Grafing:Ein Tor für die Toten von Bad Aibling

Grafing: Funkenflug und Eisenstaub gehören zum Arbeitsalltag in der Werkstatt des Bildhauers Franz F. Wörle in Straußdorf.

Funkenflug und Eisenstaub gehören zum Arbeitsalltag in der Werkstatt des Bildhauers Franz F. Wörle in Straußdorf.

(Foto: Christian Endt)

Künstler im Landkreis haben sich für die Ferien einiges vorgenommen: Franz F. Wörle aus Straußdorf erhält an diesem Donnerstag den Seerosenpreis, für die Opfer des Zugunglücks hat er eine Skulptur geschaffen.

Von Rita Baedeker, Grafing

An die Hauswand schmiegt sich ein Feigenbaum, am Holzschuppen rankt Wein empor, im hinteren Teil des Gartens steht ein Ginkgobaum, an dessen Stamm die Hauskatze ihre Krallen wetzt. Auf der anderen Seite der Veranda ist aus einem Haselnussstrauch, einer Kastanie und anderem Gebüsch ein undurchdringliches Biotop entstanden und zum Urwald herangewachsen. Der grüne Wall ist ein Paradies für Vögel und Insekten, lässt aber nur wenig Sonnenlicht durch.

Seit 1983 wohnt der Bildhauer Franz Ferdinand Wörle hier in dem abseits gelegenen Anwesen in Straußdorf. "Damals hatte ich an manchen Tagen einen freien Blick bis zum Großvenediger", sagt er. Andererseits, "wer schaut sich schon den ganzen Tag den Großvenediger an?" Im Laufe der Zeit hat sich das konzertierte Grün vor die Aussicht geschoben, der Vorteil der botanischen Invasion: Es ist auch an heißen Tagen angenehm kühl.

Früchte trägt in diesem Jahr auch Wörles Kunst. Der Bildhauer erhält am Donnerstag, 11. August, den Seerosenpreis der Stadt München. Für die Ausstellung, die anlässlich der Verleihung im Kunstpavillon des Alten Botanischen Gartens stattfindet, hat er alle Hände voll zu tun. Ein großer Tisch und vier seiner Stelen müssen von Bad Aibling, wo die Objekte im Garten der Galerie Villa Maria ausgestellt waren, nach München transportiert werden.

Wörle, der Preis-Sammler

Für Wörle ist dieser begehrte Preis nicht die erste bedeutende Auszeichnung. 1988 erhielt er den Debütantenpreis des Bayerischen Staates, 1989 den Kunstpreis der Stadt Ebersberg, 2008 eine irische Auszeichnung, 2015 bekam er ein Europäisches Stipendium für ein Projekt in der Ukraine, um nur einige zu nennen.

Grafing: In seinem Refugium, dem urwaldartigen Garten, wirken die nach geometrischen Formen geschaffenen Werkstücke wie Artefakte einer alten Kultur.

In seinem Refugium, dem urwaldartigen Garten, wirken die nach geometrischen Formen geschaffenen Werkstücke wie Artefakte einer alten Kultur.

(Foto: Christian Endt)

Als Ehre empfindet er es auch, dass die Stadt Bad Aibling eine seiner Arbeiten als Mahnmal zum Gedenken an die Opfer des Zugunglücks vom Faschingsdienstag dieses Jahres erworben hat. Er wird sie am 7. Oktober übergeben, nur die Inschrift fehlt noch. Die Skulptur, eine Art Tor, wird auf einem Hügel nahe der Mangfall-Brücke und der Bahnlinie stehen. Bei einer Begehung im Garten der Aiblinger Galerie seien die Stadtoberen auf seine Arbeit gestoßen und hätten sich spontan entschlossen, diese zu kaufen, berichtet Wörle. Seither stehe sein Telefon nicht mehr still.

Das Tor ist drei Meter hoch, ein Meter breit, in der Mitte ist ein Keil ausgeformt, der unten eine kleine Öffnung hat. "Der Bürgermeister hat diese Form als Eisenbahnschienen interpretiert", erzählt Wörle, "für mich ist es mehr eine Durchgangsstation, aber diese Symbolik passt ja hier auch sehr gut".

