Auf dem Namensschild der Tür, hinter der vorher die Grafinger Kämmerin arbeitete, stand im Frühjahr kein Name mehr. Die durch und durch in der Stadt verwurzelte Mitarbeiterin hatte hingeschmissen. Über die Gründe könne er wenig sagen, räumte Bürgermeister Christian Bauer (CSU) im Stadtrat ein. Wenn eine Rathausnummer anrufe, hebe die Ex-Kollegin nicht einmal mehr ab.
Gemessen an dem, was es zu verteilen gibt, dürfte ihr Job zuletzt auch wenig Freude bereitet haben. In seinen ersten Bürgermeister-Haushalt war Bauer am 1. Januar 2021 mit Schulden von rund 12 Millionen Euro gestartet. Zwei Jahre wies die Verwaltung schon 16 Millionen Euro aus. Dieser Tage dürfte er bei knapp 19 Millionen Euro liegen. Wer sich von Ex-Kämmerer Bauer eine Haushaltskonsolidierung erhoffte, der bekam ziemlich genau das Gegenteil. Mittlerweile sind sogar die Rücklagen aufgebraucht, von denen die Stadt bislang zehren konnte.
Richtig ist allerdings auch: Im Stadtrat, wo der Haushalt alljährlich beschlossen wird, hat Bauer eine von 25 Stimmen. Und die verbleibenden 24 sind oft wenig zu hören, wenn es um wenig Geld geht. In der Oktober-Sitzung etwa skizzierte Bauer dem Gremium eine erneut ernüchternde Finanzprognose für das nächste Jahre. Keine einzige Wortmeldung folgte. Nicht einmal die Rückfrage, ob ihn neue Zahlen zu der Voraussage kommen ließen, wollte jemand stellen.
Es gab zwar immer wieder Kritik im Stadtrat an den Ausgaben, aber es folgte selten eine Aktion
Am anderen Ende der Ernsthaftigkeitsskala sitzt seit Jahren CSU-Fraktionschef Max Graf von Rechberg. Es dürfe doch wohl nicht wahr sein, wie die Stadt mit Geld umgehe, schimpfte er vor einiger Zeit. „Jede Familie versucht zuhause ihr Geld zusammenzuhalten – warum schaffen wir das seit 20 Jahren nicht? Wir sind alle erwachsen hier und müssen endlich genug Verantwortungsbewusstsein mitbringen. Wir brauchen mehr Rückgrat, um bei den Ausgaben endlich einmal ‚Stopp‘ zu sagen!“
Nur sagt im Grafinger Stadtrat eben selten eine Mehrheit mal „Stopp“. Nichtmal bei so obskuren Projekten wie das Hey-Grafing-Portal. Mit dem wollte die Stadt für einige zehntausend Euro gegen Online-Dienste wie Google Maps anstänkern.

„Hey Grafing“:Stadt stoppt Zahlungen
Mit einer digitalen Vermarktungsplattform wollte Grafing lokalem Einzelhandel, Dienstleistungsgewerbe, Gastronomie und Vereinen unter die Arme greifen. Weil das Portal noch immer Baustelle ist, zieht das Grafinger Rathaus jetzt die Daumenschrauben gegenüber der verantwortlichen Agentur an.
Aber das wirkliche Problem liegt ohnehin tiefer. Wenn man so will: Am viel zu großen Fuß, auf dem die 14 000-Einwohner-Kleinstadt seit Jahren lebt. Ein schickes Freibad zählt sie zu den Selbstverständlichkeiten. Allein in dieser Saison musste sie rund 400.000 Euro zuschießen. Aufs Eisstadion ist die Stadt ebenfalls mächtig stolz. Rund 170.000 Euro war ihr dessen Betrieb im vergangenen Jahr wert. Sie leistet sich eine Stadthalle für 400 Besucher und gab unlängst rund 2,4 Millionen Euro für die „Minimalsanierung plus“ aus. Sie wollte den Luxus eines an den Stadtrand verlagerten Bauhofs. 700.000 Euro wurden im vergangenen Jahr für die Altlastensanierung des alten Geländes fällig.
Für Übergangs- und Ausweichlösungen gibt man viel Geld aus, etwa für die Rotter Straße
Seit über 16 Jahren verfällt die zuvor von VHS und Musikschule genutzte alte Schule in der Rotter Straße 8 größtenteils brandschutzgesperrt vor sich hin. Für den Umbau von Ersatzräumen zahlte die Stadt einst deutlich über 300.000 Euro. Um die 100.000 Euro überweist sie jährlich an Mietzahlungen. Bald hat Grafing für all das genauso viel Geld ausgegeben, wie anfangs für die gescheiterte „RO8“-Sanierung veranschlagt war. Mittlerweile gilt eine Sanierung als ausgeschlossen.

