Bildung im Landkreis:Wenn Hennadreck auf dem Lehrplan steht

Bildung im Landkreis: "Hühnerflüsterer" Florian weiß, dass Tiere keine hektischen Bewegungen und laute Stimmen mögen. Deswegen ist die braune Heidi so zutraulich.

"Hühnerflüsterer" Florian weiß, dass Tiere keine hektischen Bewegungen und laute Stimmen mögen. Deswegen ist die braune Heidi so zutraulich.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

An der Comenius-Schule in Grafing werden Alltagskompetenzen mal ganz anders vermittelt: Die Kinder füttern Gartenvögel, beobachten Meisen beim Brüten und misten einen Hühnerstall aus.

Von Michaela Pelz, Grafing

Hühnerkacke stinkt. Auch dem Geflügel. "So einen Dreck will niemand in seinem Haus haben, auch die Hühner nicht. Wenn wir den nicht wegmachen, gehen sie nicht rein", sagt Katharina, bevor sie den verklumpten Mist tapfer aus dem Hühnerstall in einen Eimer befördert, damit zwei Klassenkameradinnen ihn gleich wegräumen können - natürlich sauber getrennt. Mist kommt in den Schulgarten, Einstreu gehört in die Biotonne.

Tiere sind bekanntlich gut für Kinder. Darum gibt es in Schulen zuweilen Aquarien, Hunde, Hasen oder eben Hühner. Vier davon hat die Johann-Comenius-Schule in Grafing derzeit in einem eingezäunten Stück Wiese auf dem Schulgelände zu Gast. Vier Wochen sind für das Projekt insgesamt veranschlagt.

Bildung im Landkreis: Der ganze Hühnermist wird auf dem Kompost des Schulgartens entsorgt.

Der ganze Hühnermist wird auf dem Kompost des Schulgartens entsorgt.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Dauerhaft Hühner zu halten, lässt sich nicht verwirklichen, dafür sind sie zu pflegeintensiv. Man muss sie ja auch am Wochenende und in den Ferien versorgen", erklärt Franz Schmeller, Klassenlehrer der 3a. Er war es, der im Herbst 2021 vorschlug, sich im Rahmen des Konzepts "Alltagskompetenzen - Schule fürs Leben" in den Klassenstufen drei und vier mit dem Thema "Vögel" zu beschäftigen. An Geflügel habe er dabei aber noch gar nicht gedacht. Zusammen mit seinem Kollegen Manuel Iglesias sowie den Viertklasslehrerinnen Gabriele Müller und Ursel Schmitt wollte Schmeller den Neun- bis Zehnjährigen zunächst nur die heimischen Gartenvögel nahebringen, tatkräftig unterstützt von Wolf Karg (Landesbund für Vogelschutz in Bayern, Kreisgruppe Ebersberg).

Bildung im Landkreis: Die Nistkästen auf dem Schulgelände sind selbst bemalt. Meisen bevorzugen zum Auskleiden übrigens Moos, andere Vögel bedienen sich gern am Angebot von Heu und Stroh.

Die Nistkästen auf dem Schulgelände sind selbst bemalt. Meisen bevorzugen zum Auskleiden übrigens Moos, andere Vögel bedienen sich gern am Angebot von Heu und Stroh.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Also wurden für die Vögel Futterhäuschen gekauft, zusammengenagelt, bemalt und aufgehängt. Per Webcam konnten die Kinder sogar Meisen beim Brüten zusehen - ein absolutes Highlight sei der tägliche Blick ins Haus von "Inge" gewesen, die zusammen mit ihrem "Helmut" acht Eier ausbrütete. "Wir haben alle mitgefiebert", erzählt Schmeller.

Doch dann tat Kollegin Schmitt einen Hühnerverleiher auf, und so kamen sie nach Grafing - die gefleckte Evi, die weiße Ursel, die zutrauliche braune Heidi und die Uschi, "in der Rangordnung die Chefin", die nun von jeder Klasse eine Woche lang betreut werden.

