Würde ein Wirtschaftshistoriker die zurückliegenden 30, 40 Jahre Grafinger Wirtschaftsgeschichte analysieren, käme er für die Stadt auf keine sonderlich gute Bilanz: Erst im Jahr 1998 – und dann auch noch gegen zahlreiche Widerstände – konnte Grafing sein erstes größeres Gewerbegebiet zu entwickeln. 15 Jahre vergingen bis zur Schammacher Vollbelegung. Im Jahr 2017 startete die Erweiterung. Diesmal füllen sich die Flächen sichtbar schneller.
Die kurze Vorgeschichte ordnet auch ein, warum bei den alljährlichen Haushaltsaufstellungen viele im Stadtrat seufzen: Wegen des späten Starts bei den Gewerbegebieten sind die Einnahmen aus der Gewerbesteuer vergleichsweise niedrig. Das ist ungut: Was Unternehmen an Gewerbesteuer zahlen, landet eins zu eins bei der Gemeinde selbst.
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Immer im Herbst erhalten Städte und Gemeinden vergleichsweise verlässliche Prognosen zu den Einnahmen aus Einkommens- und Gewerbesteuer. Für Grafing gibt es erstmal gute Nachrichten - doch sie sind trügerisch.
Insofern konnte Bürgermeister Christian Bauer (CSU) in der Stadtratssitzung am Dienstagabend recht positive Nachrichten verkünden: „Wider aller Erwartungen“ wird Grafing bald weitere 11 000 Quadratmeter Gewerbegebiet ausweisen können. Und zwar westlich der Staatsstraße 2089 in Richtung Bad Aibling, etwa gegenüber der Supermärkte Edeka und Lidl sowie dem „Haschler-Turm“.
Entscheidend ist, dass die Bezirksregierung ihre Meinung zum Gewerbegebiet geändert hat
Zum einen ist es dem Bauamt um Josef Niedermaier gelungen, die Regierung von Oberbayern vom Rückzug einer entscheidenden Rechtsauffassung zu überzeugen: Gegen das bislang an Ort und Stelle geltende sogenannte Anbindungsgebot würde eine etwaige Ausweisung nun doch nicht mehr verstoßen.
Zum anderen räumte der Grafinger Stadtrat im Frühsommer einen anderen Knackpunkt aus dem Weg: Das Gremium schloss die künftige Erlaubnis von Betriebsleiterwohnungen in Grafinger Gewerbegebieten aus. Damit werden sogenannte Lärmkontingente frei, die auf den 11 000 Quadratmetern tagsüber 70 dB(A) und nachts 55 dB(A) ermöglichen. Das gilt als ausreichend für Gewerbe, das nachts nicht unbedingt mit dem Presslufthammer arbeiten muss. Selbst die Kontingente des vor einiger Zeit überplanten Edeka-Supermarkts abgezogen bleiben tagsüber noch immer 67 dB(A) und nachts 49 dB(A) „übrig“.
Damit ist nun der Zeitpunkt gekommen, an dem Grafing mit der Entwicklung eines neuen Gewerbegebietes „Südlichen Aiblinger Straße – Westseite“ loslegen kann. Etwas über 14 000 Quadratmeter misst das Areal insgesamt. Rund 3000 Quadratmeter müsste als naturschutzrechtliche Ausgleichsfläche vorgehalten werden.
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Auf dem Grundstück für die geplante Berufsschule in Grafing leben Haselmäuse – die müssen jetzt zum Umzug überredet werden, sonst darf dort nicht gebaut werden.
Deren geschickte Verortung auf dem Gelände ist der dritte Schritt, den Grafing auf sein nächstes Gewerbegebiet zugehen kann: Das Bauamt legt diese Flächen an die Nordwestseite des neuen Gewerbegebietes. Dort fungieren sie als räumlicher Trenner zum Weiler Haidling. Das wiederum setzt eine landesplanerische Forderung des Freistaats um – nämlich, dass die Gewerbeflächen auf beiden Seiten der Staatsstraße perspektivisch nicht mit dem Weiler zusammenrücken.
Sollte auf den neuen Gewerbeflächen zum Beispiel ein Einzelhändler Waren verkaufen wollen, gilt allerdings eine Einschränkung: „Ein innenstadtrelevantes Sortiment werden wir dort nicht erlauben“, kündigte Bürgermeister Bauer an. Die Stadt will damit verhindern, dass das neue Gewerbegebiet Kaufkraft und Attraktivität vom Marktplatz abzieht. Ähnliche Regelungen gelten bereits für die anderen Grafinger Gewerbegebiete.
Die nötige Änderung des Flächennutzungsplans brachte der Stadtrat mit breiter Mehrheit auf den Weg. Mit den Planungsleistungen beauftragte das Gremium den Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München.