Rotter Straße 8 in Grafing:Ohne Netz und doppelten Boden
Beim seit 16 Jahren wegen Brandschutzmängeln gesperrten ehemaligen VHS-Gebäude gibt es offenbar Probleme mit der Statik. Eine Sanierung ist laut Bürgermeister Christian Bauer damit ausgeschlossen.
Es stimmt: Gefühlt eröffnete zuletzt eine Grafinger Kita-Gruppe nach der anderen. Leider wurde das Gesamtpaket aber auch deshalb so teuer, weil man den Bau des Kinderzentrums in der Forellenstraße, nun ja, sehr gemächlich angehen ließ. Der Beschluss geht noch auf die frühen 2010er Jahre und damit die Amtszeit von Bauers Vorvorgänger Rudolf Heiler zurück. Vor wenigen Wochen feierte man die Einweihung. In der Zwischenzeit floss viel Geld in kurzfristigere und damit teure Übergangslösungen.
Derlei Schritte wären verschmerzbar, sähe es auf der Einnahmenseite besser aus. Doch Gebühren für Wasser, Abwasser, Friedhof oder derlei darf die Stadt nicht einfach erhöhen. Diese „Services“ muss sie stets kostendeckend anbieten. Auch an der Einkommenssteuerbeteiligung gibt es nichts zu rütteln. Die weist der Bund über den Freistaat zu.
Die Gewerbesteuer ist unterdurchschnittlich, auch weil es in Grafing zu wenige Flächen gibt
Anders sieht es bei der Gewerbesteuer aus. Sie fließt komplett an die jeweilige Gemeinde. Seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten ist bekannt: Bei den diesen Einnahmen hinkt Grafing gegenüber vergleichbaren Gemeinden zurück. Besonderes Engagement zum Lückenschluss – und damit einer gestärkten Einnahmenseite – war und ist kaum feststellbar.
Das Gewerbegebiet „Schammach I“ gibt es seit dem Jahr 1999. Erst im Herbst 2014 schloss Grafing die Grundstücksverhandlungen für „Schammach II“ ab. Schon im Jahr 2019 war es ausverkauft. Im gleichen Jahr bescheinigte das Grafinger ISEK (Integriertes städtebauliches Entwicklungskonzept) einen „potenziellen Gewerbeflächenbedarf von 4,6 Hektar in den nächsten 15 Jahren“. Größere Neuausweisungspläne gibt es, abgesehen von etwas über einem Hektar gegenüber des Lidl-Marktes: keine.

Gewerbegebiet Grafing:Die Lücken schließen
Bei den Einnahmen aus der Gewerbesteuer hinkt Grafing gegenüber vergleichbaren Gemeinden zurück. Wider Erwarten dürften westlich der Staatsstraße 2089 in Richtung Bad Aibling bald rund 11 000 Quadratmeter hinzukommen. Sollten dort Waren verkauft werden, gilt allerdings eine Einschränkung.
Woran die Grafinger Finanzmisere eher weniger liegt, auch wenn die Kommunikationslinie der Stadtverwaltung oft anders klingt: am Landkreis und der Kreisumlage. Selbst wenn die Umlage um einen weiteren Prozentpunkt steigen sollte – um zum Beispiel die Grafinger Berufsschule zu finanzieren – entspricht dies laut Kämmerei einem Grafinger Plus von circa 190.000 Euro. Am 2024er Gesamthaushalt gemessen: knapp 0,4 Prozent.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes stand, Grafing hätte im Jahr 2024 knapp 500 000 Euro für sein Eisstadion ausgegeben. Tatsächlich waren es im genannten Jahr 170 000 Euro, da zwei Investitionen aufgrund einer neuen Zeitplanung erst in die Folgejahre fallen. Wir haben die Stelle entsprechend präzisiert.