Brüten dürfen die vier Hennen nicht, aber sie legen fleißig Eier. 14 Stück sind in einer Woche zusammengekommen. Welche griechischen, türkischen, afghanischen, russischen und bayerischen Speisen man damit zubereiten kann, ist an der Pinnwand im Gang zu den einzelnen Klassenzimmern nachzulesen. Zusammengetragen wurde die Rezepte von der 4a, die ihren Hühnerdienst schon hinter sich hat. Am Ende der Woche wurden für die Nachfolger auch genaue Anweisungen erstellt, denen die zehn Schülerinnen und Schüler der 3a nun folgen. Ein eingespieltes Team. Neben dem Beseitigen der Hinterlassenschaften in Hühnerhaus und Auslauf gilt es, täglich Wasser und Futter nachzufüllen. Das ist die Aufgabe von Kamar, die das routiniert erledigt. "Ich habe daheim Kanarienvögel, um die muss man sich auch kümmern", erklärt sie.

Bildung im Landkreis: Kamar präsentiert stolz den Ertrag von einer Woche: 14 Eier.

Kamar präsentiert stolz den Ertrag von einer Woche: 14 Eier.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Während sich die Kinder mit erkennbarer Begeisterung ihren diversen Aufgaben widmen, spricht Pädagoge Schmeller über den mit dem Projekt verbundenen Lerneffekt: Es gehe darum, Verantwortung zu übernehmen, aber auch die negativen Aspekte einer Tierhaltung zu erkennen, weil die Hühner eben auch Arbeit machen. Vor allem aber bleibe das im Rahmen eines solchen Projekts erworbene Wissen - im Gegensatz zu rein auswendig gelernten Dingen - nachhaltig im Kopf. Weil Freude und Emotionen damit in Verbindung stünden, werde es nicht "ausgespuckt und dann gleich wieder vergessen", so Schmeller. Das habe auch eine hervorragend ausgefallene HSU-Probe zum Thema Gartenvögel gezeigt. Doch kein Wunder: Bis zu 30 Minuten lang hätten die Kinder mucksmäuschenstill und hochkonzentriert gearbeitet, wenn sie Protokoll schreiben und Fotos machen mussten - "und zwar alle, nicht nur die braven", so Schmeller. Und heute? Nach wie vor könnten die Schüler Vogelarten bestimmen, und unlängst hätten sie sogar einen kleinen Piepmatz gerettet.

Bildung im Landkreis: Tunay kehrt Hühnerdreck zusammen. Auch wenn es stinkt, macht er es gern, denn: "Ich lieb' die Heidi und die Ursel."

Tunay kehrt Hühnerdreck zusammen. Auch wenn es stinkt, macht er es gern, denn: "Ich lieb' die Heidi und die Ursel."

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Aktuell führt jedes Kind der Klasse ein "Hühnerbuch". Es enthält Gedichte und selbst geschriebene Geschichten, aber auch beschriftete Körperteile. Die Federn und Flügel von Heidi, Eva, Uschi und Ursel werden die Mädchen und Buben aber auch ohne diese Übung so schnell nicht vergessen. "Selbst auf die coolsten Jungs haben die Hühner zunächst großen Eindruck gemacht, einige von ihnen haben am Anfang sogar ein wenig gefremdelt", berichtet Schmeller. Nach wenigen Tagen aber hätten alle Schüler sich getraut, den Tieren die Hand hinzuhalten.

Diese Vertrautheit zwischen Kindern und Tieren lässt sich auch an diesem Vormittag im Stall schön beobachten. Florian, den sie den "Hühnerflüsterer" nennen, verrät sein Geheimnis: "Ich warte bis die Hühner zu mir kommen. Füttere sie, damit sie mir vertrauen, und spreche leise mit ihnen." Das kenne er schon von seinem eigenen Wolfsspitz.

