nicht, dass man jeden Star haben könne - und wolle. Denn erstens verlange so mancher für die Ebersberger Größenordnung einfach utopische Gagen - "15 000 Euro für Christian McBride, das geht einfach nicht" - und andererseits habe die IG EBE-Jazz durchaus gewisse Vorstellungen vom Line-up. "Wir möchten unbedingt eine eigene Handschrift haben", erklärt Ladstetter, "wir wollen nicht nur Big Names wie andere Festivals, sondern möglichst viele Stilistiken anbieten und vor allem auch die Jugend abholen."

Heute, 15 Jahre später, nach 142 Jam-Sessions mit mehr als 500 Musikern von nah und fern, hat der Landkreis Ebersberg also eine feste, lebendige Jazzszene mit regelmäßigen Konzerten sowie Festivals und ist dafür überregional bestens beleumundet. Und natürlich feiern die Macher all dessen nun den 15. Geburtstag ihrer Initiative - mit noch mehr Livemusik: Zusätzlich zu den monatlichen Jam-Sessions gibt es vier Sondergastspiele.

Bereits ausverkauft ist ein Brunch im Café Mala am Sonntag, 26. März, mit südafrikanischem Jazz. Doch schon am Mittwoch, 29. März, um 19.30 Uhr gibt es ein Konzert samt Vortrag: Unter dem Motto "Jazz erzählt - Jazz gehört" kann man in der Stadtbücherei Grafing die Sängerin Nina Michelle, Gitarrist John Brunton und Trompeter Peter Tuscher erleben. Wieder einmal Martin Zenker ist es zu verdanken, dass am Sonntag, 23. April, um 20.30 Uhr im Ebersberger Alten Kino Weltstars zu bewundern sind: der Saxofonist Jim Snidero mit seinem European Quintet, angereichert mit dem Gitarristen Kurt Rosenwinkel.

Am Sonntag, 30. April, um 19.30 Uhr wird schließlich der International Jazzday gefeiert: In der Stadtbücherei Grafing spielen der Youngsters Music Club von Josef Ametsbichler, die Band Le Big Marcel aus der französischen Partnergemeinde St. Marcellin sowie die Grafinger Archive Jazz Combo. Denn Verständigung über alle Grenzen hinweg, mittels der universalen Sprache Musik, das gehört zur DNA des Jazz. Vermutlich deswegen ist es für dessen Liebhaber auch ganz selbstverständlich, den eigenen Proberaum mit anderen Bands zu teilen.

Jazz in Grafing und Ebersberg: Alle Termine und Infos auf der Homepage des Vereins sowie auf jener des Festivals.

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