EU-Wahlen am 9. Juni:„Jede nationale Regelung würde einen Wettbewerbsnachteil bedeuten“

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Seit der Gründung 1985 in Grafing begleitet Cadfem die praktische Nutzung von Technologie in Wirtschaft und Wissenschaft kontinuierlich und treibt sie voran. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der gemeinsame Wirtschaftsraum innerhalb der EU ist wichtig, wenn Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen nicht nur nach Deutschland verkaufen möchten. Beim Grafinger Tech-Unternehmen Cadfem weiß man, wieso das so ist.

Von Thorsten Rienth, Grafing

Wie eine normale Toilettenschüssel sieht sie aus – zumindest so lange, bis jemand den Deckel hebt. Einen Spülrand gibt es auf der Innenseite nicht. Stattdessen rechts einen Wasserzufluss, dessen Form ein bisschen an die Kiemenöffnung eines Fisches erinnert. Links hinten geht der Abfluss schräg nach unten weg. Symmetrisch, wie sonst, ist an dieser Schüssel also nichts.

Der Schweizer Hersteller Geberit hat sie auf den Markt gebracht. Dafür genutzt haben dessen Ingenieure eine Software der Grafinger Simulationsspezialisten von Cadfem. CFD lautet der Fachbegriff, die Abkürzung steht für „Computational Fluid Dynamics“, also nummerische Strömungsmechanik. Damit ist es möglich, das Verhalten von Flüssigkeiten oder Gasen in komplexen Geometrien und unter verschiedenen Umgebungsbedingungen vorherzusagen, um beispielsweise den Wirkungsgrad von Pumpen oder die Aerodynamik von Fahrzeugen zu verbessern. Im Fall der Toilettenschüssel soll möglichst wenig Wasser möglichst viel wegspülen.

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Mit solchen Anwendungen hat sich das Familienunternehmen Cadfem zu einem internationalen Firmennetzwerk mit gut 600 Mitarbeitern und mehr als 25 Gesellschaften rund um den Globus hochgearbeitet. Das „Cad“ im Namen steht für „Computer Aided Design“, die rechnerbasierte Produktentwicklung. Das „Fem“ für „Finite Elemente Methoden“. Die Grundidee dieser Kombination besteht darin, zum Beispiel komplexe physikalische Prozesse in kleinere, handhabbare Teile – sogenannte „Finite Elemente“, meist in Form von Differenzialgleichungen – zu zerlegen. Unter geänderten Vorzeichen, einer zusätzlichen kleinen Lamelle im Wasserlauf etwa, setzt ein Rechner die Abertausenden Gleichungen wieder zu einem großen, dreidimensionalen Ganzen zusammen. Es ist wie eine High-Tech-Variante des Spiels „Ich seh’ etwas, das du nicht siehst“.

Früher hätte die Sanitärfirma erst Dutzende Toiletten produzieren, testen und bewerten müssen. Mit der richtigen Software lässt nun der Rechner Wasser durch die Schüsseln laufen und gibt eine verlässliche Prognose ab, ob der neue Wasserstrahl nicht vielleicht irgendwo samt Inhalt über den Rand schwappt.

Matthias Alberts (links) ist seit 2022 Teil der Geschäftsführung von Cadfem Deutschland, sein Kollege Christoph Müller Gesellschafter und Geschäftsführer von Cadfem International. (Foto: Christian Endt)

Von den gut 600 Cadfem-Angestellten arbeiten etwa 450 innerhalb der EU. „Hier machen wir den Großteil unseres Geschäfts“, sagt Gesellschafter und Geschäftsführer Christoph Müller. Nicht nur, weil in der EU die Nachfrage nach Cadfem-Dienstleistungen dank zahlreicher technikaffiner Industriezweige hoch sei. Sondern auch, weil sich in dem großen Staatenbündnis im Großen und Ganzen wettbewerbsfähig produzieren lasse. „Jede nationale Sonderregelung würde die Prozesse verkomplizieren und einen Wettbewerbsnachteil bedeuten“, sagt Müller weiter. „Stattdessen aber haben wir hier einen großen Wirtschaftsraum mit einheitlichen und verlässlichen Regeln, auf die alle zählen können.“