"Handle my hendl" soll Stadtkindern den Umgang mit Hühnern nahebringen

Die Hennen ihrerseits haben offenbar kaum Berührungsängste. Warum, weiß Peter Groß, von dem das gefiederte Quartett stammt: Alle seine Tiere seien durch den Kontakt mit seinem siebenjährigen Sohn und seiner fünfjährigen Tochter an Kinder gewöhnt und relativ zahm. "Es dauert zwei Tage, dann spannen sie, dass da einer ist mit Mehlwürmern in der Hand. Dann kommen sie her und lassen sich streicheln," erläutert Groß, der im Hauptberuf Förderbänder an Supermärkte, Kieswerke und Flughäfen verkauft.

Bildung im Landkreis: Neben bunten Portraits enthalten die "Hühnerbücher" auch Übungen in Schreibschrift: Jedes Kind beschreibt den Bereich, für das es zuständig ist.

Neben bunten Portraits enthalten die "Hühnerbücher" auch Übungen in Schreibschrift: Jedes Kind beschreibt den Bereich, für das es zuständig ist.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der 33-Jährige hatte seit seinem siebten Lebensjahr immer Tiere und hält nun schon seit einigen Jahren Hühner. Mit fünf Exemplaren hatte es 2015 angefangen, mittlerweile sind es 30. Die Idee für den besonderen Verleih kam Groß und seiner Ehefrau Katharina während eines Griechenlandurlaubs am Pool: Warum nicht, wie es in anderen Teilen Deutschlands bereits praktiziert wird, Stadtkindern per Haltung auf Zeit den Umgang mit Hühnern nahebringen?

Laut Chef ist der Außendienst für die Hennen nicht stressig, sondern eine Art Wellnessprogramm

Gedacht, getan: "Handle my hendl" war geboren. Seit September 2021 gehen vom Standort zwischen Landshut und Erding regelmäßig Hühner auf die Reise nach München oder ins Umland. Zu 95 Prozent landen sie dabei - nach vorheriger sorgfältiger Prüfung - in Krippen, Kindergärten oder Schulen. Verliehen werden Gruppen von mindestens vier Tieren samt Zubehör und jeweils für eine Mindestdauer von drei Wochen.

Doch wie vertragen die Hühner diese häufigen Ortswechsel? Wenn er seine Tiere wieder abhole, kämen sie ihm eigentlich ganz entspannt vor, sagt Groß. "Ich habe nicht das Gefühl, dass es für sie Stress ist. Eher eine Art Wellnessprogramm, weil sie dann vor den Hähnen ein paar Wochen Ruhe haben", ergänzt er und lacht. Abgesehen davon: Ist eine Verleihphase beendet, dürfen sich die Hennen vor dem nächsten Einsatz mindestens ein halbes Jahr ausruhen.

Bildung im Landkreis: Auch die Viertklässler engagieren sich fleißig an den Futterkästen. Eine Füllung reicht für eine Woche.

Auch die Viertklässler engagieren sich fleißig an den Futterkästen. Eine Füllung reicht für eine Woche.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

An die Comenius-Schule werden die Hühner aber wohl nicht zurückkehren, dort sind für nächstes Jahr ein Insekten- und ein Igelhaus geplant. Außerdem sollen zu den bereits vorhandenen noch vier bis fünf weitere Starenkästen hinzukommen. Und natürlich müssen die Meisenknödel-Futtersäulen immer noch regelmäßig befüllt werden.

Auge und die Sinne für die Natur werden den Kindern hier also auch in Zukunft geöffnet - sogar ganz ohne Geruchsbelästigung. Allerdings auch ohne jene Eigenschaft, die Katharina so an den gefiederten Gefährtinnen auf Zeit schätzt: "Die sind so kuschelig, die würde ich sogar mit ins Bett nehmen."

Zur SZ-Startseite

SZ PlusLiteratur für Kinder
:Wenn der Opa plötzlich Senf bunkert

Wie spricht man mit Kindern über Tod oder Demenz? Die Autorin Silke Schlichtmann greift in ihren Kinderromanen schwere Themen mit einer Leichtigkeit auf, ohne sie zu verharmlosen. Ein Lesungsbesuch.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: