NS-Geschichte:Aus den Augen, aus dem Sinn

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Über die Frage, wie mit dem Namen Deuschl auf dem Straßenschild umzugehen ist, wird in Grafing seit gut 15 Jahren diskutiert. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Vor einem Jahr kuratierte Stadtarchivar Bernhard Schäfer eine viel gelobte Ausstellung über Grafinger Euthanasie-Opfer. Ein Sohn der Stadt, Hans Deuschl, gehörte zu den Tätern des NS-Regimes. Eine Straße trägt immer noch seinen Namen.

Von Thorsten Rienth, Grafing

Um den 24. Januar 1942 herum hat Hans Deuschl, gerade vom Leiter der Führerschule der deutschen Ärzteschaft zum neuen Leiter des Gesundheitswesens beim Generalkommissar für Estland ins heutige Tallinn befördert, eine Idee. Jedenfalls schreibt er an diesem Tag einen Brief an SS-Chef Heinrich Himmler und schlägt vor: Die Hälfte der "Bestien" zu erschießen, um mit der Kleidung und den Rationen der Toten die Lebenden besser zu versorgen. Deuschl spricht da von sowjetischen Kriegsgefangenen in seinem neuen Gebiet. Und sonst so? "Die Arbeit hier gefällt mir gut. Ich hoffe, dass Du gelegentlich einmal hier her kommst. Daheim ist alles in Ordnung. Heil Hitler! Dein Hansi Deuschl."

Deuschl, geboren am 21. Juli 1881 in Grafing, dürfte nicht der einzige stramme Nazi der Stadt gewesen sein. Aber der einzige mit einem Eintrag im "Personenlexikon zum Dritten Reich", dessen Namen auf einem Grafinger Straßenschild zu lesen ist, nämlich der Deuschlstraße im Nordwesten der Stadt. Vor einem Jahr war davon zuletzt wieder die Rede. Der Grafinger Stadtarchivar Bernhard Schäfer hatte einmal mehr eine viel gelobte Ausstellung eröffnet, diesmal über die Grafinger Euthanasie-Opfer im "Dritten Reich".

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Die nächste Sonderausstellung im Museum der Stadt Grafing widmen die Kuratoren den Euthanasie-Opfern im Dritten Reich. Archivar Bernhard Schäfer wendet sich mit einer Bitte an die Bevölkerung.

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Im Stadtrat ist das Deuschl-Thema nicht unbekannt. Bereits 2009 hatte der damalige Grünen-Stadtrat Heinz Fröhlich die Umbenennung der Deuschlstraße beantragt. In der Sitzung lag damals die Begründung der Namenswahl aus dem Jahr 1953 auf den Sitzungstischen. Wie die umliegenden Straßen, so hieß es, sei auch die Deuschlstraße "zu Ehren alter verdienter Familien" benannt worden.

Deuschl sei ein "astreiner Nazi" gewesen, "der sich einiges zuschulden kommen lassen hat", befand die damalige SPD-Stadträtin und spätere dritte Bürgermeisterin Regina Offenwanger. "Aber ich habe meine Probleme damit, hier wie bei einer Sippenhaft die ganze Familie in die Pflicht zu nehmen." Auch der heutige CSU-Landtagsabgeordnete Thomas Huber wies Fröhlichs Antrag zurück. "Diese Straße ist zu Ehren einer verdienten Grafinger Familie benannt. Das hat nichts mit dem menschenverachtenden Wirken von Dr. Hans Deuschl zu tun und deswegen kann man das der Familie auch nicht negativ anrechnen." Huber schlug vor, eine Tafel anzubringen, die die Herkunft des Straßennamens erklärt. So lautete dann auch der Beschluss.