Einer von Müllers Kollegen in der Geschäftsführung, Matthias Alberts, gibt ein Beispiel. „Angenommen, wir möchten bei einer Ausschreibung aus einem Land außerhalb der EU mitbieten: Dann brauchen wir erstmal eine Expertin oder einen Experten, die sich mit den rechtlichen Gegebenheiten dort auskennen.“ Entweder müsse die Firma diese Kompetenzen intern vorhalten, oder sie zukaufen. Doch wenn die Kosten steigen, klar, wird auch das Angebot teurer. Und damit für den potenziellen Geschäftspartner unattraktiver. Ein Aspekt, der gerade bei Unternehmen wie Cadfem, das Software plus Anwendungswissen verkauft, schwer wiegt. Denn höhere Ausgaben kann diese Firma nicht einfach durch besonders effiziente Transportketten kompensieren. Es wird ja gar nichts transportiert.

Bei Cadfem steuern Betriebe aus mehreren Ländern ihre Expertise zu einem Projekt bei

Ähnlich verhält es sich mit der – weitgehend – einheitlichen Währung auf dem Kontinent: „Ohne sie müssten wir in vielen Fällen Puffer für mögliche Währungsschwankungen aufschlagen“, erklärt Alberts. Ebenfalls eine Teuerung, die zum Nachteil gegenüber lokalen Anbietern werden würde. Nicht minder wichtig ist Alberts zufolge der Euro in der innerbetrieblichen Verrechnung. In der Cadfem-Gruppe nämlich sei es üblich, dass mehrere Gesellschaften aus verschiedenen Ländern ihre jeweilige Expertise zu einem Projekt beisteuerten – aber ein Standort dessen Leitung und die Abrechnung übernehme. „Wenn da dann auch noch verschiedene Rechtsrahmen und Währungen reinspielen würden“, sagt Alberts, „dann wäre das sehr schnell sehr kompliziert.“

Wie an einer kleinen Perlenkette deklinieren Alberts und Müller die Vorteile einheitlicher gegen die Nachteile uneinheitlicher Märkte durch. Die gleichen Standards bei Produktqualität, Sicherheit, Umwelt-, Daten- und Verbraucherschutz: Liefern Skaleneffekte und sparen Aufwand in der Administration. Der Euro in 20 Ländern: Nimmt Risiko aus der Planung und spart Umtausch- und Transaktionskosten.

450 Angestellte arbeiten innerhalb der EU für Cadfem, 180 davon an den sechs Standorten in Deutschland - und viele davon am Grafinger Hauptsitz. (Foto: Christian Endt)

Schließlich der gemeinsame Arbeitsmarkt. „Wir denken da gar nicht mehr in national“, sagt Gesellschafter Müller. „Hier auf dem Kontinent gibt’s für uns nur den einen großen EU-Arbeitsmarkt.“ Und was für einen! Laut Statistischem Bundesamt arbeiteten zuletzt rund 7,1 Millionen EU-Bürger in einem anderen EU-Land, ohne die dortige Staatsbürgerschaft zu besitzen. So viele wie noch nie seit Beginn der Erhebung zur Jahrtausendwende.

Und wie viel Wasser spart die asymmetrische Kloschüssel nun genau? Gar nicht so einfach, heißt es vom Hersteller, da stark abhängig vom jeweiligen Spülkasten und der Geometrie des Zuflusses. Im Optimalfall würden die Norm-Anforderungen aber um bis zu zehnmal übertroffen. Weil es gerade zum Thema passt: Gemeint ist die Europäische Norm EN 997 für „WC-Becken und WC-Anlagen mit angeformtem Geruchsverschluss“.

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