Süddeutsche Zeitung

Grafing:Eins mit dem Instrument

Anna und Constanze Schackow begeistern als Klezmer-Duo

Von Anna Weininger, Grafing

"Klezmer spricht einem aus der Seele." Für die 19-jährige Anna Schackow aus Grafing ist die jüdische Traditionsmusik die beste Möglichkeit, sich auszudrücken. Wenn sie auf ihrer Klarinette spielt, dann ist sie sie selbst. Dann holt sie mit ihrem Instrument das Innerste aus sich heraus. Das hat sie am Freitagabend beim Benefizkonzert mit ihrer Mutter, der Pianistin Constanze Schackow, in der evangelischen Kirche Grafing bewiesen.

Mysteriös spannend trillert Constanze Schackow in tiefer Lage am Klavier. Mehr als eine Minute lang in derselben Tonlage. Ein düsterer Einstieg in den Klezmer "L'Chaim" von Giora Feidman. Dann die erlösende Klarinettenmusik. Unscheinbar setzt sie ein, bäumt sich langsam auf. Anna Schackow geht in die Knie und windet sich verliebt um ihr Instrument, holt die melancholischen Töne aus der Tiefe nach oben, bis sich die Melodie verselbständigt und verheißungsvoll anschwillt. Das Klavier treibt sie an durch den immer schneller werdenden Triller. Anna und Constanze Schackow spannen die Zuhörer auf die Folter - bauen eine immense Spannung auf. Bis sich diese in einem temperamentvollen Bulgar-Tanz auflöst. Leicht und unbeschwert huschen die Finger über die Klarinette, zwischendurch immer wieder der Genre-typische Schluchzer. Die Klarinettistin wippt rhythmisch zur Melodie, gibt dadurch dem Ganzen zusätzliche Schwingung. Ihre Energie wird eins mit dem Instrument.

Überhaupt ist das Faszinierende an dem Debüt des Klezmer-Duos Macore die unglaublich starke Körpersprache Anna Schackows und die Art, wie sie mit ihrer Klarinette verschmilzt, und damit ihrer Spielweise noch mehr Ausdruck gibt. Als würde sie die Töne in eine bestimmte Richtung schicken wollen, zuckt die junge Klarinettistin zu ihren präzisen Läufen rhythmisch mit den Schultern. Der Gesamteindruck, der hier entsteht: Dieses Spiel ist absolut authentisch und ehrlich. Das wird sich wohl auch der weltbekannte Klarinettist und Klezmermusiker Giora Feidman gedacht haben, als er Schackow in seiner Meisterklasse forderte und förderte. Er hatte ihr den Weg zurück gezeigt, von einem angefangenen Architekturstudium zurück zur Musik. "Back to the Roots" nennt das Duo deshalb auch sein Programm, das es für die Erdbebenhilfe in Nepal spielte.

Doch warum haben sich Mutter und Tochter, beide auch in der Klassik zu Hause, ausgerechnet für Klezmer entschieden? Weil diese Klänge Anna Schackow gewissermaßen schon in die Wiege gelegt wurden, durch die langjährige Begeisterung ihrer Mutter für die jüdische Traditionsmusik. Quasi einverleibt. Gemeinsam komponieren Mutter und Tochter sogar eigene Klezmerstücke. Am Freitag waren viele dieser Kompositionen zu hören, Klezmer im Tango-groove ("Tangroove") oder französisch angehauchte Stücke in jüdischer Tradition wie "La Belle". Auch in ihren eigenen Stücken spielen Temperament und Leidenschaft die Hauptrolle. Die Funktionen der Instrumente sind dabei klar verteilt: Während Constanze Schackow am Klavier das Tempo in der Hand hat und konstant ins Impulsive steigert, legt sich die Klarinettenmelodie tänzelnd über die Akkorde.

Auf dem Klavier sitzt ein kleiner Wurzelzwerg und wippt im Takt mit. "Das ist unser Maskottchen", erklärt Anna Schackow. "Der holt uns zurück zu den Wurzeln, wenn wir uns in unseren Eigenkompositionen zu sehr in Richtung Weltmusik entfernen", fügt Constanze Schackow hinzu. Das Publikum im voll besetzten Kirchenraum ist entzückt, jubelt dem Duo am Ende zu. "So etwas Tolles habe ich gar nicht erwartet!", schwärmt am Ende ein Gast im Vorübergehen. Anna Schackow hat ihren Weg gefunden, sie folgt dem Ruf ihrer Seele. Ab Herbst beginnt sie ein Klarinettenstudium in Hamburg, doch dem Klezmer wird sie auf jeden Fall treu bleiben. Man kann nur hoffen, dass sie dem Landkreis trotz räumlicher Distanz mit so schönen Konzerten erhalten bleibt.

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Quelle:
SZ vom 14.07.2015
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