Die Seele braucht eine Weile

"Ich muss zur Zeit ganz schön wurschteln", sagt Wörle, denn auch der Beitrag zur kommenden Ausstellung der Neuen Münchner Kunstgenossenschaft, deren Mitglied er ist, muss rechtzeitig fertig werden. "Ich habe einen Austausch mit dem Südtiroler Künstlerbund in der Bozener Galerie Prisma organisiert," sagt Wörle. Vernissage ist demnächst, am 9. September.

Grafing: Liebster Platz des Künstlers ist die Bank unter dem Feigenbaum.

Liebster Platz des Künstlers ist die Bank unter dem Feigenbaum.

(Foto: Christian Endt)

In der Würdigung für den Seerosenpreis lobt die Jury die Klarheit und Ruhe seiner Eisenskulpturen und Grafiken. Diese Klarheit erzeugt der Bildhauer durch formale Strenge. Er baut seine Objekte aus geometrischen Figuren wie Quadrat, Dreieck, Würfel, Kegel und Pyramide. Kreissegmente und Linien, die aus der Geraden oder dem rechten Winkel ausbrechen wie etwa bei der Werkgruppe "Zum Meer", ergänzen den Formenkanon und lassen das schwere Element an der einen oder anderen Stelle leicht und lebendig werden. Im wuchernden Grün des Gartens wirken die Objekte wie geheimnisvolle Funde aus einer alten Kultur.

Form und Material zwingen den Betrachter, sich auf die Essenz, das heißt auf archaische Bilder, auf Grunderfahrungen der Existenz zu konzentrieren, auf Symbole und Stationen wie Tor, Seelenhaus, Stele oder Tisch. Stelen stehen als Markierung am Wegesrand, die Tore sind Stationen des Innehaltens, des Durch- und Übergangs - im realen und im geistigen Sinne. Seelenhäuser wiederum geben Raum und Schutz.

In der Werkstatt geht es laut und staubig zu

Solche Häuschen waren in früheren Zeiten auf Friedhöfen üblich, da man annahm, die Seele brauche eine Weile, um Abschied vom irdischen Dasein zu nehmen, und solle in dieser Zeit ein Dach über dem Kopf haben. Die Oxidation des Eisens, der Rost, der sich ins Material frisst, weist auf die Vergänglichkeit hin.

So sehr Wörles Objekte zur Meditation einladen, so laut und staubig geht es bei deren Entstehung zu. Die Werkstatt ist angefüllt mit schwerem Gerät, Werktisch, Schweißmaschine, Kettenzug, allerlei Hölzern. Franz Wörle setzt seine Schutzbrille auf, zieht Handschuhe an und beginnt zu flexen, dass die Funken sprühen. "Der Eisenstaub ist das Schlimmste", sagt er. Nach dem Schweißen und Schleifen wird das Objekt mit Salzsäure abgewaschen. Die Patina entstehe von selber, sagt der Bildhauer.

So auch bei der Feuerschale, die er für laue Abende in seinem sommerlichen Refugium geschaffen hat. Abends sitzt er dort gern am Lagerfeuer, mit der Familie, aber auch allein. In solchen Momenten träumt er dann gerne von München, wo er geboren und aufgewachsen ist. In Schwabing ist er in die Schule gegangen. Als 1952 geborenes Nachkriegskind hat er das Schwabing der Künstler noch kennengelernt, hat im legendären Mutti-Bräu Hausaufgaben gemacht. "Und das damalige Lokal Seerose war mein Wohnzimmer", erinnert er sich. 1948 gegründet, verkehrten dort Künstler aller Sparten. Daher habe er eine innige Beziehung zum Seerosenkreis.

Urlaub ist dieses Jahr für ihn nicht drin. "Ich würde gerne mal wieder nach Haithabu fahren, ins Wikingermuseum", sagt Wörle und erzählt mit leuchtenden Augen von dem nachgebauten Wikingerschiff, das vor Jahren in See stach. "Mal sehen, ob es klappt". Kurz werden sie sein, die Ferien von Franz Wörle. "Aber", sagt er, und lacht, "nach der Vernissage in Bozen werde ich einen Tag blau machen."

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