Im Jahr 2009 beschäftigte man sich in Grafing intensiv mit der Vita des Hans Deuschl, hier bei einem Vortrag des Arztes und Medizinhistorikers Wilhelm Boes im Grafinger Stadtarchiv. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Womit genau sich die Familie verdient machte? Arg viel mehr, als dass sich die einstige Brauerei Grandauer zwischen den Jahren 1855 und 1926 in ihrem Besitz befunden hat, ist öffentlich nicht zu erfahren. Auch ein Blick ins im Jahr 2003 erschienenen "Heft 14" der "Grafinger heimatkundliche Schriften", herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft für Heimatkunde, hilft nicht weiter. Obwohl Autor Marin Oswald auf ganzen 19 Seiten seine Recherchen über die Herkunft von Grafinger Straßennamen ausbreitet, bleiben für die Deuschlstraße gerade einmal neun Zeilen. Von Verdiensten der Familie ist darin keine Rede.

Vielmehr entsteht der Eindruck einer vor allem praktischen Lösung. Einige Jahre zuvor hatte die Familie einen Teil ihres "Deuschlgrunds" im Grafinger Westen an die Stadt verkauft. Die gab die Fläche nun parzellenweise an Bauwillige ab. Und nicht weit davon liegt eben heute die Deuschlstraße.

Die Straßenumbenennung erfolgte ausgerechnet im Todesjahr von Hans Deuschl

Der Tagesordnungspunkt aus der Sitzung im Jahr 2009 jedenfalls bleibt erstmal 14 Jahre liegen, also bis zu Schäfers Ausstellung. In ihrem Kontext kommt unter Besuchern auch die alte Frage wieder auf: Eine Grafinger Straße, die den gleichen Namen trage wie ein ehemaliger Leiter der Führerschule der deutschen Ärzteschaft und ein Träger des Goldenen NSDAP-Ehrenzeichens - muss das wirklich sein?

Hinweise, dass die Benennung im Jahr 1953 sozusagen unter der Hand dennoch Hans Deuschl galt, gibt es keine. Dass sie ausgerechnet kurz nach dem Tod des ehemaligen SS-Oberführers erfolge, dürfte tatsächlich nur ein Zufall sein. Aber ein Name, der in der Medizinforschung mit einem klaren NS-Kontext belegt ist, steht halt trotzdem auf dem Schild.

An dem Thema lässt es sich trefflich reiben, natürlich. Aber selbst das ist im Grafinger Politbetrieb entweder nicht erwünscht oder schlicht egal, eher wohl letzteres. Rund um die Ausstellung fällt jedenfalls auch auf, dass die im Jahr 2009 beschlossene Tafel am Deuschl-Straßenschild fehlt. Entweder hat sie niemand je aufgehängt. Oder jemand montierte sie wieder ab.

Im Stadtrat scheint die Frage des Straßennamens keine hohe Priorität zu haben

Ein Jahr verging seit dieser Nachricht. Nicht mal eine Debatte in einer Ausschusssitzung war sie Bürgermeister Bauer (CSU), der qua Amtes als Herr über die Tagesordnungen fungiert, seither wert. Aber auch keinem der immerhin 24 Grafinger Stadtratsmitglieder. Jeder von ihnen könnte die Causa per Antrag nominieren.

Andere Städte und Gemeinden sind da weiter. Gerade in den zurückliegenden Jahren fällt landauf landab eine neue, selbstkritische Denke auf, die sich äußert in Umbenennungen von Straßen und Plätzen genauso wie in erläuternden Tafeln. 2021 beispielsweise bei Hinrich Wriede in Bremen, im Folgejahr beim Carl-Keller-Weg in Lörrach, vergangenes Jahr bei der Wöhrlgasse in Nürnberg sowie in gleich drei Fällen in Bad Dürkheim.

Wie so viele mutmaßliche Kriegsverbrecher durfte Hans Deuschl sein Leben in Frieden und Freiheit zu Ende leben. Am 27. April 1953 ist er in Starnberg gestorben - also im selben Jahr, in dem die Deuschlstraße ihren Namen bekam.

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